Onkologen in Entscheidungsnot Krebstherapie — Ärzte klagen über knappe Mittel

Konstanz · In der Krebstherapie sind die Behandlungsmittel mitunter teuer. Mehr als 124 Milliarden Euro kosten Krebserkrankungen laut einer Studie der Universität Oxford jährlich in der EU. Onkologen müssen täglich in Anbetracht knapper Budgets entscheiden, wen sie wie therapieren. Manche greifen darum angeblich bewusst zum Präparat der zweiten Wahl.

Wann die Kassen welche Krebsvorsorge zahlen
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Wann die Kassen welche Krebsvorsorge zahlen

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Derzeit erkranken jährlich etwa 3,2 Millionen Europäer an Krebs. Die Anzahl der Krebserkrankungen wächst und damit tun es auch die Kosten. In der EU gibt Deutschland am meisten für die Behandlung der Krankheit aus. Fünfmal so viel wie zum Beispiel Litauen. Es sind volkswirtschaftliche Kosten, die stark zu Buche schlagen und auch Behandlungskosten, die rund 36 Prozent des Batzens ausmachen.

Schon vor fünf Jahren hielt der Deutsche Ärztetag in einem gesundheitspolitischen Leitsatz fest, was man als Patient nicht wahr haben möchte: "Die völlig unzureichenden Budgets zur Finanzierung des Gesundheitswesens haben zu Wartelisten, Unterversorgung und Rationierung geführt. Die Ärzteschaft kann nur noch Sorge dafür tragen, die knappen Mittel möglichst effizient für die Patienten einzusetzen. Durch Rationalisierung lässt sich Rationierung jedoch nicht mehr umgehen."

Ärzte müssen zum Teil auf optimale Therapie verzichten

96 Prozent der Onkologen weichen mindestens einmal pro Woche oder einmal im Monat auf eine kostengünstigere Behandlungsmaßnahme aus. 83 Prozent scheuen sich, teure Maßnahmen gleich anzuwenden und prüfen zunächst, ob der Patient vielleicht auch ohne sie auskommt. Das sind Ergebnisse empirischer Studien, die Medizinethiker Prof. Dr. Daniel Strech bei der Frühjahrstagung der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO) in Berlin vorstellte. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Prof. Stefan Krause vom DGHO-Arbeitskreis im Juni 2011. Die Mehrheit der Ärzte verzichtet zumindest gelegentlich aus Kostengründen auf eine optimale Therapie. "Der Einstiegt der Rationierung am Krankenbett hat auch in der Onkologie begonnen", kommentiert Krause.

Dass sich an der Situation nicht viel verändert haben mag, zeigt eine kleine Umfrage unter Onkologen, die das Ärztenetzwerk coliquio jetzt veröffentlichte. Laut dieser fühlen sich 90 Prozent der Onkologen durch den Kostendruck negativ in ihrern ärztlichen Möglichkeiten beschnitten. Fast die Hälfte der Ärzte muss demnach regelmäßig auf Maßnahmen zurückgreifen, die nicht der optimalen Therapie entsprechen. Es seien knappe Budgets in der Krebstherapie, die die Mediziner häufig in Entscheidungs-Not versetzten.

Rationalisierung: Folge kanpper finanzieller Mittel

Rationalisierung, Zweite-Wahl-Präparate und vorzeitige Entlassung der Patienten aus der stationären Behandlung seien Folgen dieser Mittelknappheit. Auch das beschreibt Probleme, denen sich Ärzte offenbar seit vielen Jahren ausgesetzt sehen. Auch Strech beschreibt, dass beinahe die Hälfte der befragten Ärzte Patienten in andere Krankenhäuser verlegen oder sie früher entlassen.

Jeder dritte Arzt muss laut der aktuellen Umfrage eine schlechtere Behandlungsalternative wählen: 15 Prozent der Ärzte wenden eine indizierte, aber teure Maßnahme zunächst nicht an und warten ab, ob der Patient auch ohne sie auskommt. 11 Prozent entlassen ihre Patienten vorzeitig in die ambulante Betreuung, obwohl eine stationäre Weiterbehandlung sinnvoll gewesen wäre. Und sechs Prozent verzichten aus finanziellen Gründen sogar auf den Einsatz zugelassener Präparate, die einen erheblichen Zusatznutzen gehabt hätten.

Den eigenen Patienten nicht weiter behandeln zu können - dazu sehen sich 12 Prozent der Ärzte gezwungen. Sie verweisen den Patienten dann an eine andere Klinik oder anderen Spezialisten. Dennoch zeigen sich die Mediziner kämpferisch und versuchen, den ärztlichen Heilauftrag gegen die ökonomischen Reglementierungen durchzusetzen: 94 Prozent der Ärzte haben bereits mit Kostenträgern verhandelt, um letztlich doch noch eine teure Maßnahme finanziert zu bekommen.

Umgang mit weniger effektiven Mitteln

Steht der optimalen Medikation ein geringfügig weniger effektives Präparat gegenüber, ist die Ärzteschaft zwiegespalten: Knapp die Hälfte der Ärzte hält es für vertretbar, auf diese Alternativen zurückzugreifen, die andere Hältfe steht dem negativ gegenüber.

Neben dem emotionalen Druck durch die Mittelknappheit belasten auch Kostenfragen den Arbeitsalltag der Mediziner: 50 Prozent der Ärzte müssen wöchentlich bis zu fünf Stunden ihrer Arbeitszeit in das Thema investieren, 16 Prozent sogar bis zu zehn Stunden pro Woche.

(wat)
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