Hilfe für chronische Schmerzpatienten Düsseldorfer Uniklinik implantiert ersten Schmerzschrittmacher

Düsseldorf · Mehr als 20 Prozent aller Erwachsenen leiden an chronischen Beschwerden. Implantate können durch elektrische Impulse das Schmerzempfinden ausschalten. Sie sind nur wenige Zentimeter groß.

 Professor Jan Vesper mit dem Schmerzschrittmacher, einem Winzling von gerade mal 5,5 Zentimetern.

Professor Jan Vesper mit dem Schmerzschrittmacher, einem Winzling von gerade mal 5,5 Zentimetern.

Foto: Endermann, Andreas (end)

Rückenschmerzen? Die hat doch jeder mal. Aber was tun, wenn die Beschwerden chronisch sind, wie bei 20 Prozent aller Erwachsenen? Wenn Tabletten, Therapien und Operationen nichts nützen. Im Uniklinikum wurde soeben zum ersten Mal in Europa einer Patientin ein neuartiger Schmerzschrittmacher eingesetzt, ein Winzling von gerade mal 5,5 Zentimetern, bestückt mit innovativer Technik. Zwei Tage später konnte sie die Klinik wieder verlassen völlig schmerzfrei.

Die letzten Jahre ging gar nichts mehr. Da konnte Susanne Krein (51) weder sitzen, stehen, laufen. „Dabei bin ich so gern draußen.“ Ihren Beruf als Frisörin hatte sie längst aufgegeben wegen der ständigen Schmerzen im Rücken, „die sich die Beine runterzogen bis in die Füße“. 2001 hatte sie einen doppelten Bandscheibenvorfall erlitten, es folgten alle möglichen Therapien, 2010 wurde sie schließlich an der Wirbelsäule operiert. „Aber die Schmerzen blieben. Und wurden schlimmer.“ Sie zog sich immer mehr zurück, in den letzten Monaten war es für sie sogar ein Problem, sich die Haare zu föhnen.

Eine ähnliche Leidensgeschichte wie Susanne Krein haben alle Patienten von Professor Jan Vesper vom Zentrum für Neuromodulation am Uniklinikum. „Viele nehmen aus Verzweiflung über Jahre starke Schmerzmittel, auch Opiate.“ Das führe wiederum häufig zu Organschäden von Galle und Leber – und zu Abhängigkeit. Aber der Neurochirurg sieht bei chronischen Schmerzpatienten noch ein anderes Problem: Sie gehen nicht zu einem bestimmten Facharzt, sondern zu Orthopäden, Neurologen, in Schmerzambulanzen, und jeder habe einen anderen Ansatz, dadurch gibt es nach seiner Einschätzung für chronische Schmerzpatienten keine festgelegten Behandlungspfade. Vesper: „Eine prekäre Situation.“

Mit seinem Team hat er nun zum ersten Mal einen neuartigen Schmerzschrittmacher implantiert, der durch geringe elektrische Ströme bestimmte Bereiche des Rückenmarks stimuliert. „Die Schmerzsignale werden durch diese Stromimpulse auf dem Weg zum Gehirn abgefangen“, erläutert Jan Vesper. Heißt: Die Ursache des Schmerzes wird zwar nicht bekämpft („was häufig auch gar nicht möglich ist“), aber die Beschwerden werden nicht mehr wahrgenommen. Die Risiken des minimal-invasiven Eingriffs seien sehr viel geringer als bei langwierigen OPs an der Wirbelsäule oder durch mögliche Tablettenabhängigkeit.

Solche Schmerzschrittmacher sind im Prinzip nicht neu, die ersten Modelle wurden bereits Ende der 1960er Jahren entwickelt. Aber mit zunehmendem Wissen über die Verarbeitung von Schmerz im Gehirn wurde in den letzten Jahren eine neue Geräte-Generation entwickelt, an deren Erprobung die Neurochirurgen des Uniklinikums beteiligt waren. Diese Schrittmacher zeichne aus, dass sie sich den individuellen Bedürfnissen und Schmerzen der Patienten anpassen. „Das geschieht mithilfe einer Fernbedienung, die unsere Patienten bei sich tragen“, so Vesper. Die automatische Stromabgabe sorge dafür, dass immer genau der notwenige Impuls abgegeben wird, um den Schmerz zu unterdrücken. Auch an der nächsten Generation von Schrittmachern wird bereits getüftelt. Die sollen mit Bewegungsmeldern arbeiten und Muskelströme messen können, also selbstständig die Aktivität ihres Trägers registrieren und danach die notwendige Stärke des elektrischen Impulses berechnen.

Susanne Krein jedenfalls hat sich schnell an ihr Implantat und ihre Fernbedienung gewöhnt. Und an ihren schmerzfreien Alltag. Sie unternimmt wieder lange Spaziergänge im Volksgarten, bummelt durch die Stadt, trifft Freunde. „Ich habe eine völlig neue Lebensqualität.“ Nur bei einer Gelegenheit wird sie ihren kleinen Helfer ausschalten: Wenn sie das nächste Mal in die Ferien fliegt. „Damit es bei der Sicherheitskontrolle nicht piept.“

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