Fleischersatz erzielt Umsatzrekorde Was steckt eigentlich im Veggie-Schnitzel?
Düsseldorf · Der Fleischkonsum in Deutschland ist auf dem Tiefstand – Fleischersatzprodukte hingegen boomen. Fragt sich: Was ist da eigentlich drin und wie gesund sind Veggie-Wurst und Vegan-Hack?
Rund acht Millionen Deutsche essen kein Fleisch, und es werden immer mehr. Die Zahl der Veganer - also der Menschen, die auf jegliche tierische Produkte verzichten - ist nach Angaben des Statistischen Bundesamtes zwischen 2016 und 2020 um satte 41 Prozent gewachsen, die Zahl der Vegetarier um 23 Prozent. Vor allem junge Leute zwischen 15 und 29 Jahren verzichten zunehmend auf Fleisch. Das zeigt eine repräsentative Umfrage der Heinrich-Böll-Stiftung für den „Fleischatlas“. Auf das Schnitzel auf dem Teller mögen sie darum trotzdem nicht verzichten. Es ist nur nicht mehr vom Schwein oder Kalb, sondern aus Soja oder Seitan.
Im Jahr 2021 produzierten Unternehmen hierzulande knapp 17 Prozent mehr Fleischersatzprodukte als im Vorjahr. Vergleicht man die Zahlen mit dem Jahr 2019 erhöhte sich die Produktion sogar um mehr als 62 Prozent, wie das Statistische Bundesamt mitteilt. Auch für dieses Jahr wird ein neues Umsatz-Hoch erwartet. Rund 480 Millionen Euro werden voraussichtlich 2022 in Deutschland für Fleischersatzprodukte ausgegeben, so geht aus Marktprognosen des Statista Consumer Market Outlook hervor.
Vegane und vegetarische Fleischalternativen zählen also längst nicht mehr zu den Nischenprodukten. Das zeigen auch die Umsatzzahlen des Marktführers für Fleischalternativen Rügenwalder Mühle. Einst mit Teewurst und Leberwurstaufstrichen bekannt geworden, verkaufte das Unternehmen im Jahr 2021 zum ersten Mal mehr vegane und vegetarische Produkte als klassische Fleisch- und Wurstprodukte. Sie machen damit den Löwenanteil am gesamten Jahresumsatz aus. Dieser lag bei 263,3 Millionen Euro – 12,7 Prozent über dem des Vorjahres.
Auch bei der Nummer 2 auf dem deutschen Veggie-Markt Garden Gourmet – einer Nestlé-Tochter – wuchs der Umsatz in Deutschland zweistellig, wie das Unternehmen mitteilt. Weltweit liegt der Jahresumsatz mit vegetarischen und pflanzenbasierten Food-Produkten bei rund 776 Millionen Euro.
Mit Fleischprodukten lässt sich also gutes Geld verdienen. Doch nicht nur aus diesem Grund stecken Lebensmittelforscher ihr Know-how in die Entwicklung pflanzlicher Ersatzprodukte. Denn neben Verbrauchern, die aus Gründen des Tierwohls auf pflanzliche Ernährung umgestiegen sind, spiele in Zeiten des Klimawandels auch das Thema Nachhaltigkeit und bewusster Konsum für viele Konsumenten eine wichtige Rolle, sagt Claudia Hauschild, Unternehmenssprecherin der Rügenwalder Mühle. Zudem wachse das Ernährungsbewusstsein.
Dennoch ist Platz für mehr Umsteiger: Zwar ist der Fleischkonsum in den letzten zehn Jahren rückläufig. Doch essen die Deutschen immer noch 55 Kilogramm Fleisch pro Kopf, so beziffert die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung den Verbrauch für das Jahr 2021. Damit landet statistisch pro Kopf mehr als ein Kilo Fleisch in der Woche auf dem Teller und damit beinahe doppelt so viel, wie empfohlen. 300 Gramm würden für Menschen mit geringem Kalorienbedarf pro Woche reichen, sagt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. 600 Gramm für Menschen mit hohem Kalorienbedarf.
„Wir alle wissen, dass wir nicht so weitermachen können wie bisher. Wir brauchen eine Esswende“, sagt Peter Eisner, stellvertretender Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Verfahrenstechnik und Experte für Lebensmittelentwicklung auf Basis von Proteinpflanzen und Ölsamen. Darum forscht man weiter, um Produkte zu entwickeln, die auch den Fleischliebhaber auf die Tofu-Seite bringen könnten.
Neben Ölsamen wie Sonnenblumenkernen stellen auch proteinreiches Soja, Lupinen oder Hülsenfrüchte, wie zum Beispiel Kichererbsen, die Basis für Fleischersatzprodukte dar. Erbsenproteine verwandeln sich in vegane Schnetzel und bekommen in Wasser gerührt die fleischähnliche Konsistenz, die sie für veganes Ragout fin oder Hackgerichte benötigen. Soja-Geschnetzeltes, ist mit entsprechenden Geschmacksstoffen und Bindemitteln versehen für manchen kaum mehr vom tierischen Pendant zu unterscheiden, ebenso wie Grillwürstchen oder pflanzliche Wurstalternativen.
Nach Auffassung von Gertraud Huisinga von der Bremer Verbraucherzentrale sollte das vegane Schnitzel allerdings ebenso wenig wie das Schweine-Schnitzel jeden Tag auf dem Speisezettel stehen. Der Grund: „Die Hersteller müssen etliches dafür tun, damit es schmeckt, riecht und aussieht wie Wurst, Frikadelle oder Schnitzel. Wir haben festgestellt, dass die meisten Produkte sehr salzig sind, und sie enthalten sehr viele gesättigte Fettsäuren.“
Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) verweist auf den zum Teil hohen Gehalt an Zucker, Speisesalz oder Fett veganer Fertig- und Ersatzprodukte, zu denen neben Fleisch- und Wurstalternativen auch Fertiggerichte und Käse genannt werden. Solch teilweise hoch verarbeiteten Produkte könnten „ernährungsphysiologisch ungünstig und nicht unbedingt gesundheitsfördernd sein“, heißt es in einem Positionspapier der DGE. Ein bundesweiter Marktcheck der Verbraucherzentralen aus dem Jahr 2017 bescheinigte vegetarischen und veganen Lebensmitteln ebenfalls einen häufig hohen Salz- und Zuckergehalt.
Dennoch bringen die veganen Fleischalternativen Vorteile mit sich: Cholesterin, gesättigte Fettsäuren seien zum Beispiel meist nicht zugesetzt. „Wir haben bei den alternativen Wurstprodukten häufig Rapsöl als Fettquelle und es ist mit Blick auf die Gesundheit natürlich schon ein Unterschied, ob ich Rindertalg, Schweineschmalz oder Pflanzenöl zusetze“, sagt Eisner. Das stellt auch das Bundesamt für Ernährung mit Verweis auf verschiedene Studien fest: Positiv zu verzeichnen sei, „dass pflanzliche Wurstalternativen im direkten Vergleich mit den Originalen weniger Gesamtfett sowie teilweise deutlich weniger gesättigte Fettsäuren enthalten“.
Was steckt sonst noch in Fleischalternativen? Neben dem geschätzten pflanzlichen Eiweiß aus Soja, Erbsen oder Weizen sind dies Aromen und Zusatzstoffe sowie Emulgatoren. Ohne diese könnte aus Erbsen nichts werden, das zu guter Letzt wie Fleisch aussieht, riecht und schmeckt.
Kritisch gesehen wird vor allem der Inhaltsstoff Methylcellulose (E 461) – ein als Verdickungsmittel zugefügter Zusatz, der in Lebensmitteln wie auch Kosmetika zum Einsatz kommt. Diese ist in einigen Fleischersatzprodukten ebenso vorhanden, wie auch in Speiseeis, Backwaren, Mayonnaisen oder Milchmischgetränken und Saucen. Die auch als Tapetenkleister verwendete Methylcellulose ist eine aus pflanzlichen Rohstoffen gewonnene Faser. In Tierversuchen gab es Hinweise darauf, dass der Stoff Entzündungen des Darms begünstigen könnte. Der gelegentliche Konsum gilt jedoch als unbedenklich, wie auch Lebensmittelexperte Eisner zu verstehen gibt: „Methylcellulose ist als Lebensmittelzusatzstoff zugelassen und auch nicht kritisch.“ E 461 sorgt beispielsweise in pflanzlichen Burgern für den Saftigkeitseffekt.
Nicht zwangsläufig seien Produkte ungesund, nur weil sie solche Zusatzstoffe enthalten, betont der Experte. Jeder verwende zu Hause selbst Zusatzstoffe wie beispielsweise Backpulver. „Steht Natron im Kochrezept, fügt man es hinzu, ohne darüber nachzudenken, ob man gerade E 408 in den Kuchen gibt oder nicht“, sagt Eisner. Eine normale Puddingmischung enthalte modifizierte Stärke. Die Beigabe von Zusatzstoffen störe Konsumenten erfahrungsgemäß dann weniger, wenn es für sie passend erscheine und es zum Beispiel Mutter oder Großmutter schon so gemacht haben.
Wer beim Kauf veganer Lebensmittel auf Nummer sicher gehen will, dem raten Ernährungsexperten, die Zutatenliste zu checken und zu solchen Lebensmitteln zu greifen, die möglichst wenig Zusatzstoffe enthalten. Damit eilen sie einem Trend voraus, der sich nach Einschätzung Eisners in Zukunft verstärkt durchsetzen werde: „Auch die Hersteller zielen darauf ab, möglichst wenig verarbeitete Produkte anzubieten und die Zutatenliste überschaubar zu halten.“