Welt-Aids-Tag am 1. Dezember Aids: Eine "wirkliche Massenvernichtungswaffe"

Frankfurt/Main (rpo). Aids hat sich in den letzten Jahren zur größten medizinischen Katastrophe der Neuzeit entwickelt. UN-Generalsekretär Kofi Annan bezeichnet die Immunschwäche als eine "wirkliche Massenvernichtungswaffe". Zum Welt-Aids-Tag schwanken Experten zwischen Euphorie und Ernüchterung.

Doch obwohl viele Regierungen Aids als ernstes Sicherheitsproblem erkannt hätten, seien sie im Kampf gegen die Immunschwächekrankheit lange nicht so engagiert wie bei der Verfolgung von Terroristen oder der Suche nach Massenvernichtungswaffen.

"Das deutet doch auf eine unglaubliche Abgebrühtheit hin, die man so im 21. Jahrhundert nicht erwartet hätte", sagte Annan in einem am Freitag veröffentlichten Interview mit dem britischen Sender BBC zum Welt-Aids-Tag an diesem Montag.

Auf die Frage, ob er als UN-Generalsekretär den "Krieg" gegen Aids gewinne, antwortete Annan: "Ich gewinne den Krieg nicht, weil ich nicht glaube, dass sich die führenden Politiker der Welt ausreichend dafür einsetzen." Tief enttäuscht zeigte er sich vor allem von den USA und der Europäischen Union, die nicht genügend Geld für den Kauf von Medikamenten für die Dritte Welt, für Vorbeugungsprogramme und die Ausbildung von Ärzten und Pflegern bereitstellten.

Lebenserwartung der Infizierten steigt

Zwar lässt die in den 90er Jahren entwickelte Kombinationstherapie die Lebenserwartung der HIV-Infizierten stetig steigen, und auch eine Impfstoffbehandlung rückt langsam näher. Doch zugleich versagen immer mehr Medikamente, weil das Virus gegen sie resistent wird.

Und parallel dazu wächst die Sorglosigkeit junger Menschen im Umgang mit Aids. Steigende Infektionszahlen stehen für einen Irrglauben mit tödlichen Folgen. Denn auch noch 20 Jahre nach der Entdeckung des HI-Virus ist die Immunschwächekrankheit unheilbar.

Seit Einführung der so genannten antiretroviralen Therapie ist die jährliche Sterberate bei HIV-Infizierten in den westlichen Industriestaaten um 80 Prozent gesunken. 90 Prozent der Patienten überleben mittlerweile mehr als zehn Jahre.

Positive Entwicklung akut gefährdet

Doch jetzt ist diese positive Entwicklung akut gefährdet, wie der Inhaber der bundesweit ersten Aids-Professur, der Frankfurter Infektionsmediziner Schlomo Staszewski, aus Anlass des Welt-Aids-Tages am 1. Dezember betont: Wenn nicht kontinuierlich neue Medikamente und Behandlungsstrategien erforscht würden, seien die in der Vergangenheit erzielten Behandlungserfolge in Zukunft nicht mehr zu halten.

Bereits jetzt steige die Zahl jener Patienten, deren HI-Viren gegen die verfügbaren Medikamente resistent seien, sagt der Mediziner. Und immer mehr Infizierte könnten auch wegen der starken Nebenwirkungen der Arzneimittel die Behandlung nicht fortsetzen.

Hoffnung auf therapeutische Impfstoffe

Bei dem fieberhaften Bemühen, das Resistenzproblem in den Griff zu bekommen und die Aids-Therapie verträglicher zu machen, setzen die Experten große Hoffnung in die Entwicklung so genannter therapeutischer Impfstoffe. Sie sollen das Immunsystem von HIV-Patienten in die Lage versetzen, die Infektion unabhängig von Medikamenten zu kontrollieren.

Bereits in naher Zukunft sollen entsprechende Substanzen getestet werden. Doch bis sie in der Praxis eingesetzt werden, dürften noch viele Jahre vergehen.

Aber selbst wenn die Impfstofftherapie von Erfolg gekrönt sein sollte, bleibt fraglich, ob die große Mehrheit der HIV-Infizierten davon profitieren wird. Denn selbst von der Kombinationstherapie sind noch immer die meisten Menschen in den armen Ländern der Erde ausgeschlossen: Weltweit sind etwa 46 Millionen Menschen mit dem HI-Virus infiziert, zwei Drittel von ihnen in den Staaten südlich der Sahara. Und gerade hier sei der Zugang zu der antiretroviralen Behandlung in dramatischer Weise unzureichend, kritisieren die Experten des Aids-Programms der Vereinten Nationen (UNAIDS).

"Sparen an der falschen Stelle"

"Diesen Missstand zu beseitigen, muss auch unser Einsatz gelten", betont der Präsident der Deutschen Aids-Gesellschaft, Norbert Brockmeyer. Als größten Missstand in Deutschland wertet der Professor der Dermatologischen Universitätsklinik in Bochum die "neue Sorglosigkeit" im Umgang mit HIV und Aids.

Auf Safer Sex werde immer häufiger verzichtet, die Therapieerfolge würden überschätzt, und die öffentlichen Beratungsstellen litten unter Sparmaßnahmen. Daher könnten Aufklärungskampagnen vor allem in Schulen nicht mehr so intensiv geführt werden wie früher, kritisiert Brockmeyer.

Die Auswirkungen lassen sich mittlerweile auch in Zahlen ablesen: Erstmals seit 1997 wächst in Deutschland wieder die Zahl der Neuinfektionen, die zuletzt bei 2.000 stagnierte. Und Staszewski ist sich sicher: "Das ist erst der Anfang. Wir werden einen massiven Anstieg der Infektionen erleben."

Die Medizin stehe hier vor einer neuen Herausforderung: Denn bis zu 20 Prozent der neu infizierten Patienten haben sich mit resistenten HI-Viren angesteckt, gegen die die Standardtherapie nichts mehr ausrichten kann.

Vor diesem Hintergrund fordern die Experten, die Aids-Aufklärung von den Sparmaßnahmen auszunehmen: "Dies ist ein Sparen an der falschen Stelle", kritisiert Stefan Schubert vom Zentrum für Innere Medizin am Uniklinikum Leipzig. Denn Vorbeugung verhüte nicht nur großes Leid - "sie ist auch wesentlich billiger als die Behandlung von HIV-Infizierten".

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