Neues Verfahren in Deutschland Mit Hitze im Darm gegen Typ-2-Diabetes

Düsseldorf · Ein neuartiger Katheter verödet die Schleimhaut des Zwölffingerdarms. Stoffwechselstörungen soll das sogenannte Revita-Verfahren auf diese Weise begradigen. In Düsseldorf wird es nun deutschlandweit erstmals vorgestellt.

Der Zwölffingerdarm ist direkt an den Magen angeschlossen und der erste Teil des Dünndarms. Dort setzt der Revita-Katheter an.

Der Zwölffingerdarm ist direkt an den Magen angeschlossen und der erste Teil des Dünndarms. Dort setzt der Revita-Katheter an.

Foto: istock

Den Dünndarm hält unsereiner meist für einen unbedeutenden Transportkanal im Kraftwerk des menschlichen Körpers. Das ist ein gewaltiger Irrtum. Es war ausgerechnet der Liedermacher Reinhard Mey, der einen Streckenabschnitt des Dünndarms auf ulkig-ironische Weise in Erinnerung rief: „Ihr Jejunum ist gebogen“, rief ein fiktiver Arzt als Krankheitsdiagnose in Meys Lied „Dr. Nahtlos, Dr. Sägeberg und Dr. Hein“. Diese Feststellung ist natürlich eine lustige Binse, denn das Jejunum, der sogenannte Leerdarm, ist knapp 2,5 Meter lang und schlängelt sich durch unseren gesamten Bauchraum – das geht gar nicht ohne Kurven, Biegungen und Windungen.

Näher am Magen befindet sich der Zwölffingerdarm, das Duodenum. Ihn können Ärzte bei einer erweiterten Magenspiegelung ebenfalls mit der Sonde inspizieren. Dann wird aus der Gastro- die Duodenoskopie. Jetzt wird der Zwölffingerdarm in Deutschland auch zum Zielort eines neuen Eingriffs, des Revita-Verfahrens. Es sei – so hoffen die Ärzte, die es bald anwenden, und die Firma Fractyl, die einen Spezialkatheter hergestellt hat – für Menschen mit Typ-2-Diabetes segensreich. Botschaft: Ungünstige Stoffwechselvorgänge werden unterbunden. Anreiz: Die Kosten des Eingriffs werden von den Gesetzlichen Krankenkassen übernommen.

Bei solchen Versprechungen zum Wohle der vielen Zuckerkranken gilt es, vorsichtig zu sein. Dass Medizinprodukte-Hersteller Geld verdienen wollen und Studienergebnisse freundlich zu eigenen Gunsten deuten, steht außer Frage. Aber vielleicht bringt die neue Technik wirklich erhebliche Effekte. Worum geht es?

Der Zwölffingerdarm heißt so, weil seine Länge ungefähr zwölf Fingerbreiten beträgt. Er ist die erste Teilstrecke des Dünndarms und für viele Stoffwechselvorgänge wichtig: Hier vermischt sich der Speisebrei mit Säften und Enzymen aus der Bauchspeicheldrüse, der Gallenblase, der Leber – und aus besonderen Drüsenzellen der Darmwand selbst, die Hormone in die Blutbahn abgeben. Diese Melange spaltet die Nahrung, sie verdaut und verwertet sie; sie absorbiert beispielsweise Fettsäuren. Darüber hinaus bereiten Darmhormone den Körper darauf vor, dass nun Nahrung ankommt. Bei Typ-2-Diabetikern findet man übermäßig viele dieser Drüsenzellen in der oft durch ungesunde Ernährung angezüchteten und verdickten Dünndarmwand. Diese Entwicklung reduziert aber paradoxerweise die Ausschüttung von Darmhormonen. Oft nehmen die Betroffenen Medikamente, die diese Stoffwechselvorgänge korrigieren und den Blutzuckerspiegel senken. Zugleich sind solche Patienten nicht selten übergewichtig und leiden an einer Fettleber.

Deshalb haben Mediziner schon vor langer Zeit den Magen und den nahen Zwölffingerdarm als Zugriffsorte ins Visier genommen. Die sogenannte bariatrische Chirurgie hat manchem Betroffenen mit dem Magen-Bypass oder dem Schlauchmagen Erleichterung verschafft, obwohl jedes Verfahren naturgemäß Nebenwirkungen mit sich bringt. Der Endobarrier ist ebenfalls eine recht neuartige Lösung: ein künstlicher innerer Schlauch, der einen Magenbypass simuliert. Wegen häufiger Komplikationen, nämlich Abszessen in der Leber, wurde ihm das CE-Zertifikat jedoch aberkannt.

Ein anderer Eingriff, der jüngste auf der endoskopischen Schiene der Therapien, bedient sich der Hitze. Er verödet die Schleimhaut des Zwölffingerdarms, indem er mit einem speziellen Ballonkatheter – den man wie bei der Magenspiegelung schluckt und der sich an Ort und Stelle langsam vorarbeitet – 90 Grad heißes Wasser auf die Schleimhaut befördert. Deren Unterschicht wurde zuvor mit Kochsalzlösung gegen die Verbrühung, auch Thermoablation genannt, unempfindlich gespritzt.

Und nach dem knapp 30 Minuten langen Eingriff, für den keine Vollnarkose, nur eine kurze Sedierung vonnöten ist? Die verödete Schleimhaut des Zwölffingerdarms wächst nach, nun aber quasi jungfräulich, und bildet – das ist der Plan – augenblicklich normale Stoffwechselhormone. Dies könnte das Gewicht und vor allem den Blutzuckerspiegel senken, hoffen Entwickler und Ärzte, und auch so manche Fettleber würde sich zurückentwickeln. Doch schafft das der Eingriff überhaupt allein?

Dieses Verfahren der durch Hitze provozierten Schleimhaut-Erneuerung des Zwölffingerdarms soll demnächst erstmals an drei deutschen Kliniken wissenschaftlich untersucht werden: in der Uniklinik Freiburg, in der München Klinik Bogenhausen und im Evangelischen Krankenhaus Düsseldorf. Beim 25. Internationalen Endoskopie-Symposion in Düsseldorf wird es nun erstmals hierzulande vor großem Publikum vorgestellt. Frühere Studien aus anderen Ländern brachten bei den Zielwerten etwas unklare Ergebnisse, weswegen das Verfahren sowohl vom Iqwig (dem Kölner Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) als auch von der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie zunächst zurückhaltend bewertet wurde. Derzeit könne „weder Nutzen noch Schaden“ ausreichend abgeschätzt werden, hieß es unter anderem. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin urteilte kritischer: „Die Besserung von Blutzuckerwerten stellt gegenüber dem Risiko einer Darmperforation keine relevante Nutzenaussicht dar, zumal es genügend andere etablierte und wesentlich risikoärmere Interventionsmöglichkeiten gibt.“

Trotzdem will sich der Gemeinsame Bundesausschuss (B-GA), das höchste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen, im Jahr 2025 neuere Ergebnisse aus aktuell laufenden Studien (etwa einer großen in Nordamerika) anschauen, denn Zielwerte sind ja Definitionssache. Soll der Patient an Gewicht verlieren? Soll sich sein Blutzuckerspiegel verbessern? Soll sich seine Fettleber zurückentwickeln? Soll er weniger Medikamente nehmen müssen? Im besten Fall profitiert er beim Revita-Verfahren in allen Kategorien, möglicherweise in jener mehr, in einer anderen weniger. Torsten Beyna, neuer Chefarzt der Medizinischen Klinik am Düsseldorfer EVK, weist darauf hin, dass „mancher Patient womöglich auf Medikamente verzichten kann, die ja teilweise nicht frei von Nebenwirkungen sind“.

Apropos Unerwünschtes: Die Revita-Therapie hat in ganz wenigen Fällen eine Verengung des Darmdurchmessers durch Vernarbung des Gewebes nach sich gezogen, das nennt man eine Stenose. In einem kurzen Korrektureingriff konnte sie wieder aufgedehnt werden. Ansonsten ist der Eingriff, man darf es so sagen, ein eher leichtes Manöver. Darmperforationen hat es noch gar nicht gegeben. Relevante Daten auch zur Sicherheit zeigt eine neue internationale Studie. Die Erfahrungsberichte aus Amsterdam und Brüssel, wo die Revita-Verödung in zwei großen Kliniken längst regelmäßig durchgeführt wird, sprechen eine ähnliche Sprache.

Wie man aus den drei deutschen Kliniken hört, sollen alle Patienten vorher und nachher von einem Diabetologen betreut und untersucht werden – auch kommt auf sie eine individuelle Diät zu, also eine Lebensstiländerung. Diese Betreuung ist wichtig ist und beginnt bereits mit der Patienten-Auswahl, denn nicht jeder ist für das Revita-Verfahren geeignet. In Düsseldorf zeichnet dafür Stephan Martin verantwortlich, Chefarzt am Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrum. Ein professionelles Coaching – das klingt sinnvoll, könnte aber Wirkung und Ursache verschleiern: Verbessern sich Zielwerte vor allem durch den Kathetereingriff oder durch die modifizierte Ernährung? Oder nur durch die Kombination aus beidem?

Der Sinn des Zusammenwirkens von Gastroenterologen und Diabetologen liegt darin, dass der eine die verdickte Schleimhaut entfernt und der andere dafür sorgt, dass die gesund nachwachsende Schleimhaut auch gesund bleibt – „und das geht halt nur durch modifizierte Ernährung“, sagt Martin. Er und Torsten Beyna sind sich einig: Wer den Eingriff durchführen lassen möchte, um danach wieder sein altes ungesundes Leben fortzuführen, ist bei beiden an der falschen Adresse. Beide Ärzte glauben, dass Menschen mit Typ-2-Diabetes mit einer Fettleber und Übergewicht besonders von dem multiplen Setting profitieren – „wobei das Gewicht gar nicht so stark sinkt, aber die Leber gesundet erstaunlich rasch“, sagt Martin.

Manche Kritiker sagen: Warum soll eine ansonsten gesunde Darmschleimhaut verbrutzelt werden? Die Befürworter sagen: Durch den Eingriff wird eine Art Reset-Knopf gedrückt, „wodurch das System gleichsam neu gestartet wird“, erläutert Martin. Hitze ist dabei überhaupt kein kritisches Element, im Gegenteil: Die Medizin nutzt sie schon lange zu therapeutischen Zwecken. Man bedenke etwa die Erfolge, die Kardiologen bei vielen Formen von Herzrhythmusstörungen mit der Radiofrequenzablation von störfeuerndem Gewebe erzielen. Oder die ebenso schonende wie effektive Schrumpfung der vergrößerten Prostata des Mannes durch 70 Grad heißen Wasserdampf (beim Rezum-Verfahren). Oder die Behandlung schlecht therapierbarer Tumoren durch die Erwärmung des Krebsgewebes auf 42 bis 44 Grad, Hyperthermie genannt.

Die Düsseldorfer, Münchner und Freiburger Daten sollen in einem gemeinsamen Register erfasst und danach auch veröffentlicht werden. Wie viele Kliniken das Revita-Verfahren in Zukunft durchführen werden, wird sich zeigen. Vielleicht bleibt es ausgewählten Zentren vorbehalten. Man darf dem Hersteller Fractyl allerdings glauben, dass die Lernkurve leicht zu absolvieren ist. Selbst kritisches Gebiet wie die berühmte Vatersche Papille, eine kleine Erhebung an der gemeinsamen Mündung von Gallenblasen- und Bauchspeicheldrüsengang, lasse sich, so Beyna, „durch einen Clip so unübersehbar markieren, dass sie nicht versehentlich vor den Verödungsballon gerät“.

Wie es heißt, erfolgt die Behandlung in der Regel ein einziges Mal; sie könne aber, falls erforderlich, wiederholt werden. Das klingt wie eine Drohung oder ein fatales Angebot: Müssen Diabetiker, die weniger oder gar keine Medikamente mehr nehmen wollen, demnächst einmal pro Jahr zum Darmtoaster? Wird die erneuerte Schleimhaut womöglich anders reagieren als beim ersten Eingriff? So sieht es nach den bisherigen Studien nicht aus, „aber wir wissen eben noch längst nicht alles, was wir wissen wollen“, sagt Jochen Seufert, Abteilungsleiter für Diabetologie und Endokrinologie an der Uniklinik Freiburg. „Uns in Freiburg leitet zunächst das wissenschaftliche Interesse. Und es ist ja auch noch nicht abgemacht, dass ein einziger Eingriff überhaupt ausreicht.“ Es sei gerade der Sinn einer solchen Registerstudie, solche Fragen seriös zu beantworten und Bedenken offen zu diskutieren. „Aber die Aussicht, dass Patienten hinterher weniger Medikamente nehmen müssen“, sagt Seufert, „wäre schon ein sehr wichtiges Signal“ – auch für die Ethikkommission, die eine Registerstudie erst genehmigen muss. Selbstverständlich wird sich der B-GA ebenfalls für deren Daten interessieren.

Fragen darf man alles, befürchten sowieso, ablehnen auch. Doch am Ende zählen, gerade in der Medizin, einzig Fakten, Fakten, Fakten. Martin Fuchs, Chefarzt für Gastroenterologie an der München Klinik Bogenhausen, ist wie Beyna optimistisch: „Gewiss gab und gibt es Kritiker der Methode. Und wir haben auch noch nicht Antworten auf alle Fragen. Doch haben wir für dieses endoskopische Verfahren bereits den sogenannten NUB-Status 1 bekommen, Krankenhäuser können also mit den Krankenkassen über eine Kostenerstattung verhandeln.“ Das gebe es in der interventionellen Endoskopie nicht so oft. „Man traut uns also zu, dass es funktioniert.“

Funktionieren ist das eine, überzeugen das andere. Warten wir ab, was die Daten aus dem Dünndarm, diesem ganz und gar nicht unbedeutenden, sondern lebenswichtigen Transportkanal, uns demnächst wirklich verraten.

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