Interview Sind Frauen doch nicht so belastbar wie Männer?

Düsseldorf · Überstunden gehören inzwischen zum Alltag - aber nicht auf jeden haben sie die gleiche Wirkung. Laut einer Studie sollen Frauen wegen Überstunden Herz-Kreislauf-Krankheiten, Krebs und Diabetes entwickeln - Männer aber sogar gesünder werden. Sind Frauen doch das anfälligere Geschlecht? Ein Experte gibt Antwort.

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Foto: Techniker Krankenkasse

Herr Dragano, eine Studie der Ohio State Universität mit über 12.000 Teilnehmern, die über 30 Jahre beobachtet wurden, hat ergeben, dass Frauen ab einer Arbeitszeit von mehr als 40 Stunden pro Woche mit extremen gesundheitlichen Problemen wie Krebs, Herzinfarkt und Diabetes rechnen müssen. Bei Männern wurde dieser Effekt jedoch nicht festgestellt. Sind Frauen doch nicht so belastbar wie Männer?

Dragano Nein, so darf man diese Studie nicht lesen. Wir wissen aus zahlreichen Studien, die wir teilweise auch selbst durchgeführt haben, dass überlange Arbeitszeiten für beide Geschlechter gleichermaßen ein gesundheitlicher Risikofaktor sind. Das liegt untere anderem daran, dass wir dann nicht genug Ruhephasen bekommen.

Die Studie ist aber sehr konkret. Demnach haben Überstunden auch auf jüngere Frauen, die zwischen 20 und 40 Jahren alt sind, schädliche Auswirkungen. Bei Männern soll sich die Gesundheit bei einer Arbeitszeit von 40 bis 50 Stunden sogar verbessern, und erst ab 60 Wochenstunden verschlechtern.

Dragano Diese Funde sind für Männer tatsächlich ungewöhnlich. Um genau zu sein, widersprechen sie sogar anderen Studienergebnissen. Wir haben große EU-Studienkonsortien ausgewertet. Das sind über 300.000 Beobachtungen. Und dadurch, dass wir die Ergebnisse überprüft und verglichen haben, werden die Studienergebnisse sicher.

 Professor Nico Dragano ist der Direktor des Instituts für Medizinische Soziologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Professor Nico Dragano ist der Direktor des Instituts für Medizinische Soziologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Foto: G. Marturano

Und was war das Ergebnis?

Dragano Zum einen, dass Frauen und Männer gleichermaßen anfällig für Herz-Kreislauferkrankungen werden, wenn sie Überstunden machen. Zum anderen zeigte sich, dass für beide die Grenze zum ungesunden bei 40 Arbeitsstunden beginnt. Ab 50 Arbeitsstunden pro Woche steigt das Gesundheitsrisiko dann sehr stark an. Was aber stimmt, ist, dass bei Frauen die Überstundenzahl, ab der sie anfällig werden, etwas niedriger liegen kann, wenn sie in jüngeren Jahren Vollzeit arbeiten und sich gleichzeitig noch um die Familie kümmern müssen.

Wie meinen Sie das?

Dragano Wenn Frauen Familie und Vollzeitjob unter einen Hut kriegen müssen, dann leisten sie am Tag deutlich mehr als Männer. Denn Haus- und Familienarbeit kann nicht einfach als Freizeit oder Ruhephase gewertet werden, sondern zählt sozusagen auch als Arbeitszeit. Und während Vollzeit arbeitende Männer im Familienhaushalt nur durchschnittlich eine Stunde mitarbeiten, kümmern sich Frauen nach Feierabend noch durchschnittlich 2,5 Stunden um Kind und Haushalt.

Das heißt, man kann eigentlich sogar sagen, dass Frauen, die arbeiten und Familie haben insgesamt nicht nur mehr leisten als Männer, sondern auch belastbarer sind?

Dragano Ja, so kann man das sagen - wenn man eine Vollzeit arbeitende Frau mit Familie mit einem Vollzeit arbeitenden Mann mit Familie vergleicht. Es gibt ja auch viele Mütter, die nebenbei Teilzeitjobs machen, dann ist das etwas anderes. Für Leute mit Vollzeitjobs sind Überstunden ja inzwischen schon normal geworden. "Das schaffe ich schon" ist das Motto der meisten. Für die Frau bedeutet das, sie arbeitet 10 oder auch 13 Stunden am Tag, kommt dann nach Hause und macht noch den Haushalt. Da ist keine Zeit für Regenerationsphasen - und so ein Alltag ist für jeden schlecht.

Wie viel Arbeit ist denn noch gesund?

Dragano Das ist natürlich schon individuell. Und wenn einem der Job richtig viel Spaß macht, kann es sein, dass man mehr aushält. Wobei man auch sagen muss, dass alle Studien zeigen: egal ob Selbstständiger, Angestellter oder Boss, ab 50 Arbeitsstunden die Woche spielen wir mit unserer Gesundheit. Die meisten verdrängen es nur, gerade in jungen Jahren. Und was viele auch nicht wissen: Nach ungefähr zehn Stunden arbeiten fällt die Leistung deutlich ab, weil die Konzentration nachlässt. Die Unfallwahrscheinlichkeit steigt zum Beispiel ebenfalls deutlich an, wenn man nach neun oder zehn Stunden ins Auto steigt.

Und was raten Sie Leuten, die Vollzeit arbeiten?

Dragano Es ist schon sinnvoll, dass in Deutschland die 50-Stunden-Woche als maximale Arbeitszeit gilt. Wenn es geht, sollte man darunter bleiben. Aber ich weiß natürlich auch, dass das schwierig ist. Man sollte darauf achten, dass man sich möglichst jeden Tag Auszeiten gönnt, um sich vom Berufs- und Alltagsstress zu erholen. Das ist wirklich wichtig.

(ham)
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