Arzt aus Leverkusen Herr Doktor geht auf Pollenjagd

Leverkusen · Um seine Patienten besser behandeln zu können, analysiert der Leverkusener Arzt Norbert Mülleneisen auf eigene Kosten die Allergene der Umgebung. Die Ergebnisse sind so aufschlussreich, dass sich auch Kollegen dafür interessieren.

 Der Lungenfacharzt Norbert Mülleneisen hat auf dem Dach seiner Praxis eine Pollenfalle installiert. Sie funktioniert in etwa wie ein Staubsauger und saugt rund zehn Liter Luft pro Minute an.

Der Lungenfacharzt Norbert Mülleneisen hat auf dem Dach seiner Praxis eine Pollenfalle installiert. Sie funktioniert in etwa wie ein Staubsauger und saugt rund zehn Liter Luft pro Minute an.

Foto: Miserius, Uwe

Der Brennnessel hat es Norbert Mülleneisen zu verdanken, dass er unter die Jäger gegangen ist. Die Beute des Leverkusener Arztes allerdings ist winzig klein - es sind Blütenpollen. Unter dem Mikroskop schön anzusehen, mit Poren, Erhebungen und Einkerbungen, aber leider auch für viele Menschen mit hässlichen Folgen verbunden. Sie reagieren allergisch auf Pollen, die Augen jucken, die Nase läuft, etliche entwickeln Atembeschwerden, manche gar Asthma. Als ein Taxifahrer in Mülleneisens Praxis seine allergischen Reaktionen mit blühenden Brennnesseln in Zusammenhang brachte, was eher ungewöhnlich ist, wollte der Arzt es genau wissen: Er schaffte sich eine Pollenfalle an. Seither weiß Mülleneisen genau vorherzusagen, was (bei) ihm blüht.

Wenn der Lungenfacharzt über Allergien spricht, kann er sich schnell ereifern. "30 Prozent der Menschen leiden an Allergien", sagt er, "40 Prozent davon bekommen im Laufe ihres Lebens Asthma. Allergien sind eine Volkskrankheit, werden aber verharmlost." Jedes Frühjahr seien irrsinnig viele Krankheitstage und schlechte Schulleistungen darauf zurückzuführen, dass die Betroffenen an Heuschnupfen litten, dies oft aber nicht einmal wüssten. Dabei könne man eine Allergie, wenn man sie frühzeitig erkenne, gut behandeln - und damit ernste Folgekrankheiten vermeiden. Die Pollenfalle, sagt Mülleneisen, unterstützt ihn dabei.

Ärzten und Allergikern bleibt ansonsten nur die Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst, um zu erfahren, welche Pflanzen gerade blühen. Das Netz der Stiftung umfasst bundesweit 45 Pollenfallen. Zu wenig, um regionale Unterschiede herauszufiltern, sagt Mülleneisen. "Roggen etwa spielt im Rheinland kaum noch eine Rolle, dafür sind Gerste und Weizen wichtig", erklärt Mülleneisen. Auch Rapspollen hat er mit seiner Falle gefangen. Dabei war der Arzt davon ausgegangen, dass diese zu schwer sind, um vom Wind transportiert zu werden. "Der Raps fliegt aber nicht weit", sagt er, die Felder lagen in unmittelbarer Nachbarschaft. So genaue Daten könne der Polleninformationsdienst eben nicht liefern.

Die Pollenfalle steht bei Mülleneisens Praxis im Stadtteil Rheindorf auf dem Dach. Sie funktioniere etwa wie ein Staubsauger, erläutert der Mediziner, sauge rund zehn Liter Luft pro Minute an, 24 Stunden am Tag. Die Pollen setzen sich im Inneren auf einem Klebestreifen ab, den eine eigens angestellte Mitarbeiterin täglich auswertet. "Sie zählt die charakteristisch geformten Pollen einzeln aus", sagt Mülleneisen - das können auch mal mehrere Tausend pro Tag sein. Die Daten speist der Arzt in den Polleninformationsdienst ein und stellt sie Kollegen zur Verfügung. Einige seien so begeistert, dass sie sich selbst einen Pollenstaubsauger zulegen wollen. Das ist nicht billig: Rund 6000 Euro hat Mülleneisens Gerät gekostet, dazu kommt das Honorar für die Auswertung. "Ich betrachte das als eine Art Hobby, von dem zehn Prozent meiner Patienten - oft die Spezialfälle - profitieren."

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Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Mülleneisen sieht sich daher auch als Detektiv, der knifflige Rätsel lösen muss. Etwa das einer Frau mit Eibenpollenallergie, obwohl Eibenpollen nur sehr gering nachzuweisen sind. Dann stellt sich heraus, dass die Eibe direkt unter ihrem Schlafzimmerfenster steht. Andere Patienten lässt Mülleneisen ein Beschwerde-Tagebuch führen, um die Einträge mit seinen Daten abzugleichen. Generell registriert der Arzt, dass Allergien nicht nur zunehmen, sondern sich über das komplette Jahr verteilen statt nur auf die eigentliche Blütezeit im Frühjahr. Vor allem die aktiven Phasen von Birke, Erle und Hasel, allesamt Frühblüher, würden sich bedingt durch den Klimawandel sowohl nach vorne als auch nach hinten verschieben. Die Folge: Allergische Reaktionen beginnen eher und dauern länger. "Haselbäume blühen sogar im Winter", sagt Norbert Mülleneisen. Das heißt, auch im Dezember sitzen Patienten mit Triefnasen in seiner Praxis.

Als beste Behandlungsform ist immer noch die Hyposensibilisierung die Methode der Wahl. Mülleneisen empfiehlt aber, schon früh Allergien vorzubeugen. Beispielsweise, indem Mütter ihre Kinder stillen und während der Stillzeit aufs Rauchen verzichten. Generell helfe auch eine ausgewogene Ernährung, Allergien zu vermeiden. Andererseits seien die Menschen diversen Umweltfaktoren ausgesetzt, die Allergien auslösen können - wie etwa der zunehmenden Luftverschmutzung. "Diese Welle läuft weiter ungebremst auf uns zu", sagt Mülleneisen.

Und mit ihr die Pollen, die ihm in die Falle gehen.

(RP)
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