359 Krankheitsfälle in NRW EHEC-Erreger in der Bio-Tonne

Düsseldorf (RP). Erstmals wurde in NRW der aggressive EHEC-Erreger des Serotyps O104:H4 nachgewiesen. Ein Familienvater aus dem Rhein-Sieg-Kreis hatte die Gesundheitsbehörden auf die Spur gebracht. Seine Frau und seine Tochter waren an dem Bakterium erkrankt. Derweil kritisierte Grünen-Fraktionschefin Renate Künast die Bundesregierung.

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Foto: AFP

Der Anruf erreichte die Gesundheitsbehörde in Siegburg am vergangenen Dienstag. "Ein Familienvater berichtete, er habe eine angebrochene Verpackung mit Sprossen im Bio-Müll entdeckt", sagt ein Sprecher des NRW-Umweltministeriums. Möglicherweise hätten die Sprossen ja etwas mit der Erkrankung seiner Angehörigen zu tun, lautete die Vermutung. Frau und Tochter des Anrufers hatten sich Mitte Mai mit den EHEC-Bakterien infiziert. Seitdem werden sie in der Klinik behandelt.

Nach dem gezielten Hinweis nahmen die Mitarbeiter des Rhein-Sieg-Kreises eine Probe von den verdächtigen Lebensmittelresten. Die Sprossen wurden durch das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Rhein-Ruhr-Wupper in Krefeld analysiert. Am Freitagmorgen lag das alarmierende Ergebnis vor.

Neuerkrankungen nicht ausgeschlossen

NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) hatte gerade eine Telefonkonferenz mit Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) hinter sich, als er — schon auf dem Weg zum nächsten Termin nach Wuppertal — von dem Erreger-Fund in der Bio-Tonne erfuhr. "Wir haben sofort den Bund informiert", sagte Remmel. "Mit dem Nachweis wurde erstmals eine ununterbrochene Kette von den infizierten Sprossen aus dem Betrieb im niedersächsischen Bienenbüttel zu erkrankten Personen hergestellt."

Mutter und Tochter leiden derzeit so schwer an der Darm- und Durchfallerkrankung, dass sie noch nicht befragt werden konnten, wo sie die Sprossen gekauft hatten. Der Vater hatte keine Sprossen gegessen und ist bislang nicht erkrankt. Remmel dankte dem Hinweisgeber für seinen Tipp. Die Behörden hätten ihre Arbeit gut erledigt. Nun müsse abgewartet werden, ob in den nächsten Tagen im Rhein-Sieg-Kreis (mit knapp 600.000 Einwohnern einer der größten Kreise Deutschlands) weitere Fälle auftreten. "Es ist nicht auszuschließen, dass es Neuerkrankungen gibt."

Bislang sind in NRW rund 1200 Proben auf den EHEC-Erreger untersucht worden. Dabei wurde auch eine Lieferung von Rote-Bete-Sprossen aus den Niederlanden entdeckt, die mit E.coli-Bakterien befallen waren, die Durchfall und Darmentzündungen auslösen können. "Der sichergestellte Bestand wurde sofort vernichtet und die niederländischen Behörden informiert", erklärte ein Sprecher des NRW-Umweltministeriums.

Daraufhin wurde im Nachbarland eine Warnung von den Rote-Beete-Sprossen ausgesprochen. Die Gesundheitsbehörden setzen darauf, dass die Welle der Neuerkrankungen langsam abebbt. Die betroffene Packung (Aufschrift: "Würzmischung-Sprossen") trägt ein Haltbarkeitsdatum, das Mitte Mai abgelaufen ist. Die meisten Sprossen dürften also entweder bereits verzehrt oder weggeworfen worden seien, ist sich ein Experte sicher.

Drei bis vier Tage bis zum Ausbruch

Die Quelle des Erregers war bereits auf den Bio-Betrieb "Gärtnerhof" in Bienenbüttel eingegrenzt worden. Er hatte Sprossen an Hotels, Restaurants und Kantinen geliefert, deren Gäste an EHEC erkrankt waren. Das Robert-Koch-Institut befragte alle Patienten dezidiert danach, was sie gegessen hatten. Sogar Fotos einer Reisegruppe, auf denen die Salatteller zu sehen waren, wurden ausgewertet. Mit dem Fund im Rhein-Sieg-Kreis wurde nun der Beweis erbracht, dass die Sprossen aus dem Biohof mit dem Bakterium infiziert waren.

Im Rhein-Sieg-Kreis gibt es nach einem Bericht der "Kölnischen Rundschau" bislang sieben EHEC-Fälle und vier HUS-Erkrankungen (akutes Nierenversagen). Betroffen seien Königswinter, Rheinbach, St. Augustin, Bad Honnef, Meckenheim, Troisdorf und Siegburg. Landesweit wurden seit dem 1. Mai 359 EHEC-Fälle gemeldet, 82 Personen sind schwer erkrankt. Sie leiden nach Angaben des NRW-Gesundheitsministeriums an HUS. Am Freitag verstärkte der Rhein-Sieg-Kreis seine Warnung vor den tückischen Bakterien. Auf der Internetseite des Kreises finden sich unter der Überschrift "Bürgerservice" an oberster Stelle Hinweise auf Fragen und Antworten zu EHEC.

Als häufigstes Symptom, so heißt es dort, träten zunächst wässriger und später blutiger Durchfall auf, der oft mit kolikartigen Bauchschmerzen, Erbrechen und Fieber einhergehe. Von Mensch zu Mensch würden die Bakterien vor allem durch Handkontakt übertragen. Bis zum Ausbruch der Krankheit vergingen in der Regel drei bis vier Tage; mitunter könnte es aber auch zehn Tage dauern.

Künast wirft Bahr mangelnde Führung vor

Die Bundesbehörden hatten die Warnung vor Salat, Tomaten und Gurken gestern Morgen aufgehoben. Eine Sprecherin der Metro erklärte, die Gruppe bringe nunmehr "Gurken, Tomaten und Salate wieder verstärkt in den Verkauf". Allerdings gelte weiterhin der Grundsatz, dass Gemüse intensiv überprüft werde. "Beim Gemüse haben wir im Verkauf in den vergangenen Wochen einen Rückgang von 30 bis 40 Prozent zu verzeichnen", so die Sprecherin.

Remmel verlangte als Konsequenz aus der EHEC-Krise eine bessere Vorbereitung auf neue Krankheitswellen. "Wir fordern, dass eine solche Task Force künftig schneller einberufen wird." In regelmäßigen Übungen müssten Koordination und Kommunikationswege trainiert werden, wie bei der Prävention von Tierseuchen. Bundesweit müsse schneller auf Krankheiten reagiert werden, die über Lebensmittel verbreitet würden.

(RP)
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