Jahrestag des Reinheitsgebots Eine Liebeserklärung an unser gutes Bier

Bierhausen · Deutsches Bier trägt durch das Reinheitsgebot ein weltweites Qualitätssiegel. Dabei ist es viel mehr als Wasser, Hopfen, Malz und Hefe. Es gibt Tausende Sorten. Aber die soziale Akzeptanz ist geschwunden.

 Hell, dunkel, Alt oder Kölsch? Es gibt viele Biersorten, die in Deutschland gebraut werden.

Hell, dunkel, Alt oder Kölsch? Es gibt viele Biersorten, die in Deutschland gebraut werden.

Foto: Woitschützke, Andreas (woi)

Sparen wir uns die schier endlos lange Historie des Bieres. All die Überlieferungen von Chinesen, Babyloniern, Sumerern und Ägyptern, die schon vor Tausenden von Jahren Bier gebraut und getrunken haben oder haben sollen. Unser Ausflug in die Vergangenheit geht nur ein gutes halbes Jahrtausend zurück, ins Jahr 1516, und das auch nur für einen Moment. Wir gedenken kurz des deutschen Reinheitsgebots, sozusagen der Bibel der Bierbrauer, die es seit diesem 23. April 1516 gibt und deren Erfindung sich somit am Dienstag zum 503. Male jährt. Damit Sie wissen, warum Sie an dieser Stelle so viel über Bier lesen. Ein schöner Tag, dieser 23. April, so unmittelbar nach dem langen Fasten seit Aschermittwoch und den vielen Eiern, die man bis Dienstag gegessen haben kann.

Wobei – das mit dem Fasten war fürs Biertrinken eigentlich immer unwichtig. Liquida non frangunt ieiunium, sagt der Lateiner und übersetzt: Flüssiges bricht das Fasten nicht. Nach dieser einfachen Regel, die vermutlich nicht nur für die ohnehin fastenfreien Sonntage galt, gönnten sich schon Mönche in gut ausgestatteten Klöstern zwischen Aschermittwoch und Karsamstag gern ein Bier. Und weil das einfache den großen Hunger nicht stillen konnte, wurde stärkeres gebraut. So entstand Starkbier, definitionsgemäß mit mindestens 16 Prozent Stammwürze und folgerichtig deutlich höherem Alkoholanteil als das Normalbier. Das kann bei entsprechend empfänglichen Zeitgenossen den Hunger schnell in Vergessenheit geraten lassen. Auch heute noch.

Womit wir zurück in der Gegenwart wären, in der der Biertrinker von Meinungsforschern der Republik zur Minderheit erklärt worden ist. Rein statistisch betrachtet, greift der Deutsche heutzutage nämlich eher zum Wein als zum Bier. Jedenfalls tun das nach Angaben des You-Gov-Instituts immerhin vier von sieben Bundesbürgern. Dass absolut betrachtet natürlich mehr Bier als Wein deutsche Lebern erreicht, liegt in der Natur des Homo sapiens, für dessen Körper drei Liter Pils in der Regel deutlich verträglicher sind als drei Liter Bordeaux.

Trotzdem kann man, auch wenn man kein Zahlen-Fetischist ist, tatsächlich das Gefühl haben, dass das Geerntete dem Gebrauten vielfach den Rang abgelaufen hat. „Die soziale Akzeptanz ist beim Wein größer als beim Bier“, bestätigt der Branchenexperte Hermann-Josef Walschebauer. Und daran trage die Bierbranche selbst ein gerüttelt Maß Schuld, unter anderem durch den Einsatz von Bier aus der Büchse: „Die Dose hat das Image des Biers kaputtgemacht“, sagt Walschebauer.

Man ist spontan geneigt, ihm zuzustimmen, weil man plötzlich das Bild von sogenannten Fußballfans vor Augen hat, die mit dem Billigbier vom Discounter grölend zum oder aus dem Fußballstadion ziehen. Da erinnert dann nichts mehr an die Salonfähigkeit, die sich Bier in den 60er- und 70er-Jahren erworben hatte, als die Bierbrauer ihr Produkt mit formschönen Gläsern bewarben, die Duisburger König- Brauerei mit Promis wie der Schweizer Schauspielerin Maria Schell und dem Deutsche-Bank-Chef Hermann Josef Abs warb. Die Idee hinter dem Slogan „Heute ein König“: Hier wird nicht nur der Konsument geadelt, sondern auch das Bier, das er trinkt. Man engagierte sich im Brauchtum, die Anbieter pflegten ihre Kundenbeziehungen. Bier war in hohem Maße gesellschaftsfähig, es fehlte auf keiner Party, in Gaststätten tranken es auch junge Menschen, die heute eher eine Vorliebe für Aperol Spritz und Moscow Mule entwickelt haben.

 Vieles aus dieser Ära scheint in einer Zeit, in der die Produzenten der großen Industriebiere im scharfen Wettbewerb die Preise nach unten getrieben haben, in den Hintergrund geraten zu sein. Der Preisverfall gibt manchen zu denken, auch wenn die Kurve im vergangenen Jahr nach oben zeigte. In Deutschland kostet der Liter Bier mitunter nur 90 Cent, im Ausland leicht 30 bis 40 Cent mehr. „Die Preise geben nicht den wirklichen Wert der Biere wieder“, so Walschebauer. So entsteht im Kopf das Etikett „Billigprodukt“, und das kann natürlich ganz schlecht sein fürs Image.

Vielleicht sind die Dosenbier-Konsumenten beim Fußball (die ja weiß Gott nicht die Gesamtheit der Fans stellen, das sei zu deren Ehre gesagt) auch ein Grund für die Vorlieben mancher Deutschen. Deren Wein-Präferenz vergangener Jahre mag nämlich, glauben Branchenkenner, auch mit dem Gefühl des Trinkenden zusammengehangen haben, Weintrinken sei schick, und man gehöre doch lieber mit seinem Weinregal der Intellektuellen-Szene mit beispielsweise frankophonem Einschlag an als der biederen deutschen Arbeiterklasse mit dem Zehn-Liter-Kasten im Reihenhauskeller.

Dabei ist diese Unterscheidung natürlich Unsinn, weil es genug Deutsche gibt, die sowohl Bier als auch Wein oder Cocktails trinken. Und wer ein schlechtes Bild vom Bier hat, tut ihm ohnehin unrecht. Denn es hat extrem viele Facetten. 6000 verschiedene Sorten werden mittlerweile in Deutschland angeboten. Die Zeiten, in denen der Markt nur aus Pils, Alt, Kölsch und vielleicht noch Export bestand, sind lange vorbei. Rauchgeschwängerte Kneipen mit 70er-Jahre-Flair, in denen die letzten Kunden weit nach Mitternacht noch einsam auf Barhockern an der Theke sitzen, sind auch zum allergrößten Teil Vergangenheit und haben sich meist nur auf dem platten Land eine Rest-Existenz bewahrt. Bier kann stattdessen modern und chic sein, es ist am allerwenigsten eine Droge, mit der man sich die Wochenend-Dröhnung gibt.

Stattdessen ein zu bewahrendes Kulturgut. „Nur dass die Bierkultur immer seltener von den großen Brauereikonzernen gepflegt wird, sondern eher von den kleinen Hausbrauereien und den Craftbeer-Anbietern“, sagt Walschebauer. Schon früh hat der Konsument die Biersorten aus aller Welt für sich entdeckt, aber das Craftbeer, das vor allem jüngere Zeitgenossen trinken, ist erst in den vergangenen Jahren dazugekommen. Handwerklich gebraut von unabhängigen Brauern. Seinen Ursprung hat es in den USA. Wer heute in Europa von Craftbeer redet, meint zudem Brauer, die alte oder ausländische Bierstile aufgreifen und neu interpretieren. „Die kleinen Craftbrauer sind die Gralshüter des Kulturgutes Bier“, findet Walschebauer.

Bier ist zu einer Wissenschaft geworden, die weit über die simple Frage hinausgeht, ob man sein Bier lieber ober- oder untergärig mag. Das gilt auch für die Brauer von Spezialbieren, bei denen das Bier entgegen dem deutschen Reinheitsgebot nicht nur aus Hopfen, Wasser, Malz und Hefe besteht, sondern gern auch mal nach Zimt, Kaffee, Champagner oder Schinken schmeckt. Das mag manchem Traditions-Biertrinker ein Grauen sein, aber es hat sehr viele Fans in Deutschland gefunden. Ein Versuch, die Traditionalität des Brauens mit Zeitgeist zu verbinden. Auch das ist Pflege von Kulturgut.

In dieser Welt ist für vieles aus der alten Bier-Welt nicht mehr so viel Platz. Zum Beispiel für Altbier. Noch in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde jemand, der ein anderes Bier als Diebels Alt trank, in manchen Kneipen am unteren Niederrhein ungefähr so schräg angeschaut wie einer, der in einer der Düsseldorfer Hausbrauereien ein Kölsch bestellen würde. Heute hat das Produkt aus Issum wie der gesamte Altbier-Markt stark an Bedeutung verloren. Die Diebels-Gruppe wurde zwischenzeitlich von ihrem Eigentümer AB Inbev sogar auf die Verkaufsliste gesetzt. Der Plan ist gescheitert, jetzt setzt der Eigentümer doch wieder auf den deutschen Markt. Mal sehen,ob und wie die Kehrtwende  dem niederrheinischen Brauer hilft.

Aber reden wir nicht über Konzerne und deren Verschlankung, sondern über dicke Bäuche. Gern auch Bierbäuche genannt, was ihrer Herkunft nicht gerecht wird, weil Mann (in seltenen Fällen auch Frau) den Bauch nicht von Hefe, Hopfen oder Malz bekommt, sondern erstens durch seine genetischen Anlagen, die ihn für größeres Bauchvolumen prädestinieren als den weiblichen Teil der Bevölkerung, und natürlich vom fetten Essen, das gern zum Bier gereicht wird. Schließlich passt die Schweinshaxe immer noch besser zum Bier als zum Rotwein. Abseits der Körperfülle ist Bier sogar gesund, weil es wichtige Nährstoffe für die Haut liefert und die Knochen stärkt. Regelmäßige Biertrinker sind eher selten Osteoporose-Patienten, wie die Ärzteschaft bestätigen würde. Und Bier muss auch nicht immer Alkohol beinhalten. Der moderne Biertrinker liebt sein Bier, auch wenn er Auto fährt, weil der Markt genug Alkoholfreies hergibt.

Also wollen wir bei aller Kritik am Imageverlust durch falsche Konzernpolitik, bei aller Enttäuschung über den Bedeutungsverlust einzelner Sorten und im Bewusstsein darum, dass Bier gut für die Knochen, aber zu viel alkoholhaltiges Bier schlecht für die Leber sein kann, eine Lanze brechen. „Bier her!“ lautet unsere Forderung zum Jahrestag des Reinheitsgebots. Damit wir, der wir fast alle vierfacher Fußball-Weltmeister sind, irgendwann auch wieder die Tschechen als Europameister ablösen. Beim Biertrinken, versteht sich.

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