Experten geben Tipps zur Vorbeugung Fördert der Lockdown Kurzsichtigkeit bei Kindern?

Düsseldorf · Homeschooling, Chats mit Freunden oder Onlinespiele - viele Kinder verbringen seit Beginn der Pandemie mehr Zeit vor Smartphones und Monitoren. Darunter leidet laut einer Studie die Sehkraft. Doch es gibt Gegenmaßnahmen, sagen Experten.

 Kinder, die zu nah und zu lange aufs Smartphone schauen, tun ihren Augen nichs Gutes (Symbolfoto).

Kinder, die zu nah und zu lange aufs Smartphone schauen, tun ihren Augen nichs Gutes (Symbolfoto).

Foto: Shutterstock/MIA

Wer nahe Dinge scharf sehen kann und Entferntes nur unscharf, der ist kurzsichtig. Mediziner sprechen in diesem Fall von einer Myopie. Einer chinesischen Studie zufolge könnte der Lockdown die kindliche Kurzsichtigkeit fördern.

Auf Grundlage einer jährlichen Routineuntersuchung auf Kurzsichtigkeit bei Grundschulkindern hatte man beim Check von 123.000 Schulkindern im Vergleich mit den Vorjahresdaten eine Verschlechterung der Sehkraft um 0,3 Dioptrien sowie eine Zunahme der Zahl kurzsichtiger Kinder festgestellt. Die Forscher führen diese unter anderem auf die zunehmende Bildschirmarbeit durchs Homeschooling zurück.

Schon vor Beginn der Pandemie war Kurzsichtigkeit auf dem Vormarsch. „Die Weltgesundheitsorganisation WHO sieht die Entwicklung von Myopie weltweit als ziemlich dramatisch an“, sagt Bettina Wabbels von der Universitäts-Augenklinik in Bonn. Bis zum Jahr 2050 könnten nach WHO-Schätzungen fünf Milliarden Menschen kurzsichtig sein – also in etwa die Hälfte der Weltbevölkerung.

So sieht die Welt mit einer Augenerkrankung aus
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Für Deutschland könne man die Beobachtungen aus Fernost nicht teilen. „Allerdings haben wir hier auch keine Reihenuntersuchungen, wie es sie in China gibt“, räumt Wabbels ein. Die für Deutschland erhobenen Daten zeigten seit Jahren relativ gleichbleibende Ergebnisse: In der Pubertät sei von fünf Jugendlichen einer kurzsichtig. Bei den 20-Jährigen sei es rund die Hälfte, sagt die Bonner Expertin und stimmt darin mit ihrem Kollegen Wolf Lagrèze überein. Er arbeitet als Leitender Arzt an der Uniklinik Freiburg. Insgesamt sei die Entwicklung von Kurzsichtigkeit in den letzten zehn Jahren bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland „nahezu unverändert“, heißt es in einer aktuellen Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2020.

Die Experten der Deutschen Ophtalmologischen Gesellschaft (DOG) sind dennoch besorgt. Sollte sich der Effekt der chinesischen Studie bewahrheiten und der Lockdown vor allem bei den Sechs- bis Achtjährigen Probleme mit dem Sehen verursachen, sei auch bei uns von einer Zunahme der Kurzsichtigkeit auszugehen. „Wir hatten im Frühjahr ebenfalls einen längeren Lockdown mit geschlossenen Schulen, aber auch geschlossenen Spielplätzen“, sagt Alexander Schuster vom Zentrum für ophthalmologische Epidemiologie und Versorgungsforschung der Augenklinik der Uni Mainz.

Unbestritten ist allen Experten zufolge, dass die Bildschirmzeiten bei Kindern und Jugendlichen insgesamt und besonders in der Pandemiezeit zugenommen haben. Besonders bei Kleinkindern und Kindern im Grundschulalter ist das Auge mitten in seiner Entwicklung und darum für ungünstige Einflüsse von außen besonders anfällig. Im späteren Leben können sich aus einer Myopie Folgeprobleme ergeben. Das Risiko einer Netzhautablösung steigt, ebenso die Wahrscheinlichkeit, ein Glaukom (Grüner Star) oder eine Makuladegeneration (Netzhauterkrankung) zu entwickeln, sagt Wabbels.

Zwar ist Kurzsichtigkeit in rund der Hälfte der Fälle genetisch bedingt, zum anderen Teil seien jedoch Umweltfaktoren ausschlaggebend, sagt Wolf Lagrèze. Entscheidend ist dabei, wie viel ein Kind im Nahbereich guckt und wie viel es draußen im Tageslicht ist.

Da die genetischen Faktoren durch die beiden Eltern vorbestimmt sind, ist das damit möglicherweise vorgegebene Myopie-Risiko unabänderbar. Es ist für ein Kind dreimal so groß, wenn beide Eltern kurzsichtig sind und zweimal so groß, wenn ein Elternteil kurzsichtig ist.

Einfluss nehmen kann man hingegen auf die Umweltfaktoren, die ebenfalls etwa zur Hälfte das Eintreten einer frühen Kurzsichtigkeit beeinflussen. Zu ihnen zählen die Zeit des Aufenthalts im Tageslicht sowie die Zeit, in der nah am Auge gearbeitet wird. Das ist beispielsweise der Fall, wenn Kinder ausdauernd auf ihren Laptop, das Handy oder auch in ein Buch schauen. Durch den dauernden Fokus auf den Nahbereich bekommt der Augapfel einen Wachstumsimpuls in die Länge. „Je jünger das Kind ist und je intensiver die Nahtätigkeit ist, desto dramatischer wirkt sich das aus“, sagt Wabbels. Das Phänomen an sich ist dabei nicht neu. „Aus der Forschung wissen wir beispielsweise, dass auch die Zahl der Ausbildungsjahre einen Einfluss auf die Entwicklung einer Myopie hat“, sagt Lagrèze. „Je höher der Schulabschluss sei, desto höher sei der Anteil der Kurzsichtigen. Der Grund: Durch das ausdauernde Lernen schauen die Betroffenen viel auf kurze Distanz. Ein Zurück gibt es nicht. Wer einmal kurzsichtig ist, der bleibt es auch.

Verstärkt wird die Entwicklung einer Myopie durch den zu langen Aufenthalt in geschlossenen Räumen. Denn geringe Lichtstärke begünstigt Kurzsichtigkeit, wie eine Metaanalyse von 19 Kohortenstudien belegt. In Innenräumen wie Büros oder Klassenräumen, herrscht in der Regel eine Lichtstärke von 500 Lux. Draußen hingegen werden Lichtstärken von 10.000 bis 20.000 Lux erreicht. Selbst bei bewölktem Himmel ist laut Wabbels die Lichtintensität rund 30 Mal höher als in einem gut beleuchteten Raum.

Das raten darum die Experten:

  • Besonders in Lockdownzeiten, in denen sich Naharbeit und zu wenig Zeit im Tageslicht addieren, sollten Eltern ihren Kindern einen Aufenthalt von mindestens zwei Stunden im Freien ermöglichen. „Zwei Stunden Tageslicht täglich sind das Minimum dessen, was ein Auge für eine gesunde Entwicklung benötigt“, sagt Wabbels. Bei einem Spielplatzbesuch oder dem Inlinerfahren draußen kann man nicht nur Sauerstoff tanken und sich auspowern, sondern tut auch den Augen etwas Gutes. Denn „Tageslicht erhöht vermutlich den Dopamin-Gehalt in der Netzhaut und wirkt sich protektiv aus“, sagt Lagrèze. Knapp zwei Stunden am Tageslicht senken das Myopie-Risiko um die Hälfte.
  • Bei der Mediennutzung sollten Eltern mindestens auf einen Abstand von 30 Zentimetern achten, also in etwa die Längsseite eines DIN A4-Blatts. Im Zweifel ist demnach eine kurze Zeit vor dem Fernseher immer noch vorteilhafter als die Stillbeschäftigung mit einem Tablet, weil hier die Distanz zum Bildschirm größer ist.
  • Vorteilhaft ist ein möglichst großer Bildschirm, da damit automatisch mehr Distanz gehalten wird.
  • Alle 20 Minuten sollten auch Kinder den Blick für 20 Sekunden in die Ferne schweißen lassen. Das Auge stellt dann zwischen Nah- und Fernsicht um und löst so den Fokus.
  • Auch bei Kindern führt das Arbeiten an Bildschirmen und Displays zu trockenen Augen. Der Grund: Der Lidschlag wird seltener. Da sich durch ihn Tränenflüssigkeit auf dem Auge verteilt, trocknet das Auge bei geringer Blinzelfrequenz aus. Das hilft: Das Kind regelmäßig ermuntern, sich kurz zu bewegen. Dann nimmt auch der Lidschlag wieder zu.
  • Die Zeit der Mediennutzung sollte begrenzt sein und auch die Dauer von Homeschooling und privaten Videochats miteinbeziehen.
  • 0-3 Jahre: „Aus augenärztlicher Sicht sind PC, Smartphone und Tablet für Kinder bis zu einem Alter von drei Jahren am besten ganz zu vermeiden“, sagt Wabbels.
  • 4-6 Jahre: Die tägliche Nutzungsdauer digitaler Medien sollte zum Wohle der Augen nicht mehr als maximal 30 Minuten betragen.
  • 6-10 Jahre: Im Grundschulalter halten sowohl die Augenärzte als auch die WHO eine tägliche Nutzungsdauer von maximal einer Stunde für vertretbar.

Die Realität zeigte jedoch auch vor den Lockdowns schon, dass die empfohlene Mediennutzungsdauer weit überschritten wird. 75 Prozent der Zwei- bis Vierjährigen spielen bereits bis zu 30 Minuten mit Smartphones

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