Oft falsch verordnet Antibiotika verlieren ihre Schlagkraft

Hannover/Berlin (RPO). Täglich nehmen Patienten in Deutschland laut Studie insgesamt mehr als 700 Kilogramm Antibiotika ein. Das hat Folgen für die Gesundheit. Es gibt Erreger, die sich mit diesen Mitteln nicht mehr bekämpfen lassen. Sie sind resistent geworden. Antibiotika werden häufig unnötig verschrieben. Wann sind sie nötig und wann nicht?

Das sollten Sie über Antibiotika wissen
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Foto: dpa, Federico Gambarini

Seit der Entdeckung des Penicillins 1928 sind Antibiotika zu einem der wichtigsten Instrumente in der Behandlung von Infektionskrankheiten geworden. Sie wirken gegen Bakterien, nicht aber gegen Viren. Das ist der entscheidende Unterschied. Triefende Schnupfennasen haben kein Antibiotikum nötig, denn sie sind wie auch Bronchitis oder Rachenentzündungen zu mehr als 80 Prozent durch Viren hervorgerufen. Studien zeigen, dass sie aber in 80 Prozent der Fälle mit Antibiotika therapiert werden.

Im vergangenen Jahr erhielt nach Angaben des AOK-Bundesverbands im Durchschnitt jeder gesetzlich Krankenversicherte eine Antibiotika-Therapie. Rein rechnerisch bekam jedes Kind bis zum Alter von zehn Jahren sechs Tage lang ein Antibiotikum. "In Deutschland werden Kinder dreimal so häufig bei Mittelohrentzündungen damit behandelt wie in den Niederlanden", erklärt Helmut Schröder vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO). Doch mit zweifelhaftem Nutzen, denn nach Ansicht medizinischer Experten bringe das keinen Vorteil.

Reserveantibiotika zu sorglos verordnet

Oft würden die Mediziner mit Gewehren auf Spatzen schießen: Als problematisch bezeichnet Schröder den häufigen Einsatz von so genannten Reserve-Antibiotika. Mit 46,5 Prozent sei fast jedes zweite Antibiotikum, das in Deutschland eingesetzt werde ein Wirkstoff, der erst genutzt werden soll, wenn Standard-Antibiotika nicht ausreichend wirken. Der Trend sei, die eiserne Reserve auch zur Therapie normaler Infektionen zu gebrauchen, so Schröder weiter. Je sorgloser diese Arznei eingesetzt wird, desto schneller werden Bakterien gegen sie resistent. Das belegen Zahlen im europäischen Vergleich: Länder mit einem hohen Verbrauch haben auch die höchsten Resistenzraten. Die mächtigste Waffe gegen gefährliche Krankheiten verliert ihre Wirkung.

Bei Krankheitserregern wie Staphylokokken, Kolibakterien und Darmkeimen zeige sich ein deutlicher Anstieg der Resistenzen. Der Staphylococcus aureus ist zum Beispiel als multiresistenter Krankenhauskeim MRSA bekannt. Abwehrfähig gegen Antibiotika sind auch immer häufiger die Erreger von Tuberkulose und Geschlechtskrankheiten sowie Salmonellen.

Urologen und Kinderärzte verschreiben sie am häufigsten

Die meisten Antibiotika je Arzt verschrieben im letzten Jahr die Urologen, gefolgt von Kinderärzten, Hausärzten und Hals-Nasen-Ohren-Ärzten. Besonders im ambulanten Bereich wird nach der WidO-Studie mit dieser Medizin geaast. Das Wissenschaftliche Institut der AOK empfiehlt, antibiotische Wirkstoffe so wenig wie nötig und so gezielt wie möglich einzusetzen.

Für Patienten heißt das, ruhig auch den Arzt einmal kritisch auf die Verordnung anzusprechen und sich erklären zu lassen, warum der Einsatz dieses Präparats in seinem Fall notwendig ist. Oftmals ergeben sich im tieferen Gespräch auch alternative Medikamente oder Heilmethoden, auf die der Patient noch nicht zurückgegriffen hat.

Erkältungen richtig behandeln

"Eines der Hauptprobleme ist, dass Patienten heute mit der Erwartungshaltung zum Arzt gehen, ein Antibiotikum verordnet zu bekommen", erklärt Dr. Iris Chaberny. Sie ist Vorsitzende der Fachgruppe Antibiotikaresistenz bei der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie in Hannover. Bei einer Erkältung aber könnten gezielt Arzneimittel zur Linderung der Symptome eingesetzt werden.

Das sind zum Beispiel bei Schnupfen lokal wirkende Nasentropfen und bei Fieber und Gliederschmerzen fiebersenkende und schmerzlindernde Mittel wie Ibuprofen, Paracetamol oder Acetylsalicylsäure. Meist reicht das aus, um den Infekt zu überstehen. Laut Chaberny klingt ein solcher Infekt nach rund einer Woche ab. Nur wenn das nicht der Fall sein sollte, kann das ein Zeichen dafür sein, dass sich unter der Viruserkrankung Bakterien festgesetzt haben. Das würde den Einsatz eines Antibiotikums rechtfertigen.

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