Herzgesundheit Infarktopfer landen oft in falscher Klinik

Moers · Das neue Infarkt-Netzwerk Niederrhein will die Abläufe bei der Behandlung von kritischen Herzpatienten optimieren. Das ist dringend nötig: Immer noch zu oft laden Notärzte eindeutige Infarkt-Fälle in einer ungeeigneten Klinik ab.

Herzinfarkt -Betroffene landen oft in falscher Klinik
Foto: Shutterstock.com/Kzenon

Es ist ein Aufmarsch von Chefärzten, wie man ihn sonst nicht erlebt. Sie alle treten gemeinsam vor die Presse - Kardiologen aus Wesel und Erkelenz, Mönchengladbach und Krefeld, Viersen und Moers. Sie arbeiten mit ihren Teams täglich dafür, dass ihre Herzpatienten optimal versorgt werden. Leider klappt das mit den Infarkt-Fällen nicht immer so gut, weil die Patienten oft viel zu spät in das nächste und personell rund um die Uhr besetzte Herzkatheterlabor (HKL) kommen. Dagegen wollen die Chefs etwas unternehmen: Sie haben das Infarkt-Netzwerk Niederrhein gegründet, an dem sich bereits jetzt viele kardiologische Kliniken beteiligen. Einige werden noch nachziehen, andere wollen - aus welchen Gründen auch immer - ihr eigenes Süppchen kochen.

Das Netzwerk will nun eine genaue Zeiterfassung leisten; es soll statistisch protokolliert werden, wie lang der Notarzt bis zum Patienten braucht; wie schnell das EKG geschrieben und übermittelt wurde; wann der Rettungswagen in welcher Klinik eintrifft und wie schnell die Behandlung funktioniert. Dass daraus positive Effekte entstehen, ist sicher: In anderen Regionen, in denen solche Netzwerke längst etabliert sind, konnte die Infarkt-Sterblichkeit gesenkt werden. Dass die Kardio-Netzwerker auch die Niederlande in die Infarkt-Versorgung integrieren wollen, leuchtet ein.

Zu spät kommen beim Infarkt - das hat oft sogar zwei Beteiligte. Häufig sind es die Patienten selbst, die in volkstümlicher Denkungsart glauben, was sie im Körper zwicke, das verschwinde irgendwann auch wieder. Wenn die Infarkt-typischen Brustschmerzen und die ebenso typische Luftnot aber nicht abnehmen, ruft mancher dann erst per Nottelefonnummer 112 den Notarzt mit Rettungswagen. Wenn der Patient überhaupt noch dazu kommt.

Doch dessen Eintreffen garantiert mitnichten die perfekte und leitliniengerechte Behandlung des Patienten. Manche Notärzte sind EKG-unsicher; manche scheuen vor einer längeren Fahrt mit dem Rettungswagen (RTW) zurück und fahren lieber die nächstgelegene Klinik an. Wenn die aber gar kein HKL mit einer 24-Stunden-Rufbereitschaft hat, kann diese Fehlentscheidung des Notarzts den Patienten im schlimmsten Fall das Leben kosten: Mancher Infarktpatient ist schon im RTW verstorben, als er auf dem Weg ins zweite, aber geeignetere Krankenhaus war, das man direkt hätte anfahren müssen. Ein Medizinanwalt könnte hier eine fahrlässige Körperverletzung mit Todesfolge aussichtsreich vor Gericht bringen.

Diese möglichst kurzen und möglichst reibungslos funktionierenden Rettungsketten sind wichtig, weil die Devise gilt: Zeit ist (Herz-)Muskel. Je länger ein Herzkranzgefäß nach einem Infarkt verschlossen bleibt, desto größer wird die Infarkt-Narbe eines vom Blutstrom abgeschnittenen Herzmuskelgewebes; desto höher ist auch die Gefahr von Herzrhythmusstörungen, etwa einem Kammerflimmern, das unbehandelt fast immer tödlich verläuft.

Deshalb will das Netzwerk darauf dringen, dass alle Rettungssanitäter zwingend ein 12-Kanal-EKG schreiben, welches per Datenleitung auch sogleich an das nächstgelegene Krankenhaus mit HKL und aufnahmebereiter Intensivstation übermittelt wird. Nicht jeder Notarzt ist kardiologisch kompetent, erst recht nicht in ländlichen Gegenden, wo auch schon mal Leihärzte aus anderen medizinischen Fachbereichen Dienst tun - um so wichtiger ist die zuverlässige Einschätzung des EKG.

Zwar lässt sich der sogenannte STEMI, also der akute ST-Streckenhebungs-Infarkt (siehe Grafik), leicht erkennen. Zuweilen leidet der Patient aber an einer speziellen Erregungsleitungsstörung im Herzen, etwa dem Linksschenkelblock - und dann ist das Infarkt-EKG für kardiologisch unroutinierte Notärzte schwieriger zu interpretieren. In Zweifelsfällen dürfte es keine Debatte geben, dass ein Notarzt mit RTW, in dem ein unklarer, instabiler Patient liegt, immer eine Klinik mit HKL anfährt; oft sind diese Kliniken auf die Behandlung von Patienten mit diffusen Brustschmerzen trainiert.

An all diesen Knackstellen will das Infarkt-Netzwerk Niederrhein ansetzen. Zur Debatte stehen dann aber auch jene persönlich gestrickten Netzwerke, die durch langjährige Verbundenheit oder höhergradige Verflechtungen von Kollegen in nahen oder fernen Kliniken entstanden sind. Im Alltag außerhalb des Notfalls sind diese Netzwerke unstrittig: Jeder Kardiologe kann einen Patienten in eine weit entfernte Herzchirurgie schicken, weil er den dortigen Chef, dessen Team und deren Arbeit aus langer Erfahrung kennt und schätzt. Wenn aber ein Notfall eintritt - und der Herzinfarkt ist ein solcher -, dann sind Netzwerke nach Art von Seilschaften, die einem System oder einem Verbund, aber nicht dem Patienten dienen, fatal.

Zum Infarkt-Alltag zählt nicht nur die auf jungen Notärzten lastende Unsicherheit, welche Klinik sie im Notfall anfahren dürfen. Mancherorts wird es von Gesundheitsämtern oder Feuerwehr-Leitstellen vielmehr streng geregelt, dass Rettungswagen die Stadt- oder Kreisgrenzen nicht überschreiten sollen. Bisweilen fährt der RTW ein bestimmtes Krankenhaus aber auch nur deshalb an, weil es auf der Notaufnahmestation den besten Kaffee gibt.

(RP)
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