Forschungsergebnis Warum offene Beine so schlecht heilen

Ulm (RPO). Spricht der Mediziner vom chronisch venösen Ulcus cruris, dann meint er eine Erkrankung, von der allein in den Industrienationen etwa drei bis fünf Prozent der Menschen betroffen sind. Die Rede ist von "offenen Beinen". Obwohl diese chronische Wundheilungsstörung besonders unter älteren Menschen sehr verbreitet ist, gab es bisher keine Antwort auf die Frage, warum diese Wunden über Monate oder gar Jahre hinweg nicht abheilen. Mediziner an der Ulmer Universitätsklinik für Dermatologie, ist es gelungen, erstmals den Prozess zu identifizieren, der für die chronische Entzündung verantwortlich ist.

 Regelmäßige Bewegung ist gut für die Venen und hift, Krampfadern und anderen Venenerkrankungen vorzubeugen. Beim Klich auf diese

Regelmäßige Bewegung ist gut für die Venen und hift, Krampfadern und anderen Venenerkrankungen vorzubeugen. Beim Klich auf diese

Foto: AOK

Als Durchbruch in der Dermatologie — und darüber hinaus, bewertet Prof. Dr. Karin Scharffetter-Kochanek, Ärztliche Direktorin der Klinik für Dermatologie, dieses Ergebnis. Nun hegt man in Ulm die Hoffnung, dass durch die vorliegenden Ergebnisse auch bei der Erklärung von Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Arteriosklerose von zentraler Bedeutung sein können.

Wie offene Beine entstehen

"Offene Beine" entstehen meist als Folge der chronisch venösen Insuffizienz (CVI). Diese Erkrankung der Beinvenen, die z.B. auch für Krampfadern verantwortlich ist, beginnt immer mit einer eingeschränkten Funktionsfähigkeit der Beinvenenklappen. Auch diese ist eine Volkskrankheit: Die Veranlagung dazu haben rund zehn Prozent der Weltbevölkerung. Die Venenklappen pumpen Blut zum Herzen. Wenn sie nicht mehr richtig funktionieren, staut sich das Blut im Unterschenkel. Durch den dort herrschenden erhöhten Druck werden u.a. rote Blutkörperchen (Erythrozyten) durch die Wände der Blutgefäße gepresst, was diese mit der Zeit zerstört.

Verfärbungen durch Krampfadern

Typischerweise erkennt man eine CVI daran, dass sich die Haut bräunlich verfärbt. Das liegt daran, dass Erythrozyten sehr viel Eisen enthalten. Sie sterben im Gewebe ab und das Eisen setzt sich dort fest. Im schlimmsten Fall entwickelt sich aus einer CVI dann ein "offenes Bein", sei es spontan oder durch kleine Verletzungen.

Normalerweise läuft die Wundheilung nach einem klar geregelten Muster ab. Ein wichtiger Baustein sind dabei sogennate Makrophagen als Element der Immunabwehr des Menschen. Sie schützen das Immunsystem vor körperfremden Zellen wie Bakterien oder Viren, aber auch vor gealterten, zerstörten oder abgestorbenen körpereigenen Zellen. Sie erkennen diese und nehmen sie in sich auf.

Aufgrund dieser Eigenschaft heißen sie auch "Fresszellen". Bei einer Verletzung fördern sie die Wundheilung, indem sie vorübergehend aktiviert werden und Stoffe freisetzen, die eine lokale Entzündung auslösen. Dies ist eine wichtige erste Phase im Wundheilungsprozess. In einer späteren Phase der Wundheilung fördern Fresszellen u.a. den Aufbau von Narbengewebe. "Bei 'offenen Beinen‘ ist der Ablauf der Wundheilung nachhaltig gestört", erklärt Scharffetter-Kochanek.

Hyperaktive Fresszellen sorgen für Dauerentzündung

Auch bei der CVI sind Makrophagen im Spiel. Sie 'fressen‘ die abgestorbenen eisenhaltigen Erythrozyten. Die Forscher gingen deshalb der Frage nach, welche Rolle das Eisen in der Krankheitsgeschichte von therapieresistenten 'offenen Beinen‘ spielt. In einem einfachen Experiment untersuchten die Ulmer Mediziner, ob sie im Rand solcher Wunden Fresszellen mit Eisen entdecken können.

Das Ergebnis: Sie enthielten nicht nur alle Eisen, sondern blieben dauerhaft aktiv, speicherten sogar das Eisen aus dem Wundgewebe. Dadurch komme es nach Aussage der Forscher zu einer vollkommenen Eisenüberladung.

Warum ist das so?

Die Makrophagen setzen nach Aussage der Ulmer Mediziner durch die Eisenüberladung einen Stoff frei, der Entzündungszellen anzieht. Ein Zuviel dieses Stoffes, nämlich TNF-α, heißt also: zu viele Entzündungszellen. Und zwar so übermäßig viele, dass die Fresszellen dauerhaft aktiviert bleiben. Dies hält die Entzündung am Leben und hemmt so die Wundheilung, weil der Wundheilungsprozess in der Entzündungsphase verbleibt und nicht weiter geht. Ein Teufelskreis.

(wat/chk)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort