Bad Vilbel Hungerhaken statt Wonneproppen

Bad Vilbel · Während viele Kinder mit Übergewicht und Fettsucht kämpfen müssen, zeigt die Waage bei anderen zu wenig an. Vor allem, wenn die Kinder auch noch schlechte Esser sind, machen sich Eltern Sorgen. Meist ist aber alles in Ordnung.

Spätestens im Kindergarten fängt das Vergleichen an: Ist mein Kind dünner als Gleichaltrige? Isst es nicht viel weniger als andere? Untergewicht ist in Deutschland ein ernstzunehmendes Problem. "Etwa vier bis fünf Prozent der Drei- bis Sechs-Jährigen sind untergewichtig. Bei den 13-Jährigen sind es sogar etwa 9,5 Prozent, die zu wenig auf die Waage bringen", sagt die Ökotrophologin Sylvia Becker-Pröbstel. Bedingt sei der Anstieg bei älteren Kindern vor allem durch die Zunahme von Essstörungen wie Magersucht. Aber nicht in jedem Fall müssen ernste Ursachen dahinterstecken, wenn Kinder und Jugendliche sehr dünn und merklich schlanker als Freunde und Mitschüler sind. Denn Statur und Gewicht werden auch durch Gene und Hormone bestimmt. Bekannt sind die drei Körpertypen, bei denen der Dünne zu den Leptosomen gehört.

"Es gibt Familien, die schlank und hochaufgewachsen sind", sagt Becker-Pröbstel. Das Schilddrüsenhormon zum Beispiel könne einen Einfluss auf das Gewicht in beide Richtungen haben. Weitere Faktoren wie das Temperament des Kindes, das Umfeld, das Maß an Bewegung sowie das Essverhalten in der Familie beeinflussen das Gewicht.

Isst ein Kind weniger als andere, deutet das nicht unbedingt auf eine problematische Entwicklung hin. Allein der Grundumsatz, der tägliche Energiebedarf im Ruhezustand, kann abhängig vom individuellen Stoffwechsel bei zwei gesunden Kindern, die in Größe und Gewicht identisch sind, um bis zu 300 Kilokalorien variieren.

Auch hinsichtlich der Esscharaktere gibt es Unterschiede, die Eltern tolerieren sollten. "Es gibt die vorsichtigen Esser und die Trennköstler", sagt Becker-Pröbstel. Das seien Kinder, die den Eigengeschmack von Lebensmitteln lieben. "Dann ist nicht Gemüseeintopf angesagt, sondern Spaghetti mit Soße."

Sorgen müssn sich Eltern in der Regel nicht, solange die Kinder nicht häufiger krank sind und keine Veränderungen im Verhalten zeigen. Hegen Eltern Zweifel, ob die Schlankheit ihres Kindes über das normale Maß hinausgeht, gehen sie am besten zum Kinderarzt.

Dabei müssen die Entwicklung des Kindes von Geburt an und seine gegenwärtige Lebenssituation immer berücksichtigt werden. Bewegt sich ein Kind von Geburt an eher an der Grenze zum Untergewicht und behält diese Entwicklung stetig bei, ist das geringe Gewicht wahrscheinlich anlagebedingt. Ein plötzliches Abweichen vom Kurvenverlauf oder starkes Untergewicht deuten aber auf eine möglicherweise ernste Ursache hin. Eltern schätzen die Situation oft falsch ein. "Vor allem bei kleineren Kindern, die aus Sicht der Eltern vermeintlich zu wenig essen oder zu dünn sind, stellt sich bei den Untersuchungen dann doch oft heraus, dass alles normal ist", sagt Ernährungsmediziner Thomas Kauth.

Nach seinen Erfahrungen machen Eltern häufig Druck und versuchen dünnen Kindern Essen aufzudrängen, selbst beim Fernsehen oder Spielen. "Normalerweise wird die Nahrungsaufnahme über Hunger reguliert. Diese Regulation wird ausgehebelt", warnt Kauth. Eine Essstörung könne sich so verstärken. Manche Kinder landeten später im Übergewicht. Andere entwickelten Frust und verweigerten sich dem Essen nur noch mehr.

Freude am Essen statt Druck und feste Mahlzeiten, bei denen die Familie gemeinsam am Tisch sitzt, sind hilfreich und wichtig. Aber auch Essenspausen von drei bis vier Stunden ohne Naschen machen Sinn. Denn nur so können Kinder ein Gefühl für Hunger entwickeln.

(DPA-TMN)
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