Hoffnung auf neue Behandlung von Alzheimer Neue Zellen fürs alternde Gehirn

Bielefeld · Die Meldung kommt gerade recht: Die Alzheimer-Forschung kommt womöglich einen entscheidenden Schritt weiter. Biologen der Universität Bielefeld haben es geschafft, in erwachsenen Gehirnen neue Zellen wachsen zu lassen.

 Die Nervenzellen hier in grün senden „Kabel“ (rot) aus, um sich untereinander zu verbinden. Diese Verbindung der Nervenzellen ist in der Regel gut ausgeprägt (l.), rechts ist sie durch die Forscher künstlich gehemmt worden.

Die Nervenzellen hier in grün senden „Kabel“ (rot) aus, um sich untereinander zu verbinden. Diese Verbindung der Nervenzellen ist in der Regel gut ausgeprägt (l.), rechts ist sie durch die Forscher künstlich gehemmt worden.

Foto: Universität Bielefeld

Erst seit einem Jahrzehnt ist bekannt, dass sich im erwachsenen Gehirn überhaupt neue Zellen bilden können. Unklar war bisher, wie das Wachstum der Zellen biochemisch beeinflusst werden kann. Nun ist es einem Bielefelder Forschungsteam gelungen, einen Mechanismus ausfindig zu machen, der die Bildung neuer Nervenzellen reguliert. Die Wissenschaftler hoffen, damit eine Basis für neue Behandlungsmöglichkeiten von Krankheiten des Nervensystems geschaffen zu haben. Besonders bei Erkrankungen, bei denen das Nervensystem zerfällt, wie Alzheimer, Parkinson und sogar Depressionen, könnte diese Entdeckung eine Hoffnung für Betroffene sein.

Das Wachstum von neuen Nervenzellen — die Neurogenese — ist grundlegend für die Entwicklung und die Funktion des menschlichen Gehirns. Wissenschaftler gingen bisher davon aus, dass die Fähigkeit, neue Nervenzellen zu bilden, im Alter fast völlig zum Erliegen kommt. Die Bielefelder Forscher zeigten nun, dass es unter anderem ein biochemischer Mechanismus ist, der die Bildung neuer Nervenzellen steuert.

Im Tierversuch gelang Erstaunliches

Zu dem Ergebnis kamen die Forscher durch Versuche mit einjährigen Mäusen. Die Biologen entwickelten einen Lerntest. Dabei wurden die Mäuse darauf trainiert, in einem Labyrinth verstecktes Futter zu finden. Gesunde Mäuse bestehen diesen Test erfolgreich. Bei einigen Mäusen haben die Forscher die Produktion eines bestimmten Proteins mit einem Hemmstoff zeitweise gestoppt. Das Ergebnis: Die Tiere verdummten nahezu völlig. Obwohl die Futtersuche mehrere Tage erfolgreich geübt worden war, scheiterten sie nun ohne das Wachstum neuer Nervenzellen daran.

Die Zellbiologen folgern aus ihrem Versuch, dass durch das mangelnde Protein der Hippocampus verfällt — diese Hirnregion ist wichtig für die Neubildung von Nervenzellen. Außerdem ist der Hippocampus zuständig für die Übermittlung von Gedächtnisinhalten aus dem Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis.

Hirnverfall nicht nur gestoppt, sondern umgekehrt

Wenn bei diesen Versuchsmäusen nun das ausschlaggebende Protein "NF-kB" wieder aktiviert wurde, dann lernten die Mäuse wieder genauso gut wie ihre gesunden Artgenossen. Die Forscher konnten damit zeigen, dass die Gehirne der Tiere erneut wachsen können, obwohl die Mäuse längst ausgewachsen waren: Zwischen den Nervenzellen entstanden neue Verbindungen. Bei dieser "Neuverkabelung", der Axogenese, wachsen aus den Nervenzellen neue Fortsätze und verbinden sich mit anderen Zellen.

Die Funktionstüchtigkeit der Gehirne der einjährigen Versuchstiere entspräche der von 70 Jahre alten Menschen, so die Wissenschaftler. Professor Dr. Christian Kaltschmidt: "Da viele Aspekte wie das Problem der fehlender Stammzellreifung auch bei der Alzheimer-Erkrankung auftreten und auch bei Alzheimer-Patienten die NF-kB-Aktivierung gehemmt ist, gehen wir davon aus, dass sich die Erkenntnisse auch auf den Menschen übertragen lassen." Laut Kaltschmidt kann die Entdeckung helfen, künftig wirksame Medikamente zu entwickeln, die etwa bei Demenzkranken das Wachstum neuer Nervenzellen anregen.

Für die Erforschung des Gehirnwachstums arbeiteten Teams der Universität Bielefeld, vom Institut Pasteur Paris und den Universitäten in Bochum und Münster zusammen.

(wat)
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