Freund und Feind in einem Wirkstoff

Kortison kann Leben retten und Entzündungen bekämpfen - dennoch hat es keinen guten Ruf, denn die Angst vor den Nebenwirkungen ist groß. Ist sie begründet?

Kortison - wie gefährlich sind die Nebenwirkungen?
Foto: Zörner

Brüchige Knochen, ein aufgequollenes Gesicht und erhöhte Infektanfälligkeit - das sind viel gefürchtete Nebenwirkungen von Kortison. Bluthochdruck, Gewichtszunahme und Diabetes ergänzen diese Liste. Als ich aber zuletzt selbst mit einem dicken Insektenstich in der Apotheke nach einem hilfreichen Mittel fragte, empfahl mir der Apotheker ein Gel mit dem Inhaltsstoff Kortison. Kaufen konnte ich die Tube ohne ein Rezept des Arztes. Wie passt das zusammen?

"Kortison zählt zu den wirksamsten Entzündungshemmern der Medizin", sagt Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein. Für viele Menschen mit entzündlichen Erkrankungen wie Neurodermitis, Asthma oder Rheuma ist es ein Segen. In manchen Situationen kann eine schnelle und hohe Gabe sogar lebensrettend sein, bei einem Allergieschock zum Beispiel, oder bei einem schweren Asthmaanfall. In diesen Situationen gibt man den Wirkstoff in hoher Dosis - meist als Lösung oder Spritze.

"Es wirkt dann systemisch, also auf den ganzen Körper", sagt Wolfgang Petro, Lungenfacharzt und Allergologe in Nürnberg. Würde man es über lange Zeit in dieser hohen Dosierung einnehmen, könnte es aber tatsächlich zu den bekannten Nebenwirkungen führen. Doch müsse man das relativieren, denn seiner Erfahrung nach überwiegt der Nutzen des Wirkstoffs, sagt Petro. Der Grund: Kortison wird heute von Ärzten nur in so niedriger Menge wie nötig und so lokal begrenzt wie möglich verabreicht.

Kortisol wird als Vorstufe des Kortisons bei jedem gesunden Menschen in der Nebennierenrinde gebildet. Als US-Forscher im Jahr 1935 die entzündungshemmende Wirkung des körpereignen Hormons erkannten, wusste man noch zu wenig darüber. "Als vermeintliches Wundermittel setzte man es unkritisch und unkontrolliert ein", sagt Pharmazeut Preis. Es zeigten sich teils unumkehrbare Nebenwirkungen. Diese hat man heute durch Dosisreduzierung und Therapiestrategien weitestgehend reduziert. Doch die Angst vieler Menschen ist geblieben.

Unnötigerweise, finden die Experten. Richtig angewandt sei Kortison ein Glücksfall für die Menschen, sagt Preis. Darum steht es heute in den Leitlinien zu vielen entzündlichen Erkrankungen. "Selbst in der Langzeittherapie kommt man oft mit niedrigen Dosen aus", sagt Petro. Der Körper produziere täglich selbst eine Menge von 20 bis 30 Milligramm Kortison. Inhaliere ein Asthmatiker Kortison, mache das eine Dosis von 0,4 bis 0,8 Milligramm am Tag aus.

Das sei der Grund dafür, warum ein Asthmatiker ein Leben lang ohne größere Probleme mit diesem Medikament leben könne. Bei bis zu fünf Milligramm am Tag sind die Risiken und Nebenwirkungen noch akzeptabel, sagen Experten.

Im Vordergrund vieler Behandlungen steht es, den Wirkstoff so niedrig, so kurz und so lokal begrenzt wie eben möglich zu geben. Ein Beispiel dafür sind Cremes, die bei Hauterkrankungen wie Ekzemen oder Neurodermitis verordnet werden.

"Cremes oder Gele werden direkt auf die Haut aufgetragen und wirken auch nur dort", sagt Preis. So ist das auch bei rezeptfrei in der Apotheke verkauften Cremes mit Kortisonbeimengung, die zur schnellen Linderung bei Insektenstichen angeboten werden.

Thomas Preis empfiehlt sie selbst häufig: "Wir sehen inzwischen oft sehr entzündete Stiche." Durch die Behandlung mit einer leichten Kortisoncreme klingen auch solche problematischen Stiche meistens schnell ab, und infizieren sich auch nicht zusätzlich bakteriell, sagt Preis. Dadurch ist nur eine kurzzeitige Behandlung nötig. Bei einer langfristigen Behandlung könnte die Haut allerdings dünn und pergamentartig werden.

Seit September 2016 dürfen auch Nasensprays mit kortisonhaltigen Wirkstoffen wie Fluticason oder Mometason rezeptfrei über die Apothekertheke gehen. Sie bringen Menschen Linderung, bei denen der Arzt zuvor eine Allergie auf Pollen - Heuschnupfen - diagnostiziert hat. Da sie größtenteils über die Nasenschleimhaut verstoffwechselt werden, gelangt kaum etwas in den Blutkreislauf. Pharmakologe Preis rät zur gründlichen Säuberung der Nase vor der Anwendung, "am besten mit einer Nasendusche". Nasensprays mit Kortison können langfristig angewendet werden. An Tagen ohne Pollenflug oder nach der Heuschnupfensaison sollten sie jedoch abgesetzt werden.

Augentropfen mit dem Wirkstoff sind verschreibungspflichtig und sollten ausschließlich kurzzeitig verwendet werden. Einer der Gründe: Meist steigt der Augendruck unter Verwendung von Kortison im Auge. Zudem verlängert sich auch die Wundheilung im Auge, und die Hirnhaut kann Schaden nehmen.

Bei Arthritis oder akuter Arthrose wird oftmals von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, das Kortison direkt an die betroffene Stelle im Gelenk zu spritzen und es auch hier lokal wirken zu lassen. In den Blutkreislauf oder Muskel spritzt der Arzt immer nur dann, wenn es sich schnell im Körper verteilen soll. Das ist bei einer allergischen Reaktion der Fall. Das Kortison wirkt dann systemisch. Kortisontabletten wirken immer systemisch. Oft werden sie in akuten Phasen als Stoßtherapie eingesetzt. Der Patient nimmt zunächst eine hohe Dosis und reduziert diese dann täglich um eine Tablette, bis er bei null angekommen ist. Dazu rät Preis: "Nehmen Sie das Präparat morgens zusammen mit der Mahlzeit ein." Der Grund: Die körpereigene Produktion ist morgens am höchsten. So greift man am wenigsten in den natürlichen Regelkreis ein.

Nach einer langen Therapiephase macht es Sinn, das Kortison auszuschleichen. Denn durch die Kortisongabe von außen reduziert die Nebennierenrinde die eigene Produktion oder stellt sie sogar ganz ein. Durch das Ausschleichen kann sie ihre Arbeit langsam wieder selbst aufnehmen.

(wat)
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