Robert-Koch-Institut Wieso sich die Grippewelle vor allem auf dem Land ausbreitet

Berlin · Vor einem Rätsel stehen die Forscher des Berliner Robert-Koch-Instituts: Sie können sich nicht erklären, wieso Menschen in ländlichen Regionen häufiger an der Influenza erkranken als Menschen in städtischem Umfeld.

 Die Karten zeigen die Entwicklung der Grippewelle in Wochenschritten seit Anfang 2015. Blau ist eine normale Grippe-Ativität, um so röter die Farbe, um so höher die Fallzahl.

Die Karten zeigen die Entwicklung der Grippewelle in Wochenschritten seit Anfang 2015. Blau ist eine normale Grippe-Ativität, um so röter die Farbe, um so höher die Fallzahl.

Foto: Arbeitsgemeinschaft Influenza/ Robert-Koch-Institut

Wenn selbst die in der Regel sehr gut informierte Pressestelle des Robert-Koch-Instituts (RKI) nur einige spärliche Statements zustande bringt und sich ansonsten zurückhält, dann muss in diesem Berliner Hort der Medizingelehrten ein seltsamer Erklärungsnotstand eingetreten sein. Die Fachleute können nicht erklären, warum die derzeitige Grippewelle laut ihren eigenen Grafiken vor allem in ländlichen Regionen, nicht aber in Ballungszentren wie dem Ruhrgebiet, in München, Berlin oder Hamburg zuschlägt. RKI-Sprecherin Susanne Glasmacher sagt: "Bei uns blühen die wildesten Spekulationen. Eine zwingende Erklärung haben wir nicht."

Eigentlich sollte man erwarten, dass in regionalen Räumen, in denen viele Menschen in Bussen, Bahnen, Versammlungsorten, Schulen, Kindergärten, Ämtern oder Einkaufszentren aufeinandertreffen, auch viel mehr Infektionen mit dem Influenza-Virus registriert werden als in weniger dicht besiedelten Räumen. Dagegen steht der Einwand, dass Menschen in städtischen Regionen ein höheres Aufklärungsprofil besitzen, besser informiert sind und sich möglicherweise besser schützen, auch durch eine Impfung.

Zudem halten es Infektionsmediziner für denkbar, dass die Impfangebote in den Großstädten deutlich umfassender sind als auf dem Lande. In den Städten impfen Ärzte ja nicht nur in ihren Praxen, sondern auch in Firmen, Krankenhäusern, Behörden. Kann gut sein, dass Impfärzte und -möglichkeiten in Städten besser zugänglich, besser plakatiert, besser erreichbar sind. Je mehr Geimpfte es aber in einer Region gibt, desto größer wird - eine Parallele zu Masern - das Phänomen der Herdenimmunität: Wer nicht infiziert werden kann, der kann die Krankheit auch nicht übertragen. Diese Hypothese gilt sogar dann, wenn wie in diesem Winter die Wirksamkeit des aktuellen Impfstoffs als nicht so hoch wie in früheren Jahren eingeschätzt wird.

Es gibt aber noch andere Erklärungsmodelle. Arbeitnehmer in städtischen Regionen sind hausärztlich möglicherweise nicht so intensiv vernetzt wie in ländlichen Bereichen. Städter kennen zwar in der Regel ihren Hausarzt, aber der eilt vielleicht nur im Notfall zu ihnen nach Hause. Dann kommt es in der Folge zu der Konstellation, dass ein Städter zwar an Grippe erkrankt, aber gar nicht zum Arzt geht, sondern daheim bleibt. Unklug ist das nicht: Das Schlafgemach ist infektionspraktisch das Gegenteil des überfüllten Wartezimmers, in dem ein Kranker andere anstecken kann. Bettruhe ist sowieso das Beste für einen Grippekranken. Da es sich um eine viral bedingte Erkrankung handelt, helfen Antibiotika nicht - es sei denn, es kommt zu einer bakteriellen Superinfektion.

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Wer in der Stadt lebt (oder in den Vororten, da macht die RKI-Grafik keinen Unterschied), befindet sich möglicherweise auch häufiger in Beschäftigungsmodellen, in denen er bei Grippe einen "freien Tag" nimmt, statt sich eine Krankschreibung für mehrere Tage ausstellen zu lassen. Aus gesundheitlicher Sicht ist das bedenklich, weil diese Menschen aus verständlichem, aber gesundheitlich riskantem Unentbehrlichkeitsdenken dann früher wieder ins Büro gehen, obwohl sie noch infektiös sind und ihre Kollegen anstecken können.

Wer jedenfalls an Grippe erkrankt, aber nicht zum Arzt geht, der wird mit seiner meldepflichtigen Infektion gar nicht erfasst und gelangt auch nicht in die Statistiken des RKI. Das bedeutet, dass die Dunkelziffer infizierter, aber nicht behandelter und deshalb nicht gemeldeter Patienten in der Stadt höher ausfällt als auf dem Lande.

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Foto: Shutterstock.com/ Africa Studio

Für Epidemiologen gilt also weiterhin das generelle Problem, dass keiner statistisch nachweisen kann, welcher Anteil der Gesamtbevölkerung tatsächlich an einer akuten Atemwegsinfektion erkrankt oder welcher Anteil mit solch einer Erkrankung eine ärztliche Praxis aufsucht. Deshalb hat das Berliner Robert-Koch-Institut das GrippeWeb gegründet, eine Art Online-Frühwarnsystem zur ganzjährigen Beobachtung akuter Atemwegsinfektionen. Die dort registrierten Personen melden jede Woche anonym, ob sie (oder eines ihrer Kinder) eine neu aufgetretene Atemwegserkrankung hatten oder nicht.

(RP)
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