Sprechstunde Ulrich Waltking Die tückische Sollbruchstelle des Kahnbeins

Der Handchirurg muss bei mancher angeblichen Verstauchung im Handgelenk genau hingucken.

Unsere Leserin Christa F. aus Langenfeld fragt: "Mein Sohn Marcel (19) ist vor vier Wochen beim Handball auf die rechte Hand gestürzt. Damals hat der Arzt eine Verstauchung behandelt. Weil er immer noch Schmerzen hatte, war er jetzt wieder beim Arzt, und man hat einen Kahnbeinbruch festgestellt, der sogar operiert werden soll. Warum hat man das nicht gleich gefunden, wurde da etwas falsch gemacht? Und muss man das wirklich operieren?"

Ulrich waltking Kahnbeinbrüche der Handwurzel werden häufig zuerst nicht erkannt. Das liegt aber nicht am erstbehandelnden Arzt, sondern hat die folgende Erklärung. Beim Sturz auf das überstreckte Handgelenk wird das Kahnbein mit einer gewaltigen Kraft innerhalb der Handwurzel verdreht. Hierdurch kann der Knochen geschädigt werden, er kann einerseits ganz auseinanderbrechen, oder aber es kommt "lediglich" zur Ausbildung eines winzigen Haarrisses der Knochensubstanz. Ein solcher Knochenanriss würde an den meisten anderen Stellen des Körpers problemlos verheilen – vielleicht mit etwas länger anhaltenden Beschwerden nach einer Verstauchung, die dann aber irgendwann weg sind. Anders beim Kahnbein. Das Kahnbein an der Handwurzel bestand evolutionsgeschichtlich aus zwei Knochen, jeder mit einer eigenen Blutversorgung. Auch nachdem beide Knochen nun zu einem Kahnbein geworden sind, ist diese doppelte Gefäßversorgung geblieben. Was sich eigentlich gut anhört, hat aber dazu geführt, dass die Verschmelzungsstelle beider Knochen schlecht durchblutet ist. Kommt es nun zu einem Anrissbruch des Kahnbeines, kann dieser aufgrund der schlechten Knochendurchblutung nicht abheilen, es bildet sich eine bindegewebige Knochennarbe, die man Falsch- oder Scheingelenk nennt, medizinisch eine Pseudarthrose. Eine solche Pseudarthrose hat aber nicht die Festigkeit des unverletzten Knochens. Folge ist, dass sich im Laufe der Jahre eine Instabilität der Handwurzel entwickelt mit einer Arthrose des Handgelenkes und der Handwurzel. Das ist ein schmerzhafter Zustand, der auch eine erheblich verminderte Belastbarkeit der Hand nach sich zieht. Das soll bei Marcel verhindert werden. Das ist der Grund, warum eine Operation vorgeschlagen wurde und auch unbedingt gemacht werden sollte. Bei einem solchen Eingriff kann der Chirurg die Bruchflächen anfrischen und gegebenenfalls auch unter Einfügen von Knochenspänen den Bruch mit einer Schraube fixieren. Heute werden gern Schrauben genommen, die vollständig im Knochen versenkt werden. Durch unterschiedlich steile Gewinde an beiden Schraubenenden werden die Bruchflächen fest aufeinander gepresst, die Schraube muss später nicht mehr entfernt werden. Auf diese Weise kann der Bruch ausheilen. Achtung, Kahnbeinbrüche sind langwierig, sie brauchen Monate bis zur festen Überbauung. Aber danach steht dem Handballspiel nichts mehr im Wege. Wir haben jetzt nur über die Anrissbrüche gesprochen. Ohne Zweifel gibt es Kahnbeinbrüche, die übersehen werden, selbst bei groben Bruchschädigungen ist das schon vorgekommen. Das wird man in aller Regel als Fehler bezeichnen können. Der Verlauf, wie ich ihn dargestellt habe, ist aber eher als schicksalhaft zu bezeichnen. Anhaltende Beschwerden nach einer Handgelenksverstauchung gehören daher immer untersucht und abgeklärt. Die modernen Verfahren der Radiologie bieten jedenfalls viele Möglichkeiten mit einer sicheren Diagnose.

Ulrich Waltking ist Facharzt für Handchirurgie in Düsseldorf.

(RP)
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