Dieses Jahr mehr Sprengstoff in Böllern Damit nach Silvester nicht das Knalltrauma bleibt

Berlin/Düsseldorf · Vorbeugen ist besser als heilen, so sagt der Volksmund. Ach, hielten sich mehr Menschen an diesen Grundsatz. Heerschaaren von Hals-Nasen-Ohrenärzten müssten nicht jedes Jahr das richten, was andere an Silvester leichtfertig riskieren: Ihr Gehör. In diesem Jahr sogar noch eher als jemals zuvor.

Wie laut ist zu laut?
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Foto: ddp

Das Feuerwerk vertreibt zum Jahreswechsel mit lautem Gepfeife und Geböller die bösen Geister. Durch die Harmonisierung europäischer Gesetzgebung dürfen laut der Bundesanstalt für Materialforschung in diesem Jahr erstmals Feuerwerkskörper eine Füllmenge von bis zu 500 Gramm Sprengstoff und in Kombination mit Fontänen sogar 600 Gramm Sprengstoff enthalten. Die bisherige Obergrenze lag bei 200 Gramm. Damit kann sich die Sprengkraft einer Feuerwerksbatterie gegenüber früher verdoppeln. Laien zündeln jetzt mit Sprengstoffmengen, die bislang nur Pyrotechniker zugänglich waren.

Feuerwerksboxen mit einem Gewicht von 17 Kilogramm sind heute nicht selten, sagt Professor Laszig, Past-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie: "Von der Menge des Sprengstoffs besteht zudem eine direkte Korrelation zur Lautheit, dies setzt die Ohren extremen Belastungen aus", erläutert der Direktor der Freiburger Universitäts-Hals-Nasen-Ohren-Klinik. Explodieren Feuerwerkskörper in einer Nähe von weniger als zwei Metern, wirken auf die Ohren etwa 25 Millisekunden lange Schallimpulse.

So laut sind Böller

Viele unterschätzen dabei die Gefahr für die Ohren. Denn Silvesterböller können das Gehör dauerhaft schädigen. Die Knallkörper erzeugen eine Lautstärke von 130 bis 180 Dezibel. Vergleichbar ist dieser Lärm mit dem eines Presslufthammers oder dem eines startenden Düsenjets. Das Problem ist der massive, impulsartige Lärm, den die Böller verbreiten. Damit kommt das Ohr weit weniger gut klar, als mit der lauten Musik aus Dikotheken oder Clubs. Ein einziger Knall reicht aus, um das Gehör dauerhaft zu schädigen.

Die Schwelle, ab der sich ein normal hörender Mensch unwohl fühlt, weil es ihm zu laut wird, liegt bei 80 bis 85 Dezibel. Die Schmerzgrenze des menschlichen Gehörs liegt bei etwa 120 Dezibel. Danach riskieren Unvorsichtige ihr Gehör. Lärm, der über diesen Pegel hinaus geht, schädigt die Ohrzellen im Innenohr. Sterben die Hörzellen ab, sind sie unwiderbringlich verloren.

Böller so laut wie ein Düsenjet

Bereits ein einziger Knall von mehr als 150 Dezibel kann ein so genanntes Knalltrauma auslösen und zu Schwerhörigkeit und dauerhaften Ohrgeräuschen führen. Nicht nur der Lärm verursacht dabei Schäden am Ohr, sondern auch die Druckbelastung durch das Zünden der Knallkörper. Schätzungsweise 30.000 Menschen sind jährlich nach Angaben des Forum Gesundes Hören von einem Knalltrauma zur Jahreswende betroffen. Hier finden Sie Zahlen und Fakten zum Thema Hören und Lärmbelastung.

"Da Knallkörper und Signalpistolen bis zu 170-180 Dezibel Impulslärm erreichen, sollte das Risiko einer Hörschädigung an Silvester ernst genommen werden", warnt Dr. Thomas Wacker, Hals-Nasen-Ohrenarzt aus Mönchengladbach. Geschädigt wird der empfindliche Bereich des Innenohrs, in dem Sinneszellen mit Hilfe von so genannten Sinneshärchen Schall in elektrische Nervenimpulse für das Gehirn umwandeln.

Daran erkennt man die Ohrschädigung

Die Fachärzte raten, schnell einen Hals-Nasen-Ohrenartz aufzusuchen. Durch die Detonation können die feinen Sinneszellen im Innenohr zerstört werden. Die betroffenen Zellen sterben innerhalb weniger Stunden bis Tage ab, wird nicht medikamentös gegengesteuert.

Schlechtes Hören, Ohrdruck, Klingel- oder Pfeiftöne im Ohr, Schmerzen, Schwindel, schlimmstenfalls blutiger Ausfluss aus dem Ohr können Zeichen eines Explosions- oder Knalltraumas sein. Die Folge kann ein bleibender Hörverlust sein oder dauerhafte Ohrgeräusche, auch Tinnitus genannt.

Knalltrauma - Kassen zahlen Behandlung nicht

Wer sich trotz der Beeinträchtigung beim Hören nach dem Feuerwerk erst einmal ins Bett lege, um am nächsten Tag zu sehen wie es ihm geht, der riskiere einen Hörverlust, erklärt Dr. Thomas Wacker. Helfen könnte eine sofortige Infusion mit durchblutungsfördernden Medikamenten und Cortison, um den Heilungsprozess im Innenohr zu unterstützen.

Für die Kosten dieser Therapie muss der Patient aufkommen: "Die Folgen eines Knalltraumas werden nicht mehr durch die gesetzliche Krankenversicherung übernommen", sagt der Mönchengladbacher HNO. Das können bei einer Kombinationstherapie aus Tabletten und Infusionen schnell zwischen 200 und 400 Euro sein.

Explosionstrauma schädigt Innenohr

Chinakracher, die direkt neben dem Ohr gezündet werden, bedeuten eine noch größere Gefahr. Sie können nämlich durch die Schallwelle der Detonation zusammen mit dem lauten Knall ein Explosionstrauma verursachen. Diese Verletzung tritt zum Beispiel auch häufig durch das Platzen eines Airbags auf, kann aber auch durch eine Ohrfeige ausgelöst werden. Dabei werden die Haarzellen im Innenohr geschädigt. Zudem können schwere Schäden im Mittelohr entstehen: Das Trommelfell oder die Gehörknöchelchenkette kann reißen. Es wird eine Operation notwendig.

Der einzig zuverlässige Schutz

"Wer sich verlässlich vor einem Knall- oder Explosionstrauma schützen will, sollte zu Silvester unbedingt einen Gehörschutz tragen - unabhängig davon, ob man selbst Böller abfeuern oder nur zusehen möchte", empfiehlt Dr. Christina Beste, Geschäftsführerin des Forum Gutes Hören. Auch der niedergelassene HNO aus Mönchengladbach rät dazu. Mit 16 Jahren sei das menschliche Gehör in der Regel ausgewachsen.

Dann könne man sich neben den in Apotheken und Drogeriemärkten erhältlichen einfachen Ohrstöpseln auch beim Hörgeräteakkustiker passgenaue, individuelle Pfropfen für den Hörgang anfertigen lassen. Die sind zwar mit rund 40 Euro deutlich teurer, bieten aber nach Auffassung des Mediziners auch bei Konzert- und Discobesuchen den besten Schutz vor Gehörschäden.

Sofort zum Notdienst

Wer nach dem Feuerwerk verändert hört, Pfeiff- oder Klingeltöne im Ohr hat oder andere der beschriebenen Symptome, der sollte schnellstmöglich zum Facharzt: Das heißt also eine Klinik mit HNO-Abteilung ansteuern oder eine der in den Städten eingerichteten Notfallpraxen oder Fachärzte-Notdienste aufsuchen.

(wat/rm/chk/csi/anch/sap)
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