Barmer GEK Arzneimittel Report 2013 41 Prozent mehr Psychopillen für Kinder

Düsseldorf · Zu viele Psychopillen für Kinder, zu viele Beruhigungsmittel für demente Senioren und viele Wirkstoffe gleichzeitig für ältere Menschen – zu diesen Feststellungen kommt der Arzneimittelreport 2013 der Barmer GEK, der heute in Berlin vorgestellt wurde.

Psychopharmaka - Chancen und Risiken
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Foto: Shutterstock/Thirteen

Zu viele Psychopillen für Kinder, zu viele Beruhigungsmittel für demente Senioren und viele Wirkstoffe gleichzeitig für ältere Menschen — zu diesen Feststellungen kommt der Arzneimittelreport 2013 der Barmer GEK, der heute in Berlin vorgestellt wurde.

Deutschlands Kinder werden immer mehr mit Psychopharmaka versorgt. Von 2005 bis 2012 sind die Verschreibungen um 41 Prozent gestiegen. Verursacht werden die Zuwächse vor allem durch neuere Präparate (plus 129 Prozent), während die Verschreibungen älterer Medikamente leicht rückläufig sind. Das ergab der Barmer GEK Arzneimittelreport 2013, für den die Daten der Versicherten analysiert worden sind.

Kein Anstieg psychatrischer Erkanungen

Bei Kleinkindern bis vier Jahren verschreiben Ärzte kaum noch Antipsychotika. Bei allen anderen steigen die Verordnungszahlen, am stärksten bei den 10- bis 14-Jährigen. "Eine medizinische Erklärung dafür lässt sich nicht direkt herleiten", sagt der Bremer Versorgungsforscher Prof. Dr. Gerd Glaeske. Weder zeigten Studien einen Anstieg psychiatrischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen, noch hätten sich die relevanten Therapieempfehlungen geändert. Zudem dürfe man nicht ausblenden, dass Antipsychotika zum Teil gravierende unerwünschte Wirkungen haben.

Doch auch bei Senioren hat sich in Sachen Arzneimitteln einiges verändert. Ein Drittel der 2,1 Millionen Versicherten über 65 ist laut der Studie von Polypharmazie betroffen. Sie nehmen also täglich mehr als fünf Arzneimittelwirkstoffe ein. Bei den Hochbetagten zwischen 80 und 94 Jahren ist fast jeder Zweite betroffen. Im Durchschnitt nehmen Männer über 65 Jahre täglich 7,3 Wirkstoffe ein, bei Frauen dieser Altersgruppe sind es 7,2.

Demenz-Medikamente lösen Demenz aus

Besonders kritisch siehen die Autoren den Einsatz von so genannten Benzodiazepinen bei Menschen mit einer Demenzerkrankung. Diese Schlaf- und Beruhigungsmittel wurden 2010 rund 23.500 Versicherten der Barmer GEK verschrieben, zu 70 Prozent an Frauen. "Das Risiko, Benzodiazepine verordnet zu bekommen, ist bei Menschen mit Demenz um das 1,5-fache erhöht", so Glaeske. Mit dem Wirkstoff verbunden sei ein Verlust kognitiver Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit, Erinnerung oder Lernen. "Ohne Zweifel sind viele ältere Menschen von Benzodiazepin-haltigen Arzneimitteln abhängig. Sie bekommen sie vermutlich oft nur, um quälende Entzugssymptome zu vermeiden", so Glaeske. Denkbar sei jedoch, dass sich nach langen Jahren der Abhängigkeit eher eine Demenz entwickle als bei Menschen, die deutlich seltener solche Mittel eingenommen haben.

Gegenmittel Transparenz

"Gerade die Ergebnisse zur Polypharmazie zeigen, dass wir dringend mehr Vernetzung und Transparenz im Gesundheitswesen brauchen", resümiert Dr. Rolf-Ulrich Schlenker, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Barmer GEK. "Hätten wir die elektronische Gesundheitskarte, das elektronische Rezept und die elektronische Patientenakte, hätten behandelnde Ärzte und auch Apotheker einen viel besseren Überblick über die Arzneimitteltherapie." Die riskante Multimedikation ließe sich durch elektronische Vernetzung viel besser steuern. Es müsse endlich Schluss sein mit der Blockadepolitik namhafter Ärztefunktionäre gegen eine moderne Telematikinfrastruktur.

(pst)
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