Hilfe bei der tödlichsten Krebserkrankung Lungenkrebs - diese neuen Therapieoptionen gibt es
Essen/Düsseldorf · Lungenkrebs ist die mit Abstand häufigste zum Tode führende Krebserkrankung in Deutschland. Der Krebs gilt als schlecht behandelbar. Oft liegen zwischen Diagnose und Tod nur wenige Monate. Doch es gibt Diagnose- und Therapieoptionen, die die Behandlungs- und Heilungsaussichten verbessern. Ein Überblick.
Jedes Jahr erhalten rund 50.000 Menschen in Deutschland die Diagnose Lungenkrebs. „Nur Bauchspeicheldrüsenkrebs hat eine schlechtere Prognose“, sagt Martin Schuler, stellvertretender Direktor des Westdeutschen Tumorzentrums der Universitätsmedizin Essen. Konkret heißt das: Die Fünf-Jahres-Überlebensrate beträgt bei Frauen 21 Prozent, bei Männern sogar nur 15, wie das Zentrum für Krebsregisterdaten ausweist. Rund 70 Prozent der Betroffenen sind zum Zeitpunkt der Diagnose nicht mehr heilbar.
Ein Grund dafür: Betroffene spüren oft erst spät, dass etwas nicht stimmt. Denn Lungenkrebs verursacht, weil das Lungengewebe nicht sehr schmerzempfindlich ist, zunächst keine Beschwerden. Die Betroffenen wenden sich oft erst an einen Arzt, wenn Symptome wie anhaltender Husten, blutiger Auswurf, Atemnot oder pfeifende Atmung, Fieber und Nachtschweiß auftreten. Werden dann Tumore gefunden, ist der Krebs oft bereits im fortgeschrittenen Stadium.
Ein mithilfe strahlenarmer Computertomographie gemachtes Lungenscreening bei Risikopatienten - vor allem also Rauchern – kann laut Schuler dabei helfen, Lungenkrebs im Frühstadium zu entdecken. In mehreren großen Studien, wie beispielsweise der Nelson Studie aus dem Jahr 2020, konnte nachgewiesen werden, dass solch gezielte Früherkennungsmaßnahmen die Sterblichkeit um bis zu 25 Prozent senken könnten. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine amerikanische Studie an über 53.000 Teilnehmern mit hohem Risiko für Lungenkrebs. Durch ein Screening ließe sich die Sterblichkeit um 20 Prozent senken, halten die Studienautoren fest. Aus diesem Grund empfiehlt die amerikanische Expertenkommission für Früherkennung den Scan. Hierzulande hingegen ist die Früherkennung von Lungenkrebs noch nicht eingeführt.
Das Problem: Ähnlich wie bei Brustkrebs können die Bilder falschen Alarm auslösen. Denn im Screening zeigen sich „häufiger kleine Knoten, bei denen man nicht sagen kann, ob sie gut- oder bösartig sind“, sagt der Tumorspezialist. In jüngeren, großen europäischen Studien zeigten sich 60 Prozent der Befunde falsch positiv.
Dennoch hält Schuler es für wichtig, vor allem Rauchern gezielt das Screening anzubieten. 90 Prozent der Lungenkrebserkrankungen gehen auf das Rauchen zurück. Würde man die Knoten einige Zeit nach dem Screening auf Volumenzunahme hin kontrollieren, ließe sich daran ablesen, ob ein Tumor bösartig ist oder nicht, sagt Schuler. „Wenn man dann behandelt, sterben weniger Menschen. Der Effekt ist größer als bei der gut etablierten Brustkrebsfrühkontrolle“, betont der Essener Experte.
„Allerdings bringt es nichts, wenn jetzt jede Raucherin oder Raucher in eine Röntgenpraxis läuft und ein CT fordert“, sagt der Experte. Er hält ein landesweites und qualitätskontrolliertes Programm für diese Früherkennung für wichtig. Ein Vorteil, der für ihn auf der Hand liegt: Im Früherkennungsprogramm werden Tumore zu einem Zeitpunkt sichtbar, in dem sie noch nicht gestreut haben.
Solch kleinere Tumore ließen sich gut operieren. Bei Patienten mit hohem Risiko kann alternativ eine punktgenaue Strahlentherapie eingesetzt werden. Dies ist mithilfe künstlicher Intelligenz noch gezielter möglich. Sehr genau lässt sich nur das betroffene Tumorgewebe ansteuern und dort mit höherer Strahlendosis behandeln, statt großflächiger niedrigdosierter zu behandeln.
Was die Chancen für Lungenkrebskranke in den letzten Jahren zudem hat wachsen lassen: Es hat einen enormen Wissenszuwachs in Sachen Genetik und Immunologie gegeben. Mit molekularbiologischen Methoden können laut Informationen des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) Ärzte und Forscher Eigenschaften von Tumoren untersuchen. Hierbei geht es um sogenannte Tumormarker und andere Biomarker in den betroffenen Krebszellen.
Denn Krebszellen unterscheiden sich von normalen Körperzellen beispielsweise durch Baufehler in Eiweißen. Diese Unterschiede beruhen auf Veränderungen im Erbmaterial der Tumorzellen, die nicht nur von Patient zu Patient, sondern auch von Tumor zu Tumor unterschiedlich sein können, schreibt das DKFZ auf seiner Website. Mithilfe der molekularbiologischen Untersuchungen lassen sich die Eigenschaften von Tumoren sehr genau charakterisieren. Darauf aufbauend kann die Medizin heutzutage immer besser sehr individuelle, personalisierte Therapieoptionen anbieten.
Eine Gendiagnostik ist laut Schuler bei jedem metastasierten Lungenkrebs wichtig. Der Grund: Bei etwa zehn Prozent dieser Patienten finde man eine Genmutation (EGFR-Mutation), die sich gut medikamentös behandeln lasse. Dazu kommen sogenannten Tyrosinkinasehemmer wie Afatinib, Erlotinib oder Osimertinib zum Einsatz. Dies sind winzige Moleküle, die in die Zelle eindringen und dort die Signalkette für die unkontrollierte Zellteilung unterbrechen. Dadurch wird laut Informationen der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) die Vermehrung der Krebszelle gestoppt und die Zelle stirbt ab. „Innerhalb weniger Tage gehen bei diesen Patienten die Symptome zurück“, schildert Schuler.
In Studien hat sich diese Behandlungsoption als wirksamer als eine Chemotherapie gezeigt und ist laut der DKG sogar besser verträglich. Bei 50 bis 75 Prozent der so Behandelten verkleinerten sich Tumore unter dieser neuen Behandlungsform um 30 Prozent. Bei der Hälfte blieb ein Voranschreiten des Tumors neun bis 13 Monate aus.
Das Problem ist jedoch: „In über 30 Prozent der Fälle wird bei Patienten mit nicht kleinzelligem Lungenkarzinom diese Gendiagnostik nicht gemacht“, sagt Schuler. Das zeigt eine im Jahr 2021 erschienene Studie von Forschern und Onkologen aus Oldenburg, Essen, Ratingen, Frankfurt und Heidelberg, für die Daten von mehr als 3700 Patienten ausgewertet wurden. Schuler rät darum Betroffenen dazu, sich an spezialisierte Lungenkrebszentren zu wenden. Diese werden von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifiziert.
Hoffnung gibt auch ein neues Medikament für Patienten, deren Krebs eine spezielle Genmutation des sogenannten KRAS-Gens trägt. Rund 25 bis 30 Prozent des sogenannten Adenokarzinom der Lunge weisen eine KRAS-Mutation auf. In fast der Hälfte der Fälle handelt es sich dabei um die Mutation „G12C“. Für sie gab es bislang keine zielgerichtete Behandlung. Ende Januar 2022 erhielt das Mittel Sotorasib in Deutschland die Zulassung. Es soll laut einer aktuellen Studie des Westdeutschen Tumorzentrums der Universitätsmedizin Essen und des Uniklinikums Köln bei rund 83 Prozent der Patienten zum Wachstumsstillstand oder Schrumpfen der Tumore führen.
Fortschritt gibt es zudem bei der Lungenkrebschirurgie. „Musste früher ein tumorbefallener Lungenlappen entfernt werden, war das nur über einen Schnitt im Brustraum möglich“, schildert Schuler. Die Heilungsverläufe können heute deutlich durch die Entfernung per „Schlüssellochchirurgie“ verkürzt werden. Diese ist heute der Standard. Nur in begründeten Ausnahmefällen ist auch heute noch eine Öffnung des Brustraums erforderlich. Auch hier rät der Experte, zur Behandlung ein zertifiziertes Lungenkrebszentrum aufzusuchen. „Immer noch werden zu viele Patienten in nicht dafür zertifizierten Zentren operiert“, sagt Schuler.
Neben der Operation, Bestrahlung, Chemotherapie und medikamentöser Behandlung ist die sogenannte Immuntherapie zur weiteren Säule im Kampf gegen Krebs geworden. Diese nutzt das körpereigene Immunsystem, um den Tumor zu bekämpfen. Oft wird diese an eine Bestrahlung angeschlossen, um die Rückfallrisiken zu senken, oder mit Chemotherapie kombiniert. Dadurch haben sich laut des Essener Experten die Behandlungsergebnisse für viele Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs deutlich verbessert.