Im Land von "Geiz ist geil" Essen ist den Deutschen wenig wert

Düsseldorf · Beim Lebensmittel-Kauf verhält der Verbraucher sich schizophren. Er fordert bessere Qualität, will aber weniger zahlen. Die Konsumenten in Deutschland entscheiden sich anders als der Rest der Europäer.

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Foto: AFP

Die Empörung über den aktuellen Pferdefleischskandal ist groß. Doch kaum einer stellt die Frage: Inwieweit sind die deutschen Verbraucher selbst schuld? Inwieweit treiben sie mit ihrer Schnäppchen-Jagd die Hersteller nicht auch in jenen Preiskampf, den mancher mit kriminellen Mitteln zu gewinnen sucht?

Dass die Deutschen es gerne preiswert mögen, ist bekannt. Nicht umsonst wurde 2002 der Slogan "Geiz ist geil" hierzulande erfunden, für die deutschen Kunden der Elektronikhandelskette Saturn. Auch der Begriff "Dauertiefpreis" ist ein sehr deutsches Wort.

Deutsche geben wenig Geld aus

Vor allem für Lebensmittel geben die Deutschen nicht gerne viel Geld aus: Die Ausgaben für Lebensmittel sind in einem deutschen Haushalt um vier Prozentpunkte geringer als in einem französischen und gar um neun Prozentpunkte geringer als in einem portugiesischen, hat das europäische Statistikamt Eurostat ermittelt.

Die Unterschiede haben etwas mit dem Wohlstand einer Volkswirtschaft zu tun. Je reicher ein Land ist, desto mehr Güter kann es sich leisten, desto geringer ist der Anteil der Ausgaben für Lebensmittel. Aber die Unterschiede haben auch etwas mit den Lebensmittelpreisen in den einzelnen Ländern zu tun. Und in diesen spiegelt sich die Wertschätzung der Bürger für die Waren wider — in Deutschland sind die Preise für Essen besonders niedrig.

Die Unternehmensberatung Nielsen hat im Jahr 2008 französische und deutsche Konsumgewohnheiten verglichen. Das Ergebnis: Für die Deutschen ist das, was sie essen, weniger wichtig. Die Einkäufe, um die Kühlschränke zu füllen, seien für sie eher eine Pflicht als ein Vergnügen. Die Psychologie rund um den Supermarkteinkauf zeige Spuren von Schizophrenie, berichten auch die Marktforscher vom Rheingold-Institut.

Was landet im Einkaufskorb?

Zwar sagen die Deutschen in Umfragen, dass sie für bessere Lebensmittel mehr Geld zahlen würden. An der Ladentheke geht dieser gute Vorsatz aber verloren — dann entscheidet der Preis, was im Einkaufskorb landet. Im reichen und scheinbar so ökologisch orientierten Deutschland betragen die Pro-Kopf-Ausgaben für Bio-Produkte weniger als die Hälfte dessen, was Schweizer, Dänen oder Österreicher für diese Lebensmittel ausgeben. Der Umsatz der Bio-Produkte macht nur vier Prozent des Lebensmittelmarktes aus — immerhin mit steigender Tendenz.

Entsprechend läuft der Wettbewerb im Handel vor allem über den Preis. Fünf große Handelsketten (Aldi, Edeka, Rewe/Penny, Metro/Real, Lidl/Kaufland) stehen für 90 Prozent des Umsatzes im deutschen Lebensmittelhandel. Das bedeutet Marktmacht und damit die Macht, Lieferanten zu günstigen Preisen zu zwingen.

Grundsätzlich ist harter Wettbewerb gut. Kostenbewusste Verbraucher zwingen die Lebensmittelhändler und diese die Hersteller, nach besseren und günstigeren Produktionsbedingungen zu suchen. Das Erfolgsgeheimnis der Marktwirtschaft. Doch irgendwann sind Grenzen erreicht. Welche Qualität kann der Verbraucher von einem Kilo Hackfleisch erwarten, das 2,99 Euro kostet?

Eine Woche früher auf dem Schlachthof

Bei der weit perfektionierten Fleischproduktion sind die Möglichkeiten der Landwirte ziemlich erschöpft. Etwa die Hälfte der Kosten für die Erzeugung beispielsweise von Schweinefleisch entfallen auf Futtermittel, gut 40 Prozent gehen in den Kauf der Ferkel. Ein Bauer, der sparen will, kann das nur über billigeres Futter, das naturgemäß immer weniger mit dem zu tun hat, was Schweine fressen sollten. Die Alternative: Die Mastdauer wird durch spezielles Futter mit Zusätzen verkürzt, die Schweine landen eine Woche früher im Schlachthof. Dann ist aber nicht nur der Anteil an Muskelfleisch geringer, sondern auch dessen Qualität sinkt.

Selbst der Handel ist skeptisch, dass alles, was er billig einkauft, auch in Ordnung ist. Stillschweigend haben die großen Handelsketten ihre eigene Qualitätskontrollen verbessert — um Verantwortung zu zeigen, aber auch um der Rufschädigung durch einen Skandal wenigstens ein bisschen vorzubeugen.

Die Hamburger Verbraucherzentrale sammelt seit Jahren Beispiele für die Antworten der Hersteller auf den Sparwahn der Verbraucher. Sie hat legal produzierte Fertiggerichte mit Ente gefunden, in denen der Geschmack vollständig künstlich erzeugt wird — eine entenfreie Delikatesse. Dank der Identifizierung und industriellen Herstellung von solchen Aromastoffen, die in den vergangenen Jahren beeindruckende Ergebnisse zeigte, konnte die Lebensmittelindustrie Millionen sparen.

Aroma oder echte Himbeeren?

Manchmal sind die Preisvorteile so gering, dass der Verbraucher sich leicht anders entscheiden könnte. Mit Himbeeraroma für sechs Cent können 100 Kilogramm Joghurt aromatisiert werden; echte Himbeeren würden mit rund 30 Euro zu Buche schlagen, hat die Verbraucherzentrale berechnet. Den einzelnen Joghurtbecher würde die Verwendung frischer Früchte um drei Cent verteuern. Ein natürliches Bewusstsein für Lebensmittel und auch für deren Geschmack scheint vielen Verbrauchern schleichend abhandengekommen zu sein.

Das zeigt sich auch bei Konsumgewohnheiten. Viele wissen gar nicht mehr, wann Erdbeer-Zeit ist, wann Weintrauben-Zeit. Derzeit jedenfalls nicht. Wer diese Früchte jetzt trotzdem kauft, muss wissen, welchen langen Weg sie hinter sich haben — und sollte sich über günstige Preise wundern. Zudem überstehen Obst und Gemüse die Reise oft nur deshalb unversehrt, weil sie mit Chemikalien behandelt werden oder die Reife nicht mehr an Baum und Busch erfolgt, sondern unterwegs in clever programmierten Thermo-Transport-Containern.

Bewusst konsumieren ist oft keine Frage des Geldes, sondern der Einstellung. Wer sein Obst und Gemüse auf dem Wochenmarkt kauft, muss schlicht weniger Vertriebskosten mitbezahlen. Doch die Deutschen entfremden sich von ihren Lebensmitteln, haben vielfach den Einheitsgeschmack der Aromaindustrie als Wirklichkeit akzeptiert.

Der Treiber dieser Entwicklung ist gleichzeitig der Leidtragende: der Konsument. Das mag der Schelte des Verbraucherverhaltens die Schärfe nehmen. Doch bei Textilien setzt sich das fort. Unter welchen Bedingungen kann ein T-Shirt hergestellt sein, das es beim Textildiscounter für 1,99 Euro gibt? Wie viel Geld mag dieser Hersteller für den Brandschutz in seinen asiatischen Nähfabriken ausgegeben haben? Nicht viel, wie im Jahr 2012 Brände in Fabriken in Bangladesch und Pakistan zeigten, bei denen Hunderte Arbeiter starben.

(RP/nbe/csi)
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