Nicht Burn-out, sondern Bore-out Wenn Langeweile krank macht

Frankfurt a.M. · Burn-out ist die Erschöpfungskrankheit, die jeder kennt. Wenig bekannt ist hingegen Boreout - das Syndrom der Unterforderung, das ebenso krank macht. Denn wer traut sich schon zum Arzt zu gehen, weil er sich langweilt?

Boreout: Wie gefährdet sind Sie?
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Foto: ddp

Burnout ist die Krankheit der Leistungsträger. Das Thema ist in aller Munde. Weniger prominent ist das Kontrast-Phänomen: das Boreout-Syndrom. Boreout kommt von boredom, zu Deutsch Langeweile. Mit Faulheit hat das nichts zu tun - ganz im Gegenteil.

E-Mails sortieren, Aktenstapel von rechts nach links räumen, wahllos in Dokumenten herumtippen - Geschäftigkeit vorzutäuschen, ist harte Arbeit. So hart, dass sie auslaugen kann. Im schlimmsten Fall bis zum Boreout, dem Syndrom der Unterforderten. "Unsere Gesellschaft ist gewissermaßen geteilt:
Burnout haben die Erfolgreichen. Die bekommen das ganze Interesse", sagt der Psychotherapeut Wolfgang Merkle aus Frankfurt. "Menschen mit Boreout werden weniger beachtet, obwohl sie fast die gleichen Symptome haben." Burnout wird etwa dreimal so oft diagnostiziert.

Die Symptome sind ähnlich

Boreout kann sich laut Merkle durch Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit, Schlafstörungen oder die Unfähigkeit, das Leben zu genießen, bemerkbar machen. "Das ist oft zuerst so ein dumpfes Empfinden im Hintergrund, dass irgendetwas falsch läuft", erläutert er. Auch unter körperlichen Symptomen könnten Betroffene leiden, zum Beispiel Magenbeschwerden, Schwindel, Tinnitus oder Kopfschmerzen.
Der Unterschied zum Burnout sei, dass die Erschöpfung durch den Stress der Unterforderung, nicht der Überforderung verursacht wird.

Unterstress entstehe durch zu wenige und falsche Aufgaben. Diese Fehlbelastung veranschaulicht Merkle so: "Das ist, als müsste ein sehr guter Schachspieler immer nur Mühle und Dame spielen." Die Diskrepanz zwischen dem, was man kann, und dem, was abgefragt wird, ergibt in Kombination mit fehlender Anerkennung puren Stress.

So kann man unterfordert sein

Als Beispiel für einen Boreout-Fall schildert der Schweizer Unternehmensberater und Buchautor Peter Werder eine typische Erlebniskette: Ein Bewerber erwartet von seinem neuen Job aufgrund der Ausschreibung und des Bewerbungsgesprächs eine Position als Projektleiter mit internationaler Erfahrung. "Am Schreibtisch stellt sich aber heraus, dass Sie nicht die Projektleitung haben, sondern nur eine Unterabteilung leiten, und dass Sie auch nur manchmal ein bisschen Englisch sprechen müssen." Er ist quantitativ und qualitativ unterfordert. Am Anfang ist das nicht schlecht, die freie Zeit bei der Arbeit genießt er sogar und gewöhnt sich daran. "Aber man ist eben unterfordert. Und die eigentliche Schwierigkeit ist, zu realisieren, dass das der Grund ist, warum man am Abend müde ist."

Auch ein Arbeitnehmer, der immer nur Teilaufgaben erledigen muss, könne an Boreout erkranken, ergänzt Jörg Feldmann von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Denn aus psychologischer Sicht sei es langfristig wichtig, auch mal Erfolgserlebnisse zu haben und Dinge abzuschließen.

Überlastung simulieren aus Unterfoderung heraus

Qualitative und quantitative Unterforderung gehen laut Werder miteinander einher. "Ohne eine quantitative Unterforderung müsste man ja schließlich keine Verhaltensstrategien anwenden." Und die gehören zum Boreout dazu. Mit Verhaltensstrategien meint er den Aktionismus der Betroffenen, der das Nichtstun kaschieren soll. Eine davon sei paradoxerweise die Burnout-Strategie, bei der Boreout-Geplagte ihr Problem gewissermaßen ins Gegenteil umkehren und von früh bis spät im Büro sind, um Überlastung zu simulieren. Es stimmt daher nicht, dass Betroffene einfach nur faul sind. "Absoluter Blödsinn", sagt Werder zu solchen Vorwürfen. "Wer Boreout hat, will ja arbeiten und leidet darunter, dass er es nicht kann." Laut Merkle trifft es daher in der Regel sogar eher die Leistungsbereiten.

Bemerken Arbeitnehmer, dass ihr Büroalltag in diese Richtung driftet, sollten sie möglichst früh das Zepter in die Hand nehmen, rät Merkle. Eine Lösung könne Teilzeitarbeit sein, ergänzt Werder.
Wer sich unterfordert fühlt, sollte den Chef darauf ansprechen, dass die eigene Stelle eigentlich keine volle, sondern nur eine 80-Prozent-Stelle ist. "Das kann durchaus eine Lösung sein." Zwar gibt es dann weniger Geld, aber im Büro ist man ausgelastet, und die freie Zeit kann man woanders sinnvoller verstreichen lassen.

Hier findet man Hilfe

Ist die Erschöpfungsdepression schon eingetreten, sollten Betroffene die Symptome ihrem Hausarzt schildern, rät Merkle. Der schicke ihn wahrscheinlich zu einem Facharzt für psychosomatische Medizin. "Das kann mit ein bis zwei Gesprächen pro Woche schon geklärt werden." In einigen Fällen könne aber auch der beste Therapeut nichts mehr retten: "Manchmal hilft nur die Kündigung."

(dpa)
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