Diagnose Gebrochenes Herz Broken Heart: Pseudo-Infarkt durch Stress

Lübeck · Eine 68-Jährige steht zum letzten Gruß am Grab ihres Mannes als sie einen stechenden Schmerz in der Brust verspürt. Das Herz ist vollkommen aus dem Takt, Luftnot macht sich breit. Was aussieht wie ein Herzinfarkt sind in Wahrheit die Auswirkungen der Psyche auf das Herz: es zerbricht.

Rund drei Prozent der Menschen, die mit dem Verdacht eines Herzinfarkts in eine Klinik eingeliefert werden, leiden nicht daran, sondern an einem "gebrochenen Herzen", wie der Volksmund es schon lange kennt. Es sind überwiegend Frauen, die mit den Symptomen eines akuten Infarkts auf der Intensivstation landen und dort mit Blutverdünnern und Betablockern ebenso behandelt werden, wie die vorwiegend männlichen Patienten, die tatsächlich einen solchen erlitten haben. Denn wenn auch die Symptome gleich sind, gibt es einen entscheidenden Unterschied: Das Broken Heart ist normal durchblutet.

Sichtbar machen kann das erst eine Herzkatheteruntersuchung. Seitdem sie in deutschen Kliniken beinahe zum Standardrepertoire bei der Untersuchung von Herzzwischenfällen zählt, werden auch die Fälle häufiger, in denen die im Jahr 1990 nach den Japanischen Entdeckern der Krankheit benannte Tako-Tsubo-Myopathie diagnostiziert wird.

Hört sich an wie Liebeskummer — ist aber keiner

Broken Heart-Syndrom — diesen Begriff hört Dr. Birke Schneider, Chefärztin der Kardiologischen Abteilung und Intensivmedizinerin in der Sana Klinik Lübeck nicht gerne. Denn das, was nach einer kitschigen, dramatisch endenden Romantikstory anmutet, hat nur in seltenen Fällen damit zu tun. Hinter der ernst zu nehmenden Krankheit steckt meist nicht Herzschmerz, sondern purer Stress. Der ist so existenziell, dass er die Betroffenen sogar umbringen kann. "Die Erkrankung ist genauso gefährlich wie ein akuter Herzinfarkt oder bösartige Herzrhythmusstörungen", sagt Schneider.

Um mit Missverständnissen aufzuräumen, haben die Mediziner sie umbenannt in Stress-Kardiomyopathie oder einfach "Stress-Herz". Im Jahr 2006 hat die Lübecker Kardiologin ein medizinisches Register eröffnet, das die Erkrankung erfasst. Seitdem beobachtet man eine steigende Zahl an Tako-Tsubo-Erkrankungen.

Das unterscheidet das Broken Heart vom Herzinfarkt

Durch bessere Untersuchungsverfahren können die Mediziner heute abgrenzen, was noch vor dreißig Jahren nicht zu unterscheiden war. Neben den äußeren Symptomen eines Infarktpatienten zeigen Menschen, die mit einer Stress-Kardiomyopathie in die Notaufnahme kommen zwar ebenso Infarkt-typische Veränderungen im EKG. "Aber bei einer Herzkatheteruntersuchung kann keine Durchblutungsstörung infolge von Engstellen der Herzkranzgefäße nachgewiesen werden", sagt die Lübecker Kardiologin.

Auffällig ist zudem die Form der linken Herzkammer, nach der die japanischen Ärzte die Erkrankung benannt haben. Die Herzspitze ist ballonartig aufgebläht und bauchig erweitert und sieht so aus wie eine Tintenfischfalle, japanisch auch Tako-Tsubo genannt. Da hingegen die Hauptschlagader an der Ausflussstelle stark verengt ist, schafft es das Herz nicht mehr, ausreichend viel Blut in den Körper zu pumpen.

Statistisch gesehen, sind es zu 90 Prozent weibliche Patienten zwischen 50 und 70, die mit einem solchen Pseudo-Herzinfarkt zusammensacken. Sie haben die Wechseljahre meist schon hinter sich, wenn das Herz verrücktspielt und sich der für den Infarkt typische Vernichtungsschmerz in ihrer Brust breit macht. Meist sind körperlich oder seelisch starke Belastungen der Auslöser für den Herzvorfall. "Das kann ein Todesfall in der Familie sein, heftiger Streit, die Diagnose einer Tumorerkrankung oder körperliche Stressoren", sagt Die Lübecker Herzspezialistin. Daneben diskutiert die Wissenschaft, ob nicht auch die Gene mitverantwortlich sein können. Sie könnten somit neben existenzbedrohenden Stressauslösern eine Erklärung dafür sein, warum es in manchen Fällen auch Männer, jüngere Frauen und sogar Kinder trifft.

Das sind die Auslöser für den Herz-Vorfall

Durch die Stressattacke schüttet der Körper Stresshormone aus. Die Konzentration dieser freigesetzten Katecholamine, zu denen Adrenalin und Noradrenalin zählen, steigt sprunghaft auf das bis zu Sechsfache des Normalwertes an. In solch überschießender Menge versetzen sie den Körper nicht nur in einen Ausnahmezustand, sondern schädigen die Herzmuskelzellen.

Das geschieht bei Frauen nach den Wechseljahren schneller. Denn während sie in jungen Jahren das weibliche Geschlechtshormon Östrogen vor Herzinfarkten schützt, sinkt dieser Spiegel nach der Menopause und macht sie so anfälliger für ein Stress-Herz, nehmen die Forscher heute an.

Von Dichtern der Romantik vielfach in schwulstige Worte gepackt und von Songwritern auch heute noch besungen ist das gebrochene Herz, das niemals mehr heilt. Das sehen Mediziner allerdings anders: "Meist erholt es innerhalb von meist zehn Tagen bis drei Wochen ohne Folgeschäden und hat dann wieder seine volle Pumpkraft", sagt Dr. Birke Schneider, Chefärztin der Kardiologischen Abteilung und Intensivmedizinerin in der Sana Klinik Lübeck.

Das Herz kann immer wieder "brechen"

Ähnlich wie bei einem Herzinfarkt kann es allerdings auch mehrmals zu einem Stress-Herzen und der damit verbundenen lebensgefährlichen Situation kommen. Meist sind es ähnliche Situationen, die dazu führen. In einem Fall habe eine Asthmatikerin sechs Mal einen solchen Pseudo-Infarkt erlitten. Luftnot sei ohnehin ein riesiger Stressfaktor, weil er mit der Angst einhergeht zu ersticken.

Bei Asthmatikern kommt jedoch noch ein weiterer Faktor hinzu: Im Asthmaspray sind Stoffe enthalten, die ähnlich wie Stresshormone sind. In der Panik vor der Luftnot nehmen Lungenkranke dann häufig mehrere Hübe aus der Notfallpumpe. Das lässt den Stresslevel noch weiter steigen und macht so einen Tako-Tsubo-Anfall wahrscheinlicher. Das beste Präventionsprogramm, um dem vorzubeugen ist also: Lernen mit dem Stress umzugehen.

(wat)
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