Schlaganfall-Mittel löst Blutungen aus Bayers Hoffnungs-Arznei Xarelto ist umstritten

Leverkusen · Das Schlaganfall-Mittel kann zu gefährlichen Blutungen führen. Die Behörden mahnen Ärzte, genau hinzusehen. Die Bayer-Aktie verlor.

Viele Patienten, die sich mit dem Bayer-Medikament Xarelto vor einem Schlaganfall schützen wollen, sind verunsichert. Im Jahr 2012 waren dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) 58 Todesfälle von Patienten gemeldet worden, die Xarelto genommen haben. In diesem Jahr gab es bereits 72 Todesfälle, wie die Behörde bestätigte. Die Zahl der Verdachtsfälle von Nebenwirkungen ist von 750 auf 968 gestiegen.

Wie gefährlich ist die Arznei?

"Der Anstieg der Todesfälle ist schon auffällig, zumal wir davon ausgehen, dass Ärzte immer weniger Probleme melden, als es gibt", sagte Prof. Gerd Glaeske, einer der führenden deutschen Pharmaforscher. Allerdings seien auch die Verbrauchszahlen wichtig, um das Risiko in Relation zum Gesamtverbrauch bestimmen zu können. Und in der Tat sind die Verschreibungen von Xarelto kräftig gestiegen.

Grundsätzlich haben Xarelto und das ähnliche, vom Hersteller Boehringer entwickelte Mittel Pradaxa auch den Vorteil, dass Patienten nicht mühsam auf die richtige Dosis eingestellt werden müssen, wie dies bei dem bisher oft verwendeten Mittel Marcumar der Fall ist, erläutert Glaeske. "Allerdings gibt es für die beiden neuen Medikamente derzeit kein Gegenmittel, falls es zu unerwünschten Blutungen kommt. Das kann im schlimmsten Fall für Patienten tödlich sein, wenn die Blutung nicht auf andere Art (durch Kompressen oder chirurgisch) gestoppt werden kann." Bei Marcumar dagegen könne der Arzt Vitamin K geben, um die Blutung zu stillen. Auch das Bundesinstitut betont, dass bei Gerinnungshemmern wie Xarelto "ein signifikantes Risiko" von schweren Blutungen, auch mit Todesfolge, bestehe.

Wann drohen gefährliche Nebenwirkungen?

Dass Blutungen als Nebenwirkung auftreten können, gilt für alle Gerinnungshemmer, was auch die Hersteller einräumen. Dies aber wusste man bereits bei der Zulassung, entsprechend klären die Beipackzettel auf, so die Argumentation. Doch offenbar lesen nicht alle Ärzte genau. Nicht alle Ärzte würden die Fachinformationen gut genug kennen, moniert das Bundesinstitut in einem offiziellen "Informations-Brief", den die Europäische Arzneimittel-Agentur genehmigt hat. Das BfArM fordert die Ärzte darin auf, Patienten mit Blick auf Blutungen zu überwachen. Das gelte vor allem für Patienten mit hohem Blutungsrisiko. Vor der Behandlung sollten Ärzte auch die Nierenfunktion der Patienten prüfen. "Eine Nierenfunktions-Störung kann Anlass zur Überlegung geben, das Arzneimittel nicht anzuwenden", heißt es. Bayer betonte: "Bayer unterstützt die Ärzte mit einem Programm, Nutzen und Risiken für den einzelnen Patienten vor der Verschreibung sorgfältig abzuwägen."

Was sagen Ärzte?

Bei Reinhard Höltgen, Leitendem Oberarzt am Agnes-Hospital Bocholt, haben gestern Patienten besorgt nachgefragt. Er warnt, die Arznei zu verteufeln. "Xarelto ist bei Patienten mit Vorhof-Flimmern als Schutz vor Schlaganfällen genauso gut wie Marcumar und hat weniger Nebenwirkungen. Wenn es zu Blutungen im Kopf- und Bauch-Bereich kommt, müssen und können die Folgen in der Klinik behandelt werden." Das gelte für Xarelto wie auch für Marcumar.

Was heißt die Debatte für Bayer?

Schlagzeilen um Bayer-Medikamente wecken schnell Erinnerungen an Lipobay. Bayer nahm den umstrittenen Cholesterin-Senker 2001 vom Markt und erlebte die schwerste Krise seiner Geschichte. Die Börse reagierte gestern entsprechen: Die Bayer-Aktie verlor 1,5 Prozent und war drittgrößter Verlierer im Dax. "Xarelto ist ein Hoffnungsträger. Wenn darauf jetzt ein Schatten fällt, ist das nicht gut", sagte Thorsten Strauß, Analyst der NordLB. Xarelto war 2012 mit einem Umsatz von 322 Millionen Euro erstmals in die Top Ten der Bayer-Arzneien aufgestiegen. Künftig soll Xarelto über zwei Milliarden Euro pro Jahr bringen. Bayer hatte mehr als zwei Milliarden Euro in die Entwicklung von Xarelto gesteckt.

(RP)
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