Leistungsdruck macht viele krank So gestresst sind unsere Schüler

Düsseldorf (RP). Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Depressionen: Täglicher Leistungsdruck und hausgemachte Probleme machen viele Kinder und Jugendliche krank. Schüler und Eltern stellen deshalb die Verkürzung der Gymnasialzeit auf acht Jahre in Frage. Experten geben Tipps, wie man Stress vermindern kann.

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Foto: ddp

Wenn Anna aus der Schule kommt, dann hat sie meistens einen Neun-Stunden-Tag hinter sich. Montags und mittwochs hat sie Nachmittagsunterricht, bis 16 Uhr. Anna muss mit dem Bus zum Gymnasium in die Stadt fahren. Anderthalb Stunden ist sie jeden Tag unterwegs. Dienstags und freitags hat sie außerdem Nachhilfe. Und dann sind da ja noch die Hausaufgaben. Oft kann Anna nicht schlafen, weil sie sich Sorgen macht. Anna ist in der siebten Klasse. Anna ist zwölf Jahre alt.

Das ist zwar ein fiktives Beispiel, aber so wie Anna geht es vielen Kindern auch in NRW: Fast 30 Prozent zeigen mehrmals pro Woche Stress-Symptome. Das zeigt eine Studie der Uni Lüneburg für die Krankenkasse DAK. 38 Prozent der Mädchen haben mehrmals pro Woche psychosomatische Beschwerden. 4500 Schüler aus vier Bundesländern erzählten von Schwindel, Schlafstörungen, Verzweiflung. Je älter sie sind, desto kränker fühlen sie sich.

Arnold Evertz kennt das gut. "Auf den Kindern und Jugendlichen liegt enormer Druck", sagt der Vorsitzende des Landesverbands Schulpsychologie. Wenn etwa 13-Jährige ihr Leben praktisch alleine meistern müssten, da die Familie durch eine Scheidung zerrissen sei, "dann führt das zu Überforderung".

Oft braucht es aber gar keine häusliche Katastrophe, damit es Schülern schlecht geht. "Auch der Vergleich mit Gleichaltrigen verursacht Stress", sagt Arnold Lohaus, Psychologe an der Uni Bielefeld. "Das beginnt schon am Übergang von der Grundschule zur Sekundarstufe." Die Hälfte der Grundschulkinder habe mindestens einmal pro Woche Kopfschmerzen. Und es gibt den selbstgemachten Freizeitstress: "Wer den halben Tag vor Computerspielen sitzt, dessen Herz schlägt schneller, und der schüttet mehr Stresshormone aus."

Am Gymnasium kommt die Verkürzung der Schulzeit von neun auf acht Jahre (G 8) hinzu, landläufig "Turbo-Abi" genannt. Schon Fünftklässler haben deshalb Nachmittagsunterricht. Nach einem Sturm des Protests hat das Schulministerium 2008 das Turbo-Abi etwas entschärft — durch Begrenzung des Nachmittagsunterrichts und teilweises Verbot von Hausaufgaben zwischen zwei langen Schultagen.

Jede Schule müsse sich aber zusätzlich etwas einfallen lassen, sagt Konrad Großmann, Chef der Rheinischen Direktoren-Vereinigung und Schulleiter in Düsseldorf: mehr Doppelstunden etwa und 60-Minuten- statt 45-Minuten-Stunden, damit weniger verschiedene Fächer pro Tag unterrichtet werden, Konzentration der Hausaufgaben auf Kernfächer oder längere Pausen. "Dringend erforderlich" seien auch mehr Schulpsychologen. Jeder Schule müsse ein Psychologe zur Verfügung stehen.

Eberhard Kwiatkowski von der Landeselternkonferenz würde G 8 gern noch einmal komplett überprüfen. Schließlich sei etwa der Verzicht auf Hausaufgaben zwischen zwei langen Schultagen längst nicht überall Wirklichkeit. Johannes Struzek von der Landesschülervertretung reicht das alles nicht: Das Turbo-Abi müsse weg, fordert er — "es gibt nur noch Druck, ein Großteil der Freizeit ist weggefallen".

Das Schulministerium hält dagegen: In den meisten Staaten sei die Schulzeit "deutlich kürzer". Die deutschen Abiturienten seien "zu alt", sagt Schulministerin Barbara Sommer (CDU). G 8 sichere ihnen internationale Chancengleichheit. Zudem nähmen bereits 100 Schulen am Programm "Bildung und Gesundheit" teil und entwickelten konkrete Maßnahmen, das Wohlergehen ihrer Schüler zu stärken.

Was aber können Schüler und Eltern tun? Tipps des Schulpsychologen Evertz und des Psychologie-Professors Lohaus: Schüler sollten regelmäßig essen, um Unterzuckerung zu vermeiden, regelmäßige Pausen machen, Tag und Arbeit klar strukturieren — mit den Leitfragen: Was muss ich tun? Wie gehe ich vor? Wichtig sei ein fester Arbeitsplatz, möglichst im eigenen Zimmer.

Eltern sollten mit ihren Kindern Geschichten lesen oder spielen — das entspannt. Bei Jugendlichen hälfen klare Ansagen, die aber Freiraum lassen, etwa: Die Schlafenszeit darf selbst festgelegt werden, aber vorher gibt es keine Computerspiele. Und: Eltern sollten ihre Kinder anhalten, Hausaufgaben zu machen, aber nicht den Lehrer ersetzen. Kinder dürften auch mit falschen Aufgaben zur Schule gehen.

(RP)
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