Schambeinentzündung und Co. Diese Modeerkrankungen plagen die Fußballer

Köln · Wenn es im Sport so etwas wie Modeerkrankungen gibt, dann gehört die Schambeinentzündung dazu. Für Marco Reus war sie die Bremse für den EM-Kader. Auch im Amateursport machen sich Verletzungen wie diese breit. Welche noch und warum sie entstehen, lesen Sie hier.

Profi-Fußballer mit Diagnose Schambeinentzündung
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Profi-Fußballer mit Diagnose Schambeinentzündung

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Die Liste der Betroffenen ist lang: Eine hartnäckige Schambeinentzündung verhinderte nicht nur die Aufnahme des Dortmunder Fußballprofis Reus in den EM-Kader. Auch Tennisprofi Florian Meyer hatte nach einer Schambeinentzündung, die ihn das ganze Jahr 2014 beschäftigte, schon über ein Karriereende nachgedacht. Im April schloss sich dann noch ein Sehnenanriss an den Adduktoren an. Für ihn gab es jetzt beim Rasenturnier in Halle ein Happy End.

Solche Verletzungen werfen Sportler oft für viele Monate aus dem Rennen, so wie Mario Götze, der bei der Europameisterschaft 2012 nur wenige Minuten auf dem Spielfeld verbrachte, Timo Gebhart früherer Nürnberger und heute in Diensten von Steaua Bukarest oder Nationalspieler Karim Bellarabi. Manchmal bedeutet die langwierige Verletzung sogar das Karriereende im Sport. So wie für den früheren Bremer und ehemaligen türkischen Nationalspieler Ümit Davala. "20 Prozent der Profifußballer haben damit zu tun — das ist im Fußballmuseum des DFB zu sehen", sagt Orthopäde und Sporttraumatologe aus Köln Emanuel Merkle.

Neben dieser populären Sportlerkrankheit kurieren Bundesliga-Profis, aber auch immer mehr Amateure an Rissen oder Teilrissen der Hüftmuskulatur sowie Schäden an den Sehnenansätzen des Beckens herum. "Früher konnten wir sie in dieser Häufung nicht beobachten", sagt Wolfgang Potthast von der Deutschen Sporthochschule in Köln. Also muss es dafür eine Ursache geben, folgerte er und machte sich mit seinem Forscherteam auf die Suche danach. Und zwar mit Hilfe eines Footbonauten, dem modernsten Trainingsroboter der Welt, wie er bei Borussia Dortmund und auch dem TSG 1899 Hoffenheim steht.

"In einer ersten Pilotstudie zusammen mit Borussia Dortmund haben wir festgestellt, dass bei einfachen Passbewegungen an den Muskeln rund um das Becken sehr hohe Spannungen entstehen", sagt Potthast. Besonders hohe Kräfte wirken dabei ausgerechnet an den kleinsten Muskeln, den Adduktoren, die an den Innenseiten der Oberschenkel sitzen. "Gerade dort kommt es häufig zu Rissen, ebenso wie an den Sehnen, die am Becken sitzen", sagt der Sportexperte weiter.

Als Ursache für diese Verletzungen hat er das Training und das vor allem bei jungen Spielern im Visier. "Wir haben festgestellt, dass sich nicht erst im Profifußball diese Art der Verletzungen häufen, sondern es auch in den Jugendmannschaften wie der U16 und U18 diese Probleme bereits gibt. Aus einer zweiten Studie, die derzeit noch mit den Jugendmannschaften Hoffenheims läuft, gibt es Hinweise darauf, dass es im Verlauf von U12 bis U15 einen Belastungssprung gibt", erklärt der Sportexperte.

Demnach nimmt in der Zeit nicht nur die Trainingshäufigkeit zu. "In den Nachwuchszentren wird ungefähr ab einem Alter von 14 Jahren doppelt so häufig trainiert. Aber das Muskel- und Skelettsystem ist dahingehend nicht unbedingt angepasst", sagt der Sportbiomechaniker Auch die Belastung der Muskeln mache dann einen Quantensprung. Beim Passspiel ist die muskuläre Belastung der Adduktoren beispielsweise bei den elf- bis-zwölfjährigen Spielern nur halb so groß wie bei den 15- bis 16-Jährigen", sagt Potthast und weist darauf hin, dass die Jugendlichen in dieser Zeit zudem hormonell entscheidende Veränderungen erfahren, die sich auswirken können.

Besonders die Sehnen passen sich an alle diese Veränderungen nicht so schnell an wie die Muskulatur. Die Auswirkungen der sportlichen Überbelastung zeigt sich erst Jahre später. "Es ist denkbar, dass Verletzungsprobleme wie bei Marco Reus auf Trainingsfehler in der Jugend zurückzuführen sind", sagt Wolfgang Potthast. Schambeinentzündungen beispielsweise gelten als Folge intensiver Belastung, die den Experten zufolge auch ambitionierte Amateursportler zu spüren bekommen können. Häufig sind muskuläre Dysbalance und die Überlastung des vorderen Beckenrings ursächlich hierfür. Vor allem Kontaktsportarten wie Fußball, Eishockey, Basketball oder Handball, bei denen schnelle Richtungswechsel vorherrschen und viele kurze Sprints, provozieren diese Verletzung.

"Schambeinentzündungen zeigen sich bei sportlicher Belastung im Bereich der Leiste und das meist einseitig", sagt Emanuel Merkle. Aus der Betreuung von Amateur- und Profivereine im Sport weiß er, dass die Betroffenen im Alltag oft ohne Beschwerden sind und lediglich über ein Ziehen im Oberschenkel berichten. "Es ist schwer, dieses Symptombild von Erkrankungen des Rückens, Leistenhernien oder banalen Zerrungen anfänglich zu unterscheiden", sagt der Orthopäde. Stellen sich die Schmerzen nicht nur bei sportlicher Belastung, sondern auch beim Treppensteigen oder Gehen sein und strahlen sie in die Leiste oder auch Hüfte, kann eine Schambeinentzündung die Ursache sein.

Merkle geht jedoch davon aus, dass gerade Schambeinentzündungen oft falsch diagnostiziert werden. Dadurch verlängere sich die Heilungszeit und nehme manchmal bis zu Jahre in Anspruch. "Bei oft spontanem Auftreten bei Leistungssportlern mit hoher Trainingsintensität ist es aus meiner Sicht nicht ausschließlich eine Entzündung, sondern oft ein Ermüdungsbruch im vorderen Schambeinast", sagt der Facharzt. Viele Radiologen hingegen diagnostizierten in der Regel nur eine "auffällige Reizung am Sehnenansatz oder ein stressbedingtes Knochenmarködem". Durch wöchentliche Verlaufsaufnahmen im MRT lasse sich der Prozess des Ermüdungsbruchs diagnostizieren. Besonders bei jungen Sportlern sei das auf herkömmlichen Röntgenbildern nicht zu erkennen.

Betroffene sollten sich auf eine langwierige Heilung gefasst machen, die in manchen Fällen sogar mehrwöchige Bettruhe erforderlich machen kann. "Es ist mindestens eine sechswöchige Zwangspause nötig. Während dieser Zeit darf wegen der Gefahr der zu frühen Belastung und Fehleinschätzung des Betroffenen weder reduzierte Belastung noch begleitende physikalische, krankengymnastische oder medikamentöse Therapie erfolgen", sagt Merkle und betont: "Ausnahme ist Vitamin D bei einem nachgewiesenen Mangel." Denn der kann Ermüdungsbrüche fördern.

Training ist im Sport das A und O, doch sollte es angepasst sein. Vor allem beim Training Jugendlicher ließen sich Modesportverletzungen wie Schambeinprobleme, Risse an der Hüftmuskulatur sowie Sehnenprobleme am Becken durch ein langsameres und weniger intensives Training vermindern, sagt Potthast. "Spezielle physiotherapeutische und muskuläre Übungen könnten helfen, die entsprechenden Strukturen entsprechend auf die Beanspruchung vorzubereiten. Das ist kein Hexenwerk", sagt der Sportmediziner.

 Im Trainingsroboter sind Sportmediziner den Ursachen für Modeerkrankungen wie Schambeinentzündungen auf den Fersen.

Im Trainingsroboter sind Sportmediziner den Ursachen für Modeerkrankungen wie Schambeinentzündungen auf den Fersen.

Foto: Deutsche Sporthochschule Köln

"Ich glaube, dass insbesondere Fußballverbände den Verletzungen, die schon im Kinder und Jugendfußball, insbesondere in Nachwuchszentren, auftreten, nicht genügend Beachtung schenken und im Sinne der Prävention nicht hinreichend ihrer Sorgfalts- und Aufsichtspflicht nachkommen", moniert der Experte der Deutschen Sporthochschule. Den Übergang vom vier- zum achtwöchigen Training könne man auch langsamer gestalten.

(wat)
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