Kopfschmerz-Attacken verhindern Prophylaxe bei chronischer Migräne

Berlin/München (rpo). Für Menschen, die noch nie davon betroffen waren, ist die Heftigkeit einer Migräneattacke nur schwer vorstellbar. Vielleicht ist das Gefühl am besten mit einem schweren Alkoholkater vergleichbar. Die Schmerzattacken lähmen den Alltag, oft begleitet von Übelkeit, Licht- und Geräuschempfindlichkeit.

 Bis zu 80.000 Betroffene gibt es mittlerweile in Deutschland.

Bis zu 80.000 Betroffene gibt es mittlerweile in Deutschland.

Foto: ddp, ddp

"Wer vier oder mehr Attacken pro Monat hat, für den ist Vorbeugung ratsam", betont Neurologe und Schmerzexperte Martin Gessler aus München. "Auch wenn die Attacken länger als 72 Stunden andauern, ist eine Prophylaxe empfehlenswert."

Während Migräne-Attacken mit Schmerzmitteln - meist so genannte Triptane - bekämpft werden können, besteht die Vorbeugung aus einer Kombination von Wirkstoffen und Verhaltenstraining. Im Mittelpunkt steht die Schmerztherapie mit Medikamenten.

"Auf diesem Gebiet hat es große Fortschritte gegeben", sagt Jan-Peter Jansen, Arzt im Schmerzzentrum Berlin und Vorsitzender der Stiftung Kopfschmerz. "Ende 2005 wurde in Deutschland der Wirkstoff Topiramat zur Migräne-Prophylaxe zugelassen."

Kein Wundermittel

Bislang behandelten Ärzte mit der Substanz Epilepsie-Patienten. In der Praxis zeigte sich, dass sie auch gegen Migräne wirkt - er schützt das Gehirn vor übermäßiger Erregung und bremst Schmerzreize. Zur Prophylaxe muss das Medikament täglich eingenommen werden. "Ein Wundermittel, das die Migräne komplett vergessen lässt, darf dennoch niemand erwarten", betont Jansen.

"Eine Studie hat gezeigt, dass sich bei bis zu 70 Prozent der Anwender die Attacken deutlich reduzierten - von viermal auf ein- bis zweimal pro Monat. Außerdem waren sie weniger intensiv. Das ist ein großer Erfolg", berichtet Gessler. "Der Wirkstoff hat wenig Nebenwirkungen. In der Anfangsphase tritt ein leichtes Kribbeln in den Fingern auf. Darüber hinaus kommt es manchmal zu leichter Müdigkeit, einige Patienten verlieren drei bis vier Kilo an Gewicht."

Eine Alternative zum neuen Wirkstoff sind Betablocker, die als Blutdruckmittel bekannt sind. "Sie haben ebenfalls eine gute prophylaktische Wirkung", unterstreicht Jansen. Allerdings hätten viele Patienten Angst vor Nebenwirkungen. "Das Medikament kann eine Gewichtszunahme auslösen und sorgt dafür, dass die Herzfrequenz gesenkt wird. Bei Männern kann es zu Erektionsstörungen kommen", sagt Jansen. Auch dürften Betablocker nicht eigenmächtig abgesetzt werden, da ein plötzlicher Verzicht zu Herzrhythmusstörungen führen könne.

Muskelentspannungsübungen

Auch eine Prophylaxe mithilfe von so genannten Kalziumantagonisten ist möglich. Allerdings seien diese Medikamente mit dem Wirkstoff Flunarizin nicht für alle geeignet. "Die Patienten nehmen in der Regel drei bis fünf Kilo zu", betont Jansen. So wird diese Form der Migräne-Prophylaxe hauptsächlich Untergewichtigen empfohlen.

Unabhängig vom Wirkstoff sind Medikamente allein zur Vorbeugung wenig sinnvoll. Ärzte raten deshalb zu einer Kombination aus Verhaltenstherapie und Bewegung. "Empfehlenswert sind Muskelentspannungsübungen nach Jacobson", sagt Jansen. Sie können helfen, die Anspannung abzubauen, die zu Migräne-Schüben führt.

Mit seinen Patienten trainiert Jansen, aktiv mit den Migräne-Attacken umzugehen, die trotz Medikament noch auftreten. "Die Betroffenen müssen lernen, typische Vorboten eines Anfalls zu erkennen", sagt der Mediziner. "Kündigt sich die Attacke an, kann der Patient schon sehr frühzeitig Triptane einnehmen. Dann helfen sie am besten", sagt Jansen. Doch auch der Tagesablauf kann Einfluss auf die Migräne haben. "Feste Schlaf- und Essenszeiten können helfen, den Attacken vorzubeugen", rät Gessler.

Patienten, die eine Prophylaxe beginnen wollen, sollten zuerst den Kontakt zum Hausarzt suchen. Doch nicht immer werde Migräne als Leiden ernst genommen, wissen die Experten. "Betroffene, die nicht genügend Unterstützung bekommen, sollten sich an einen Schmerzspezialisten wenden. Wenn die Diagnose Migräne nicht zweifelsfrei feststeht, hilft ein Neurologe weiter", unterstreicht Gessler.

(afp2/chk)
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