Risiko für einen Schlaganfall Volkskrankheit Vorhofflimmern
Düsseldorf (RP). Vorhofflimmern (VHF) ist die häufigste Herzrhythmusstörung in Deutschland. Etwa eine Million Menschen sind davon betroffen, viele haben allerdings gar keine Symptome. Trotzdem erhöht Vorhofflimmern das Risiko für einen Schlaganfall deutlich. Neue Therapien können VHF ausschalten.
Damit das Herz als komplexe Maschine des Organismus reibungslos arbeitet, muss gelegentlich auch der Elektriker kommen. Der kümmert sich immer, wenn Leitungen nicht sauber verlegt sind, wenn Widerstände falsch oder gar nicht arbeiten, wenn Kriechströme oder dauerhafte Turbulenzen entstehen. Da muss er zum Beispiel isolieren — das ist auch am Herzen mitunter nötig.
Die Elektrophysiologen sind unter den Kardiologen eine Minorität, die derzeit indes riesigen Aufwind erlangt. Herzrhythmusstörungen nehmen längst einen wichtigen Posten in kardiologischen Kliniken ein, zumal sie sich immer besser und wirkungsvoller behandeln lassen; das lästige Vorhofflimmern (VHF), unter dem man früher gottergeben litt, bis möglicherweise ein Schlaganfall dem Leiden ein Ende machte, erlebt fast eine Inflation bei den Therapie-Verfahren. Ernst G. Vester, kardiologischer Chefarzt am Evangelischen Krankenhaus Düsseldorf: "Bei uns stieg die Zahl der Eingriffe von zwei pro Monat auf vier pro Woche."
Symptome, Gefahren, Therapie Sicher ist, dass viele Patienten ihr VHF nicht bemerken. Die Betroffenen klagen aber über Müdigkeit, starkes Herzklopfen oder Schlafstörungen. Herzrasen bemerken 70 bis 80 Prozent der symptomatischen Patienten. Ebenso sicher ist, dass fast jedes VHF beendet werden kann — wenn nicht medikamentös oder durch die Kardioversion (schmerzloser Elektroschock bei Kurznarkose), dann durch die ein- oder mehrmalige Ablation (Verödung) unkoordinierter elektrischer Impulse in der Muskulatur des linken Vorhofs. Die sind gefährlich, weil sich im Vorhof Blutgerinnsel bilden können, die im Gehirn einen Schlaganfall verursachen können. Unter diesen Impulsen leidet aber auch das ganze Herz, weil sie vom obersten Leitungskontrolleur im Herzen, dem AV-Knoten, nicht ausreichend gebremst und vereinheitlicht werden können. Die Folge ist oft ein unregelmäßiger Puls (absolute Arrhythmie); der AV-Knoten leitet pro Minute von 350 bis 600 Vorhofimpulsen in unregelmäßigen Abständen nur etwa 100 bis 160 zu den Kammern über.
Gezielte Narben Die Ablation per Hochfrequenz-Katheter ist fraglos das Mittel der Zukunft, und die Kardiologen haben auch den Herd des Übels identifiziert. Sie wissen, dass schnelle elektrische Impulse aus den Lungenvenen eine große Rolle bei der Auslösung von VHF spielen. Deshalb trachten sie danach, die Lungenvenen (Pulmonalvenen) elektrisch von der linken Vorkammer abzukoppeln und zu isolieren. Die Hitzeentwicklung durch die Katheterspitze verursacht absichtsvoll feine Narben. Sie bilden dann eine Barriere, die die Ausbreitung von elektrischen Impulsen einschränkt und das VHF unterbindet. "Wir ziehen zielsicher eine Verödungslinie um die Lungenvenen und überprüfen den Erfolg ebenfalls per Katheter", berichtet Istvan Szendey, Oberarzt für Elektrophysiologie am Krankenhaus St. Franziskus in Mönchengladbach.
Platzierung Das liest sich gefährlich. Lars Lickfett, Oberarzt der Uniklinik Bonn, gibt indes Entwarnung: "Die Funktion der Lungenvenen als Blutleiter zwischen Lunge und Herz wird durch Ablation nicht beeinflusst." Der Weg zum Verödungsgebiet erfolgt durch einen oder mehrere Katheter, ähnlich der Katheteruntersuchung der Herzkranzgefäße — nur wird der Katheter durch die untere Hohlvene vorgeschoben, nicht durch die Aorta. Da die Hohlvene im rechten Vorhof mündet, muss auf dem Weg in den linken Vorhof die Herzscheidewand durchstoßen werden; das Loch wächst aber schnell wieder zu.
Richtiger Zeitpunkt Fachleute sind sich einig, dass das Ablationsverfahren umso effektiver ist, je früher es in der VHF-Karriere des Patienten durchgeführt wird. "Ideale Kandidaten sind Patienten mit anfallsartigem Vorhofflimmern, deren Vorhöfe noch nicht wesentlich vergrößert sind", betont Marcus Wieczorek, Chef der Elektrophysiologie am Herzzentrum Duisburg: "Wer bereits an chronischem VHF leidet, bei dem können neben der Lungenvenen-Isolation weitere Verödungsbehandlungen des linken Vorhofs nötig sein." Dann dauert die Behandlung länger, auch wird eventuell ein zweiter Eingriff nötig.
Routine mit Bildern Was bekommt der Patient davon mit? Nichts — er schlummert unter einem kombinierten Schlafmittel. Wer alles verschläft, bemerkt naturgemäß auch nicht, dass sich die Behandlungsdauer durch wachsende Routine der Operateure deutlich verkürzt hat. Wichtig: "Auch die notwendige Röntgenstrahlung wurde zugunsten von Patient und Arzt deutlich reduziert", sagt Szendey. Hilfreich bei allen Verfahren ist die Dreidimensionalität der anatomischen Bilder, an denen sich die Operateure bei der Navigation durch den Vorhof orientieren. Vor dem Eingriff angefertigte CT- und MRT-Aufnahmen werden beim Eingriff mit Realbildern verschmolzen. Vester: "So können wir mit dem Katheter die Lungenvenen exakt ansteuern."
Komplikationen Trotzdem gibt es in einigen Fällen Komplikationen, "die sind aber gut beherrschbar" (Vester). In seltenen Fällen (einer von 1500 Eingriffen) kommt es durch das "Brutzeln" im Vorhof (Jargon der Kardiologen) zu einer gefährlichen Fistel, einer offenen Verbindung zur Speiseröhre. Neue Katheterverfahren kontrollieren den Anpressdruck des Katheters ans Herzmuskelgewebe und vermeiden zu starke Hitzegrade. "Auch eine Temperatursonde in der Speiseröhre gibt uns Signale, wann es zu heiß wird", sagt Vester.
Kälte-Ablation Während er, Wieczorek, Szendey und Kollegen bei der Isolation der Lungenvenen und eventuell auch innerhalb des ganzen Vorhofs Punkt für Punkt mit Hitze arbeiten, bewaffnet sich Lickfett zuweilen mit Kälte. Lickfett: "Bei der Cryo-Ballon-Ablation der Lungenvenen wird der Ballon durch eingepresstes und verdampfendes Lachgas entfaltet und auf bis zu minus 60 Grad Celsius herabgekühlt." Auch hierbei entsteht eine elektrisch nicht leitfähige Narbe. Allerdings taugt der Kälteballon bei chronischem VHF nicht. Zudem kann es kurzzeitig zur Lähmung des rechten Zwerchfellnervs kommen.
Erfolgsraten Die Erfolgsraten bei diesen Verfahren liegen zwischen 60 und 80 Prozent VHF-Freiheit nach einem Jahr. Allerdings gibt es noch kaum Langzeitdaten, vor allem nicht bei innovativen Verfahren, die manche erst seit ein paar Monaten anwenden. Deshalb warnte auch der jüngste Kardiologen-Kongress in Stockholm bei aller Würdigung guter Ergebnisse der Katheter-Ablation vor Jubeloptimismus; Medikamente seien weiterhin wichtig für Patienten, bei denen VHF nur gelegentlich auftritt.
Medikamente Allerdings ist auch der medikamentöse Bereich in Bewegung; das gebräuchliche Antiarrhythmikum Amiodaron ist effektiv, aber toxisch und kann Lunge, Schilddrüse und Auge schädigen. Mancher Kardiologe hält diese Nebenwirkungen aber für den Ausweis der Wirksamkeit des Arzneistoffs. Neue Wirkstoffe wie Dronedaron und Vernakalant sind bereits zugelassen, bedürfen aber langfristiger Kontrolle.