Infarkt-Risiko Mann, Promi, herzkrank

Düsseldorf · Männer im Rampenlicht erleiden oft Infarkte durch Stress, Nikotin und ungesundes Leben. Weibliche Stars sind nur selten betroffen.

Bei einem Herzinfarkt zählt jede Sekunde: hier das Herzkatheterlabor des Franziskus-Krankenhauses in Mönchengladbach. Foto: Endermann

Bei einem Herzinfarkt zählt jede Sekunde: hier das Herzkatheterlabor des Franziskus-Krankenhauses in Mönchengladbach. Foto: Endermann

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Sie alle bekommt er zu sehen, die Jungen und Super­dynamischen, die Sensiblen und Unvernünftigen, die Alten und Geschwächten, Reiche und Arme, Berühmte und Namenlose. Willkommen im Wartezimmer des Kardiologen.

Wer sein Leben im Abwartezimmer verbringt und keinen Kardiologen aufsucht, sieht ihn oder andere Ärzte zuweilen erst in der Horizontalen wieder: wenn ein Katheter durch seine Aorta Richtung Herzkranzgefäße geschoben wird oder wenn Bypässe auf diese verstopften Adern genäht werden. Oder wenn Vorhofflimmern einen Blutpfropf ins Gehirn gespült und einen Schlaganfall ausgelöst hat. Oder wenn Rhythmusstörungen ins Kammerflimmern übergegangen sind und nur ein schneller Defibrillator noch helfen konnte.

Mancher erholt sich, mancher nicht – wie Franz Beckenbauer. Dem haben Herzchirurgen 2016 angeblich „geplant“, wie es hieß, „mindestens einen Bypass“ verpasst. Kurz zuvor hatte er die Steuerfahndung im Haus sowie Post mit einem Strafverfahren im Briefkasten gehabt. Seit der OP sei er „nicht mehr der Alte“, klagte er dieser Tage.

Die Operation habe er, sagte er jetzt der „Bunte“, einem anderen Kapitän verdankt, nämlich Günter Netzer: „Als ich von seiner Not-OP am Herzen gehört habe, bin ich nach zehn Jahren erstmals wieder zum Kardiologen gegangen.“ Der teilte ihm mit: „Das hält dein Herz nur noch ein halbes Jahr aus.“

Man könnte Legionen von Kapitänen aufführen, Staatsmännern,  Leinwandgrößen, Generalmusikdirektoren, Managern, Ministern, Direktoren, Chefredakteuren – sie alle vereint die Mixtur aus Öffentlichkeit, Stress, Leistungsdruck. Wenn man sie zu einer Studie bäte und ihnen Blut abnähme, käme heraus: Viele haben einen deutlich erhöhten Cortisol-Spiegel.

Cortisol ist ein sogenanntes Steroidhormon, das in der Nebennierenrinde produziert wird. Es wirkt wie das verwandte Cortison, es hemmt Entzündungen, nützt der Glukoseproduktion in der Leber und dem Fettstoffwechsel, es reguliert den Blutdruck. Allerdings führt eine zu hohe Konzentration von Cortisol, das den Stresshormonen zugerechnet wird, zur Ablagerung von Fett in den Gefäßen, zur Versteifung und Verkalkung von Arterien. Menschen mit Depressionen haben ebenfalls einen hohen Cortisol-Spiegel im Blut und somit ein Risiko für eine koronare Herzerkrankung.

Natürlich hat auch Otto Normalverbraucher mit diesen Problemen zu kämpfen, wenn er Herabsetzung, Schimpfattacken oder gar Mobbing zu ertragen hat. Die Großkopfeten aber ignorieren ihre Krankheit. Unablässig glauben sie an ihre Unentbehrlichkeit. Der Genuss der Macht gleicht jedoch die Gefahren nicht aus, die ihnen der Fluch der Macht einbrockt, stets richtige Entscheidungen treffen zu müssen.

Das ist überall so, auch jenseits des großen Teiches. Bill Clinton lebt seit langem mit Bypässen und mehreren Stents. Der frühere US-Vizepräsident Dick Cheney erlitt fünf Herzinfarkte und trägt jetzt ein Spenderherz. Gregor Gysi folgt ihm mit drei Herzinfarkten. Ebenfalls von Herzinfarkten heimgesucht wurden Willy Brandt, Helmut Schmidt, Hans-Dietrich Genscher, Jürgen Trittin, Peter Struck, Wolfgang Gerhardt. Sie alle tanzten auf vielen Hochzeiten, lebten ungesund und bekamen von ihrem Herz die Quittung.

Der Zwang zur Allgegenwart verschärft die Gefahr, dass Politiker zu Verdrängungskünstlern werden. Horst Seehofer war auch einer: Im Jahr 2002 ignorierte er eine Herzmuskelentzündung so lange, bis sein Herz nur noch eine Pumpleistung von zehn Prozent hatte. Im Jahr 2015 sackte er bei den Bayreuther Festspielen zusammen und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Joschka Fischer weilte 2013 in Teheran, als ihn akute Herzprobleme peinigten. Auslöser war ein turmhoher Bluthochdruck.

Aber es sind ja nicht nur die Politiker. Auch am Filmset herrscht offenbar dermaßen viel negativer Stress, dass viele Stars ihn mit einem Herzinfarkt bezahlen. Im vergangenen Jahr war es zum Beispiel Burt Reynolds, den ein Infarkt dahinraffte. Bei einem Medizinerkongress in Los Angeles wurde 2011 vorgerechnet, dass seit Beginn der Oscar-Ehrungen im Jahr 1927 von 409 nominierten Schauspielern genau 39 schon einmal einen Herzinfarkt erlitten hatten – das sind 9,5 Prozent.

Oder die Dirigenten: Da ist die Liste von Musikern, die schwer herzkrank sind, nicht minder spektakulär. Der Berühmteste von ihnen ist Mariss Jansons. Er muss befürchten, dass es ihm geht wie etlichen Kollegen, die teilweise sogar während einer Aufführung einem Infarkt erlagen, so etwa Giuseppe Sinopoli, Joseph Keilberth, Giuseppe Patanè, Dimitri Mitropoulos, Jeffrey Tate.

Es ist tatsächlich so, dass es mehr Herzkranke unter Promis gibt als in der Normalbevölkerung. Und die allermeisten sind tatsächlich Männer. Weibliche Infarkt-Opfer gibt es zwar auch, und zwar nicht selten, aber in der Zone der Berühmten und Telegenen erstaunlicherweise kaum. Gehen prominente Frauen anders mit Stress um? Nun, Frauen bekommen einen Herzinfarkt meistens später als Männer, und von herzkranken weiblichen Führungskräften hört man fast nie. Der Grund: Bis zum Beginn der Wechseljahre schützt Frauen ihr Östrogen. Bekannt sind allerdings Herzrhythmusstörungen etwa bei Miley Cyrus.

Ihr Status führt zwar manchmal dazu, dass sich Prominente die besten Ärzte leisten können. Aber eine Garantie für bessere Behandlung oder längeres Überleben und gegen Komplikationen ist das nicht. Arnold Schwarzenegger zum Beispiel hat von Geburt an eine Anomalie der Aortenklappe, die 1997 erstmals operiert wurde. Als diese Klappe im vergangenen Jahr getauscht werden sollte, wollten die Kardiologen sie ihm in einem sogenannten interventionellen Verfahren einbauen: per Katheter. Dabei wurde die künstliche Klappe nach einem Schnitt in der Leiste durch die dortige Arterie langsam, auf einem Katheter sitzend, Richtung Herz geschoben. Unter Röntgendurchleuchtung sieht das immer aus, als werde eine dicke Wurst durch den Körper geschoben.

Allerdings misslang der Eingriff, die Kardiologen hatten Probleme, die Klappe zur Entfaltung zu bringen. Lebensbedrohlich war das nicht, denn bei derartigen Verfahren, kurz „Tavi“ genannt, steht immer ein Herzchirurg mit am Tisch, der im Notfall übernehmen und konventionell offen operieren kann. Dieser Fall trat bei Schwarzenegger ein. Jetzt geht es ihm wieder gut.

Doch kaum war die OP vorbei, kam es zur branchenüblichen Keilerei der Ärztefraktionen. Während bastelfreudige Kardiologen gute Argumente für ihr schonendes Verfahren anführen (geringes Schlaganfall-Risiko; schnellere Genesung, hilfreich vor allem bei Patienten mit moderatem bis hohem OP-Risiko), beharren Herzchirurgen auf ihrer These, dass im Ernstfall wie bei Schwarzenegger nichts über den chirurgischen Aortenklappen-Ersatz gehe. Außerdem müsse bei der Tavi immer eine sogenannte biologische Klappe verwendet werden, die nicht so lang halte. Die Chirurgen hätten dagegen die Möglichkeit, eine mechanische Klappe zu implantieren – die allerdings lebenslang eine Blutgerinnungshemmung durch Marcumar erfordert, damit sich an der neuen Klappe keine Thromben bilden.

In dieser diffusen Gemengelage um herkömmlichen und neuen Klappenersatz meldete sich dieser Tage sehr vergnügt Mick Jagger. Bei dem 75-Jährigen, dem in jüngster Vergangenheit eine sogenannte Aortenklappenstenose schwer zu schaffen gemacht hatte, glückte der Tavi-Eingriff tadellos. Jetzt geht es ihm eigenem Bekunden zufolge großartig. Er folgte dem Beispiel von Paul McCartney, der vor einigen Jahren mit seinen Herzproblemen ebenfalls rechtzeitig zum Arzt gegangen war. Der Ex-Beatle bekam Stents. Seitdem ist auch er wohlauf – und bejubelt ärztliche Kunst.

McCartney hat danach einmal eingeräumt, dass das Leben als Star alles andere als gesund sei. Mit seinem (gesunden) Kollegen Herbert Grönemeyer könnte er die Kausalkette, wie es zur Herzkrankheit kommt, glasklar benennen und besingen: „Männer stehen ständig unter Strom, Männer baggern wie blöde, Männer lügen am Telefon, Männer sind furchtbar stark, Männer können alles, Männer kriegen ’nen Herzinfarkt.“

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