Antibiotika aus Gemüse Die Kartoffel wird zur Bio-Fabrik

Wissenschaftler aus Kiel haben Kartoffeln gezüchtet, die Antibiotika produzieren. Andere Pflanzen können Antikörper, Hormone oder Impfstoffe herstellen. Mit Grüner Gentechnik erschließen sich junge Unternehmen derzeit einen neuen Markt.

 Kartoffeln sind nicht nur zum Verzehr geeignet.

Kartoffeln sind nicht nur zum Verzehr geeignet.

Foto: ddp, ddp

Im Labor von Michael Kleine werden Kartoffelpflanzen wie Könige behandelt. Plastikbecher schützen jeden Stängel vor Umwelteinflüssen. Rund um die Uhr erhalten die Kartoffeln außerdem die Nährlösung und genau das helle, feuchtkühle Klima, das sie mögen. Diese Sonderbehandlung hat einen Grund: Die Knollen, die der Kieler Molekularbiologe Kleine züchtet, sollen eine neue Klasse von Antibiotika produzieren.

Dafür haben Kleine und seine Kollegen ein Verfahren entwickelt, bei dem sie den Erdäpfeln ein menschliches Gen implantieren. Derart geimpft beginnen die Kartoffel-Zellen mit der Produktion der antibiotischen Stoffe. Die Forscher müssen sie schließlich nur noch chemisch-physikalisch aus den Knollen herauslösen.

Das Lieblingsgemüse der Deutschen ist auf diese Weise zur "Bio-Fabrik" geworden. Forscher weltweit nutzen bereits verschiedene Pflanzen zur Produktion medizinischer Wirkstoffe. Die einen lassen Antikörper produzieren, andere Hormone oder Impfstoffe. In der Entwicklung sind US-amerikanische und kanadische Forscher führend. In Deutschland entwickelt sich der Markt gerade. Zu den jungen Unternehmen hierzulande zählt die Firma Planton, die Kleine und seine Kollegen 2001 gründeten.

Am Anfang arbeiten sie mit einem Labor und Steril-Kulturen, später mieteten sie Gewächshäuser am Rand der Stadt. Heute pflanzen 15 Planton-Mitarbeiter auf 2000 Quadratmetern Kartoffeln an, die sie ebenfalls selbst ernten.

Ihr Verfahren bringt viele Vorteile: Aufwand und Kosten sind deutlich geringer als die sonst in der Antibiotika-Herstellung übliche Fermentation, bei der mit Bakterien- und Pilzkulturen gearbeitet wird. Außerdem können sich bei der Kartoffel, im Unterschied zu den klassischen Mikrobenkulturen, keine Krankheitskeime einschmuggeln. Per Steckling lassen sich Kartoffeln aus einer einzigen Pflanze vermehren. Das bringt den Vorteil, dass das Erbgut stabil und für den biotechnischen Eingriff berechenbar bleibt. Und schließlich gibt es so gut wie keinen Pollenflug. Die veränderten Kartoffeln verbreiten sich daher nicht weitflächig übers Land.

Trotzdem werden sie sicherheitshalber im Treibhaus angebaut. Nutzpflanzen bergen immer die Gefahr, aus Versehen in die Nahrungskette zu gelangen. Das ist ihr Nachteil — neben den vielen Chancen, die sich ergeben.

Michael Kleine hofft, dass seine antibiotischen Stoffe in zwei bis fünf Jahren die Zulassung für den deutschen Markt erreichen. Klinische Studien zum Beleg von Wirksamkeit und Verträglichkeit stehen jedoch noch aus. Der Molekularbiologe rechnet aber damit, dass die neue Antibiotika-Generation nicht nur gegen typische Haut- und Schleimhautkeime, sondern breit gefächert gegen relativ viele Bakterien- und Pilzinfektionen helfen wird, "und möglicherweise auch gegen einige Viren". Die Anwendung könnte sowohl äußerlich, als auch innerlich erfolgen.

Defensine ist die Bezeichnung der neuen antibiotischen Wirkstoffe, die Kleine produziert. Diese zeichnen sich durch ein breites Wirkspektrum aus. Zudem ist ihr Risiko einer Resistenzbildung gering. Ein Problem, das bei derzeitigen Antibiotika immer häufiger auftritt. Europaweit infizieren sich jährlich drei Millionen Menschen mit Keimen, denen nicht mehr mit herkömmlichen Antibiotika beizukommen ist. Einige Wissenschaftler sprechen schon vom Nahen des "Post-Antibiotika-Zeitalters". Dabei hat der menschliche Körper immer schon selbst antibiotische Substanzen produziert, gegen die es keine Resistenzen gibt: die Defensine.

Sie bestehen aus Aminosäuren und gehören daher zu den Eiweißverbindungen. Ihr Wirkprinzip besteht darin, dass sie "chemische Bohrer" aussenden, die tiefe Löcher in die Zellwände der feindlichen Mikroorganismen hineintreiben. Die Mikroben gehen daraufhin rasch zu Grunde. Und ihnen ist bisher nichts gegen diese Bohr-Attacken eingefallen, und es ist auch nicht damit zu rechnen, dass ihnen in absehbarer Zeit etwas dazu einfallen wird. Denn die Defensine haben, wie der Kieler Molekularbiologe Michael Kleine erklärt, "eine Jahrmillionen währende Evolutionsgeschichte hinter sich, in der sie fortwährend verfeinert und geschliffen wurden". Sie sind somit quasi ein Meisterstück aus dem Labor der Natur.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort