Tipps Was gegen extremes Übergewicht hilft

Köln · Ein Fünftel der Deutschen ist nicht nur übergewichtig, sondern adipös, also fettleibig. Um die Erkrankung in den Griff zu bekommen, ist neben einer Umstellung der Ernährung auch Bewegungs- und Psychotherapie sinnvoll.

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Foto: dpa

Christine Graf weiß, dass es nicht immer leicht ist, beim Essen maßzuhalten. Als sie neulich durch Köln lief, fiel ihr wieder einmal auf, wie viele Versuchungen es gibt. "Es ist unendlich schwer, nichts zu essen zu bekommen. Man wird ja mit Essen vollgeschmissen", sagt die Professorin vom Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft der Deutschen Sporthochschule Köln. "Es ist heutzutage echt schwer, dünn zu bleiben." Die Ärztin behandelt Kinder und Jugendliche, die daran gescheitert sind: Sie leiden an Adipositas, also Fettleibigkeit. Um in Zukunft doch gesünder zu leben, machen sie bei Graf eine Bewegungstherapie. "Die Verzweifelten kommen zu uns", sagt sie.

Ab wann ist dick zu dick?

Als adipös bezeichnet die Medizin Menschen, deren Body-Mass-Index (BMI) bei über 30 liegt. Ab einem Wert von 35 spricht man von Adipositas Grad II, bei 40 und mehr von Grad III. Um einen BMI von 40 zu haben, muss ein 1,80 Meter großer Mensch etwa 130 Kilogramm wiegen. Das macht die Dramatik der Krankheit deutlich, die viele Folgeerkrankungen auslösen kann. Dazu gehören zum Beispiel Diabetes Typ 2, Herz-Kreislauf-Probleme sowie orthopädische Beschwerden.

Um die jungen Patienten davor zu bewahren, arbeitet das Team um Graf mit einem "multimodalen" Ansatz: Weil Übergewichtige häufig nicht nur zu viel und zu fett essen, sondern sich auch zu wenig bewegen, gehört neben einer Umstellung der Ernährung ein Sportprogramm dazu. Zudem werden die Patienten psychotherapeutisch begleitet, denn die Ursachen können auch seelischer Natur sein - etwa bei Depressionen. "Dieser multimodale Ansatz ist mittlerweile Standard. Alles andere bringt auch nichts", sagt Graf.

Über einen Zeitraum von elf Monaten kommen die Kinder zweimal pro Woche ambulant nach Köln. Alle vier Wochen machen auch die Eltern beim Sport mit, denn sie "sind ein sehr wichtiger Faktor", wie der Sporttherapeut David Friesen betont. "Je stärker die Eltern das Programm unterstützen und zu Hause umsetzen, desto erfolgreicher sind die Kinder", sagt der Sportwissenschaftler.

Zu Beginn liege der Schwerpunkt auf der Ausdauer, weil dieser Bereich schnell Erfolgserlebnisse bringt. Dann kämen Krafttraining und Spielsportarten dazu. Dabei sei es wichtig, den Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, wie sich Sport "auf den Körper auswirkt, und was wir damit erreichen können", erklärt Friesen. Am Ende sollen die Teilnehmer dann in Sportvereine vermittelt werden. Davon können die Patienten von Manuel Enzenhofer oft nur träumen. Der Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie behandelt am Stuttgarter Bürgerhospital Erwachsene, darunter die besonders schweren Fälle. Bei ihnen ist eine ambulante Behandlung ohne Erfolg geblieben oder schlicht nicht möglich.

Wie drängend das Problem ist, zeigt die Statistik: Bereits etwa 66 Prozent der deutschen Männer und gut die Hälfte der Frauen seien übergewichtig, heißt es im Beitrag "Psychotherapie und Adipositas" in der Zeitschrift "Der Nervenarzt". Ein Fünftel der Bundesbürger gelte als adipös. Bei diesen Menschen gehe es oft auch um schwere seelische Probleme, erklärt Enzenhofer und nennt unter anderem Angst- oder Essstörungen. Weit verbreitet sei die "Binge-Eating-Störung", bei der es zu regelrechten Fressanfällen kommt.

Was die Verhaltenstherapie ans Licht bringt

Mit Verhaltenstherapien wie an der Sporthochschule, die auf Veränderungen des Lebensstils zielen, ist es hier meist nicht mehr getan, erläutert Enzenhofer. Essprotokolle oder Schrittzähler, wie sie Graf einsetzt, werden zwar auch genutzt, reichen aber nicht. Er arbeitet daher auch psychodynamisch mit den Patienten: Er fragt in der Therapie nach den tieferen seelischen Ursachen der Erkrankung. Wenn die Patienten ihre negativen Gefühle dann nicht mehr mit Essen unterdrücken, kämen häufig ihre grundlegenden Probleme und Konflikte an die Oberfläche. "Das ist eine Chance und gewünscht", betont Enzenhofer. Dann könne man an deren Bewältigung arbeiten.

Weil Erwachsene im Unterschied zu Jugendlichen häufig schon lange keinen Sport mehr getrieben haben und ihr Gewicht schon leichtere Belastungen kaum zulässt, kann Bewegung auch mit Hockergymnastik beginnen. Später könne man dann mehr machen, sagt Enzenhofer. Es gehe dabei nicht um einen kurzfristigen Gewichtsverlust, sondern um dauerhaftes Abnehmen.

Der Arzt spricht von einer "Lebensaufgabe". Niemand sollte aber zu viel erwarten, denn die Erfolge sind häufig überschaubar. Studien hätten gezeigt, dass Verhaltenstherapien und Lebensstilinterventionen zu einer Gewichtsabnahme von im Schnitt zehn Prozent führten, heißt es im "Nervenarzt". Kombiniert mit Ernährungs- und Bewegungstraining könne es mehr sein. Im stationären Bereich seien die Zahlen bei einer psychodynamischen Psychotherapie ähnlich.

Graf beziffert die Erfolgsrate in ihrem und ähnlichen Programmen auf ein Drittel. "Erfolg" bedeute nicht unbedingt Gewichtsverlust oder niedriger BMI. Auch die Verbesserung der Fitness sei wichtig, sagt sie. Bewege sich ein Übergewichtiger mehr und verändere seine Körperkomposition zugunsten von Muskelmasse, sei das auch ein Erfolg. "Denn die dicken Fitten sind nicht unsere Problemgruppe." Sie hätten eine bessere Lebensprognose als die schlanken Unfitten.

(dpa)
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