Studie Darmspiegelung bleibt unersetzlich

Toronto (RP). Eine neue kanadische Studie zweifelt an der Aussagekraft von Darmspiegelungen – oft würde ein Krebs übersehen. In Deutschland passiert das eher selten, sagen führende Gastroenterologen unserer Region: Hier dürfen nur Spezialisten den Eingriff durchführen.

Was ist Darmkrebs?
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Toronto (RP). Eine neue kanadische Studie zweifelt an der Aussagekraft von Darmspiegelungen — oft würde ein Krebs übersehen. In Deutschland passiert das eher selten, sagen führende Gastroenterologen unserer Region: Hier dürfen nur Spezialisten den Eingriff durchführen.

Es ging ein Raunen durch Amerikas Internistenzirkel, als die neue Ausgabe der "Annals of Internal Medicine" erschien. Das angesehene Internet-Fachjournal veröffentlichte eine große Studie über die Effektivität von Darmkrebs-Früherkennung, die Zweifel an deren prognostischer Qualität anmeldete. Vor allem Karzinome, flache Adenome und Polypen würden oft übersehen, wenn sie im rechtsseitigen Teil des Grimmdarms lauerten. So müsse man, meint die Studie, leider sagen, dass eine Darmspiegelung das Risiko, an Darmkrebs zu sterben, nicht um 90 Prozent senke, wie bisher angenommen, sondern lediglich um etwa 65 Prozent.

Falsch zu glauben, Nancy Baxter, die Studienleiterin, und ihre Kollegen von der Universität Toronto hätten ein verkürztes Katastrophen-Szenario entwickelt — sie haben auf über 10.000 Fälle zurückgegriffen. Tatsächlich scheint ihre Argumentation unabweisbar: Gastroenterologen wissen, dass gewisse Teile des Darms schwerer zu kontrollieren sind. "Es ist anatomisch und instrumententechnisch fast unmöglich, dass wir 100 Prozent der Darmschleimhaut spiegeln", sagt Professor Thomas Frieling (Helios-Klinikum Krefeld), "aber wir untersuchen möglicherweise besser als die kanadischen Kollegen."

Nun wird man kaum einen deutschen Gastroenterologen finden, der die Darmspiegelung nicht lobt: Er lebt von ihr. Zugleich gibt es offenbar Qualitätsunterschiede zwischen Amerika und Europa. Professor Christian Trautwein (Uniklinik Aachen) erklärt, warum hier Kompetenz vonnöten ist: "Die Anatomie des Dickdarms verlangt gerade auf dessen rechter Seite nach einem erfahrenen Operateur, der das Gerät durch die diversen Flexuren und toten Winkel traumhaft sicher zu führen versteht. Das kann ein Arzt ohne Expertise nicht gut genug."

Zwar ereignet sich im rechtsseitigen Bereich des Kolons (mit dem "Colon ascendens", dem aufsteigenden Teil des Grimmdarms) nur jeder zehnte Darmkrebs-Fall, wogegen im S-förmigen Teil des Dickdarms (dem Sigma) die meisten bösartigen Befunde gemacht werden. Trotzdem ist es unumgänglich, dass alle Bereiche genau untersucht werden — wie es den Leitlinien der Fachgesellschaften entspricht. "Unsere Reiseroute weisen wir Etappe für Etappe nach, indem wir die Kamerafahrt-Abschnitte der Untersuchung durch Fotos dokumentieren", sagt Professor Tobias Goeser (Uniklinik Köln).

Tatsächlich sind in Kanada und den USA nicht immer spezialisierte Gastroenterologen mit dem Endoskop im Darmtrakt zugange, oft sind es auch Allgemeinärzte. Für eine gute Koloskopie braucht es aber genau zwei Komponenten: den erfahrenen Operateur und ausreichend Zeit. In Deutschland geht man von mindestens sechs Minuten Rückzugszeit aus — diese Zeit sollte der Arzt haben, um das durch den Dickdarm bis zum Übergang in den Dünndarm vorgeschobene Endoskop zurückzuziehen und dabei — gleichsam im langsamen Rückwärtsgang — die einzelnen Darmabschnitte zu inspizieren. Oft werden diese sechs Minuten in Deutschland zum Zweck der Gründlichkeit deutlich überschritten.

Gerade in jenen schlecht einsehbaren Bereichen des körperinneren Tunnelsystems nützten die beste Untersuchung und das modernste Endoskop nichts, wenn der Patient nicht korrekt und ausgiebig abgeführt hat; dann ist die Schleimhaut nicht sauber genug, und es besteht die Möglichkeit, dass der Blick an entscheidender Stelle eben doch getrübt ist.

Trotzdem will die kanadische Studie die Bedeutung der Darmspiegelung nicht schmälern — sie darf weiterhin als sichere Möglichkeit zur Krebsvorsorge angesehen werden. Sind die Intervalle, in denen untersucht wird, das Problem? Der hierzulande übliche Abstand von zehn Jahren (erstmals mit 55 Jahren empfohlen) bis zur nächsten Untersuchung hat tatsächlich den Nachteil, dass sich zwischenzeitlich bildende und schnell wuchernde Tumoren, die so genannten Intervallkarzinome, gar nicht aufspüren lassen — weil niemand nach ihnen sucht. Tobias Goeser sagt jedoch: "Ich glaube, dabei handelt es sich doch in den allermeisten Fällen um bei einer früheren Spiegelung übersehene Polypen."

Kürzere Intervalle würden natürlich die Gefahr von Komplikationen verdoppeln; allerdings kommt es nur bei 0,2 Prozent der Darmspiegelungen zu Perforationen. "Das sind meistens Patienten mit mehreren gravierenden Krankheiten", räumt Trautwein ein. Übrigens gilt für die Darmspiegelung, was auch für die Herzkatheteruntersuchung gilt: Sie bietet die Möglichkeit zum sofortigen Eingriff — "etwa zur Abtragung eines verdächtigen Polypen", sagt Frieling.

Aber kürzere Untersuchungsintervalle sind im Gesundheitssystem nicht zu finanzieren. Die beste Vorsorge auch gegen Darmkrebs ist immer noch spottbillig: gesunde Ernährung und nicht mehr rauchen.

(rm)
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