Studie Alle zwei Minuten ein Schlaganfall

Düsseldorf · Schlaganfälle sind bundesweit die dritthäufigste Todesursache. Eine OP kann in manchen schweren Fällen Leben retten. Auch bei älteren Menschen - aber oft um den Preis von Behinderung und Pflegebedürftigkeit, wie eine neue Studie zeigt.

Die größten Irrtümer über den Schlaganfall
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Foto: AP

Jedes Jahr ereignen sich rund 280 000 Schlaganfälle in Deutschland - umgerechnet alle zwei Minuten ein Fall. 63 000 Menschen sterben daran. Damit ist der Schlaganfall dritthäufigste Todesursache nach Herz- und Krebserkrankungen. Besonders gefährlich ist ein Verschluss der mittleren Hirnarterie. Einen solchen schweren Media-Infarkt erleiden mindestens 5000 Menschen alljährlich, etwa die Hälfte ist über 60 Jahre alt. Für die meisten Patienten geht es tödlich aus, wie die Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC) berichtet. Eine neue Studie mit älteren Patienten belegt nun, dass deren Sterberate nach einer OP mit Öffnung der Schädeldecke deutlich sinkt. Das klingt nach einer durchweg positiven Nachricht, hat aber auch viele Nachteile.

Der Preis für ein Überleben nach dem Eingriff kann gerade für ältere Menschen hoch sein, erklärt Professor Andreas Unterberg, Direktor der Neurochirurgie am Heidelberger Uniklinikum zum Start der DGNC-Tagung in Düsseldorf. "Wir können durch diese Operation Leben retten, aber das zum Teil nur mit schweren Behinderungen." Schon bei jüngeren Menschen sei schwer vorauszusagen, wie gut eine Erholung ausfalle. Bei ihnen bildeten sich aber Einschränkungen wie Sprachstörungen oder Lähmungen dank Reha zumindest teilweise häufig zurück. Die Lebensqualität sei durchaus akzeptabel. "Bei älteren Menschen ist die funktionelle Erholung in der Regel aber nicht mehr so gut", sagt Unterberg. "Wir wissen: Je höher das Lebensalter, desto schwerer wird es, ein akzeptables Ergebnis zu erhalten." Die Schlaganfall-Gesellschaft weiß aus umfangreichen Datenerhebungen ganz grundsätzlich: "Der Schlaganfall ist die häufigste Ursache erworbener Behinderung im Erwachsenenalter."

Um welchen Eingriff geht es? Die OP wird Entlastungskraniektomie genannt und seit einigen Jahren bei jüngeren Schlaganfall-Patienten vorgenommen, um einen lebensbedrohlichen Druck im Schädelinneren zu senken. Ein Teil der Schädeldecke wird kurzzeitig entfernt, die harte Hirnhaut über dem Schlaganfallgebiet geöffnet, die anschwellende Hirnmasse bekommt Platz. Bei den Patienten unter 60 Jahren ist das Ergebnis stark: Ohne den Eingriff sterben laut DGNC bis zu 80 Prozent, mit ihm überleben die meisten.

"Macht diese OP auch bei älteren Menschen Sinn, dürfen wir Patienten über 60 Jahre ausschließen?" Diese Frage führte Unterberg zufolge zur Studie Destiny II, die nun zunächst in Grundzügen auf dem Kongress präsentiert wird. Zentrale Erkenntnis: Der Eingriff senkt die Mortalität bei älteren Patienten von 73 Prozent auf 33 Prozent. Zwei Patientengruppen im Durchschnittsalter von 70 Jahren waren gebildet worden. 49 zufällig Ausgewählte wurden operiert, zwei Drittel (67 Prozent) überlebten den schweren Schlaganfall. 63 Patienten wurden intensivmedizinisch ohne OP betreut, nur etwa ein Viertel (27 Prozent) überlebte. "Die Ergebnisse waren so eindeutig, dass die Studie abgebrochen werden musste", betont die DGNC.

Die schwierige Frage für Patienten, Angehörige und Ärzte kann also lauten: Auf jeden Fall überleben, um jeden Preis? "Eine bloße Lebensverlängerung um den Preis einer drastisch verschlechterten Lebensqualität wird fragwürdig", meint der Münchner Medizinethiker Ralf Jox. Ist ein Leben mit Bettlägerigkeit, extremer Sprachstörung und Pflegebedürftigkeit lebenswert? Wer entscheidet das? "Aus der Einstellungsforschung ist bekannt, dass viele Menschen in einem Zustand der kompletten verbalen Kommunikationsfähigkeit nicht leben wollen", gibt Jox zu Bedenken. Jede Entscheidung pro oder contra OP müsse im Einzelfall nach dem mutmaßlichen Patientenwillen getroffen werden. Eine Patientenverfügung sei ratsam. Ziel ist es nun, Prognosefaktoren für einen Erfolg einer Kraniektomie bei älteren Patienten zu erarbeiten. "Wir wollen auf wissenschaftlicher Basis herausfiltern, welche älteren Patienten von diesem Eingriff profitieren und mit guter Lebensqualität und wenig Behinderung überleben", sagt Unterberg. Das Thema wird immer mehr Menschen angehen. Der Schlaganfall ist überwiegend eine Erkrankung des höheren Alters. Da die Bevölkerung altert, wird auch die Zahl der Schlaganfall-Patienten steigen.

Mediziner könnten damit künftig häufiger vor existenziellen Entscheidungen stehen. "Selbstverständlich gilt die ärztliche Verpflichtung zur Lebensrettung nicht absolut und um jeden Preis", erklärt Jox vom Institut für Medizinethik an der Uni München. Solange der Arzt gut begründen kann, warum er keine Indikation für eine OP sieht, "darf er auf die Operation verzichten, ohne sich juristischen Risiken auszusetzen." Unterberg ergänzt: "Das sind höchst individuelle Entscheidungen, die allen Beteiligten jedes Mal schwer fallen werden. Es gibt keine Patentlösung."

(dpa)
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