In der Praxis So entschlüsseln Sie das Fachchinesisch Ihres Arztes

Düsseldorf/Bochum · Verstehen Sie, was Ihr Arzt Ihnen sagen will? Viele verzweifeln an Kürzeln und medizinischen Fachbegriffen und verlassen die Arztpraxis ähnlich ahnungslos, wie sie sie betreten haben. Hier erfahren Sie, warum das so ist und wie Sie Ihren Arzt dazu bringen, Klartext zu reden.

Was Ihr Arzt meint, wenn er Folgendes sagt...
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Foto: Shutterstock/sukiyaki

Ein bekanntes Szenario: Hartnäckige Nackenschmerzen treiben eine Patientin zum Arzt. Dort sitzt sie mehr als eine Stunde bis zum Aufruf ins Behandlungszimmer. Nach weiteren zehn Minuten Wartezeit kommt der Mediziner hektisch zur Tür herein und fragt nach dem Grund des Besuchs. Nackenschmerzen hört er und spürt der Ursache gleich routiniert nach: Sitzende Tätigkeit? Die bejaht die Patientin und schiebt nach, dass sie auch seit einiger Zeit keine Zeit mehr für Sport habe. Zudem seien die Kinder klein und würden viel getragen.

Die Diagnose: HWS-Syndrom durch Verspannungen der Nackenmuskulatur. Stressbelastung und Bewegungsmangel werden festgestellt, und nach nur sechs Minuten verlässt die Betroffene das Behandlungszimmer wieder mit einer Physiotherapieverordnung. Wenn der Zustand sich danach nicht bessere, müsse man über ein CT nachdenken, ruft der Arzt ihr noch hinterher.

So hat es beinahe jeder schon erlebt. Bombardiert mit stakkatoartigen Fragen, verarztet mit Fachbegriffen wie HWS oder CT und verärgert über sich selbst. Denn unerwähnt blieben in der Kürze der Zeit die dauernd einschlafenden Finger und das Gefühl laufender Ameisen im Arm, ebenso wie die Bewegungseinschränkung beim Drehen des Halses. Immerhin aber konnte sich in diesem Fall die Betroffene selbst einen Reim auf Abkürzungen wie HWS für Halswirbelsäule und CT für Computertomographie machen.

Facharztbezeichnungen und was sie bedeuten
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Foto: Shutterstock/VGstockstudio

Das ist nicht immer so, denn, so bemängelt Eugen Brysch, Vorsitzender der Deutschen Stiftung Patientenschutz: "Diagnosen erfolgen meist auf Lateinisch. Laborbefunde mit Blutwerten oder anderen Vitalzeichen werden nicht übersetzt oder verständlich eingeordnet. Kürzel wie 'EKG' oder 'EEG' werden als bekannt vorausgesetzt", sagt er. Besonders schwierig sind Fachbegriffe wie Appendizitis oder Apoplexie. Patienten, die mit solchen medizinischen Fachvokabeln gefüttert werden, sind oft überfordert. Übersetzt als Blinddarmentzündung oder Schlaganfall hingegen, können auch die meisten Laien die Situation gleich einordnen.

Die Folge solch medizinischer Fachsimpelei: Viele Patienten sind unzufrieden und fühlen sich von ihrem Arzt abgefertigt. In der Realität verlassen Kranke die Arztpraxen oft mit Diagnosen oder Überweisungen, die ihnen Rätsel aufgeben. "Wir Patientenschützer gehen davon aus, dass 25 Prozent der Patienten ihren Arzt nicht richtig verstehen. Das ist ein Alarmsignal. Gegenseitiges Verstehen ist unabdingbar für eine korrekte Diagnose und eine erfolgreiche Therapie", sagt Eugen Brysch, Vorsitzender der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Mangelndes Verstädnis ist häufig der Grund für die Nicht-Einnahme verordneter Medikamente. Wenn Sie mehr darüber wissen möchten, lesen Sie hier weiter.

Auf sich allein gestellt, versuchen manche Patienten bei der Sprechstundenhilfe Genaueres in Erfahrung zu bringen. Andere suchen des Rätsels Lösung im Internet und wissen erst dann, dass der Pneumologe ein Lungenfacharzt ist. "Mittlerweile werden bundesweit Patientenseminare angeboten. Die Teilnehmer sollen danach den Arzt besser verstehen", bringt Eugen Brysch sein Unverständnis darüber zum Ausdruck. Er ist der Auffassung, dass es Aufgabe der Ärzte sei, ihre Patienten in verständlicher Sprache zu informieren und nicht umgekehrt die der Patienten, "das medizinische Fachchinesisch zu erlernen".

Kommunikationsexperte Dr. Tim Peters von der Ruhr-Universität Bochum sieht verschiedene Ursachen, die zu Unverständnis und Missverständnissen zwischen Behandler und Behandeltem führen: "Der Erwartungsdruck der Patienten ist hoch und zudem der ökonomische Druck immens gewachsen." Patienten wird in Anbetracht voller Wartezimmer und fester Abrechnungspauschalen nicht mehr die Zeit gegeben, in Ruhe und Ausführlichkeit über ihre Symptome zu sprechen. "Es ist nicht, dass die Ärzte dafür nicht sensibel genug sind, sondern sie arbeiten am Anschlag", sagt Peters. Wie sehr Zeitmangel auf das Arzt-Patienten-Verhältnis auswirkt, hat er 2002 untersucht. Dazu zeichnete er in 52 Düsseldorfer Hausarztpraxen mit Zustimmung der Ärzte insgesamt 100 Gespräche auf.

Dabei zeigte sich: Unter Zeitdruck ließen die Ärzte ihre Patienten nicht mehr ausreden und unterbrachen sie dauernd. In einem Fall ließ ein Mediziner sein Gegenüber gerade einmal vier Sekunden sprechen, um dann ein anderes Thema anzuschneiden. In anderen Fällen erhöhten die Behandler die Lautstärke, um sich Dominanz zu verschaffen, oder verfielen in unverständliches Fachvokabular, um Therapieoptionen anzupreisen.

Blutwerte - was sie bedeuten
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Statt sich berieseln zu lassen und schweigend auszuharren, rät er dem Patienten dazu, in freundlichem Ton nach den Dingen zu fragen, die ihm unklar sind. "Scheuen Sie sich nicht, so oft nachzufragen, bis Sie es verstanden haben", so Peters. Oft trauen sich Betroffene nicht aus Respekt vor dem Beruf des Arztes oder seinem Status. "Anderen ist es auch peinlich zuzugeben, dass sie etwas nicht verstehen", sagt Peters. Seiner Erfahrung nach ist es für den Mediziner einfacher, wenn ihn der Patient per Ich-Botschaft anfunkt und so begreifbar macht, wo für ihn das Problem liegt. Dr. Tim Peters rät zu Formulierungen wie: Ich verstehe das nicht. Bitte erklären sie mir das noch einmal.

Auch helfe eine offene Kommunikation: "Aussagen wie 'Ich habe Angst davor‘", überraschen den Arzt möglicherweise im ersten Moment, doch kann er auf so etwas klarer reagieren", sagt der Kommunikationsexperte. Denn ein zusätzliches Problem macht es den Medizinern schwer, sich abseits ihrer Fachsprache zu bewegen: "Sechs Jahre lang pauken sich angehende Mediziner im Studium die Fachbegriffe ein und können auf ein Stichwort hin alle Fakten dazu ausspucken. Das ist auch nötig, um sich mit Kollegen effektiv zu verständigen. Dann aber sollen sie diese Begriffe in der Praxis nicht mehr verwenden." Manche Ärzte seien so im Thema verwurzelt, dass sie im Eifer des Gefechts nicht bemerken, wie sehr sie im Fachchinesisch schwelgen.

Doch es geht auch anders herum, wie die Initiative washabich.de zeigt, die kostenlos ärztliche Befunde in verständliches Deutsch umformuliert. "Seit 2011 haben 1300 Medizinstudenten und Mediziner im Team ehrenamtlich mehr als 25.000 Befunde für Patienten verständlich übersetzt", sagt ihr Geschäftsführer Ansgar Jonietz. Das ist so gefragt, dass die vielen Patienten erst einmal in einem virtuellen Wartezimmer abwarten, bis sie ihre Anfrage schicken können. 150 Befunde werden derzeit in der Woche abgearbeitet. "Am häufigsten sind es Röntgenbefunde oder solche nach Kernspintomografien", sagt Jonietz.

Er sieht jedoch auch die Patienten mit in der Verantwortung: "Studien besagen, dass bis zu 80 Prozent der Informationen eines Arzt-Patienten-Gesprächs verlorengehen." Verursacht ist das unter anderem durch die Aufregung oder auch Angst vor einer schweren Diagnose. "Problematisch ist, dass man beim Arzt nur mündliche laienverständliche Informationen bekommt", die prägen sich schwerer ein als schriftliche. Aus diesem Blickwinkel heraus kann es hilfreich sein, sich im Arztgespräch Stichworte mitzuschreiben. Das erleichtert das Behalten, aber auch ein gezieltes Nachfragen.

Schützen kann allerdings auch das nicht vor Missverständnissen, die sich aus den verschiedenen Sichtweisen auf ein und dasselbe Problem ergeben. Beispiel hierfür: Der Arzt fragt: "Haben Sie im Moment viel Stress?" Beim Patienten kommt zwischen nonverbal die Botschaft an: "Der meint, ich habe eigentlich gar nichts", in Wahrheit aber zielt der Arzt darauf ab, Überlastungssymptome ausfindig zu machen.

Auch andere Aussagen führen in Verständnissackgassen. "Das ist ja sehr spannend. Das würde ich mir gerne genauer ansehen", sagt der Arzt beim Blick auf ein Röntgenbild und versetzt damit den Patienten möglicherweise in Auffuhr, weil ihn diese Aussage erschreckt und er denkt, der Arzt habe etwas besonders Schlimmes entdeckt. "Aus Sicht des Mediziners, der ständig ähnliche Röntgenbefunde ansieht, mag ein davon abweichender sicherlich interessanter sein. Allerdings wäre es dann besser, dem Patienten zu erklären, was zu sehen ist und worauf das hindeuten könnte", sagt Tim Peters.

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Er ist jedoch optimistisch, was das sprachliche Einfühlungsvermögen heranwachsender Medizinergenerationen angeht. Mehr und mehr finden gezielte Schulungen, wie auch er sie anbietet, Eingang in die medizinische Ausbildung und werden zu Prüfungsinhalten. Was die Medizinstudenten mit Schauspielern geprobt haben, geht später in der Praxis dann möglicherweise leichter von den Lippen.

(wat)
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