Medizinische Sensation „Düsseldorf-Patient“ von HIV geheilt

Düsseldorf · Das Universitätsklinikum Düsseldorf meldet jetzt einen der seltenen Siege über das Virus, das die Aids-Krankheit auslöst. Die Heilung gelang unter denkwürdigen Umständen. Experten überlegen nun, wie sich der Erfolg wiederholen lässt.

Eine Aids-Schleife. Manche Menschen können unter speziellen Bedingungen von ihrer HIV-Infektion geheilt werden.

Eine Aids-Schleife. Manche Menschen können unter speziellen Bedingungen von ihrer HIV-Infektion geheilt werden.

Foto: dpa/Fredrik von Erichsen

Medizin ist eine leise Disziplin. Selbst Nobelpreisträger werden meistens für Dinge geehrt, deren Erforschung meistens schon Jahre zurückliegen und dem breiten Publikum gar nicht präsent sind. Erinnert sich noch jemand, dass Harald zur Hausen den Nobelpreis 2008 für die Entdeckung bekam, dass humane Papillomviren Gebärmutterhalskrebs verursachen?

Bleiben wir bei den Viren, wechseln aber zu HIV. Das Humane Immundefizienz-Virus, das zur Familie der Retroviren und zu den Geißeln der Menschheit zählt, ist der Verursacher der Aids-Krankheit, die über lange Zeit als tödlich galt. Seit es aber spezielle Medikamente gibt, lässt sich die Virusvermehrung im Körper verhindern und im besten Fall unter die Nachweisgrenze drücken. Die Patienten überleben, müssen diese Medikamente aber lebenslang einnehmen.

Oder das Virus verschwindet sogar ganz oder zersplittert in Fragmente – und kehrt auch nicht zurück, sogar ohne Medikamente. Dieser überaus seltene Fall wird nun vom Universitätsklinikum Düsseldorf (UKD) gemeldet. Der sogenannte „Düsseldorf-Patient“, ein heute 53 Jahre alter Mann, ist der weltweit nunmehr dritte Patient, der durch eine Stammzelltransplantation vom HI-Virus vollständig geheilt werden konnte. Die Transplantation erfolgte, wie auch bei den beiden anderen Patienten („Berlin-Patient“ und „London-Patient“), aufgrund einer Blutkrebserkrankung, die sich zusätzlich zur HIV-Infektion entwickelt hatte.

Das Düsseldorfer Ärzteteam um den Infektiologen Björn Jensen und den Hämatologen Guido Kobbe stellt in einer aktuellen Publikation im Fachmagazin „Nature Medicine“ den Weg zur Heilung des „Düsseldorf-Patienten“ vor. Fast zehn Jahre nach der Stammzelltransplantation durch einen nicht verwandten Spender und mehr als vier Jahre nach Absetzen der HIV-Therapie ist er heute bei guter Gesundheit. Dass das Virus tatsächlich nicht zurückgekehrt ist, ist Ergebnis sorgfältigster wissenschaftlicher und therapeutischer Vorbereitung und Überwachung. Das ist die bisher längste und genaueste diagnostische Begleitung eines Patienten mit HIV nach Stammzelltransplantation überhaupt.

Das internationale Forschungsteam unter Düsseldorfer Leitung, dem sich auch das hiesige Institut für Virologie beigesellte, erhofft sich aus den Erkenntnissen weitere Ansätze für die Planung zukünftiger Studien zur HIV-Heilung. Für jedermann ist eine Stammzelltransplantation naturgemäß nicht geeignet: Aufgrund ihrer Risiken kann sie nur bei der Behandlung anderer lebensbedrohlicher Erkrankungen eingesetzt werden. Daher ist es für die Forschung vordringlich, dass zukünftig auch Patienten ohne diesen Eingriff eine HIV-Infektion überwinden können.

Wie war die Geschichte des „Düsseldorf-Patienten“? Bei dem Mann wurde ein halbes Jahr nach Beginn seiner HIV-Therapie am Universitätsklinikum Düsseldorf eine Akute Myeloische Leukämie (AML) diagnostiziert. Das ist eine Form von Blutkrebs, die für den Patienten lebensbedrohlich ist. 2013 musste er sich daher einer Stammzelltransplantation unterziehen. „Ziel der Transplantation war von Beginn an, sowohl die Leukämie als auch das HI-Virus in den Griff zu bekommen“, sagt Guido Kobbe, der die Transplantation durchführte. Dazu wurden Stammzellen einer Spenderin mit einer genetischen Besonderheit verwendet: der Mutation des CCR5-Gens, die sogenannte CCR5 delta32-Mutation.

Diese vor allem in Mittel- und Nordeuropa verbreitete, aber seltene genetische Veränderung zeichnet sich durch einen singulären Faktor aus, wie der UKD-Virologe Jörg Timm erklärt: „Die Andockstelle für HIV auf den Immunzellen fehlt, dies bewirkt einen umfangreichen Schutz vor einer Infektion durch das Virus.“ So konnten mit der Stammzelltransplantation gleich beide Erkrankungen therapiert werden. Trotzdem bekam der Patient sicherheitshalber die sogenannten antiviralen Medikamente weiter. Jensen erklärt das: „Wir wollten nicht den schnellen Erfolg und eine schnelle Publikation. Hingegen wollten wir möglichst sicher sein, dass es dauerhaft funktioniert – unter maximaler Sicherheit des Patienten.“

2018 wurde nach sorgfältiger Planung und unter engmaschiger Kontrolle durch das Ärzteteam schließlich die antivirale HIV-Therapie abgesetzt. Um aber am Ende von einer Heilung sprechen zu können, erfolgten über den gesamten Zeitraum umfangreiche Untersuchungen. Zum Beispiel auch darauf, ob sich noch Hinweise auf vermehrungsfähige HI-Viren finden ließen. Die Autoren beschreiben in der Publikation, welche zusätzlichen Indizien zum Ausschluss einer noch aktiven HIV-Infektion sie geprüft haben, um heute von Heilung nach Stammzelltransplantation ausgehen zu können.

Wichtige Erkenntnisse hierzu lieferte die detaillierte virologische und immunologische Analyse des Bluts und von Geweben des Düsseldorfer Patienten. Jensen sagt stellvertretend für das Team: „Wir können nach unserer intensiven Forschung jetzt bekräftigen, dass es grundsätzlich möglich ist, durch Kombination von zwei wesentlichen Methoden die Vermehrung des HI-Virus nachhaltig zu unterbinden. Das ist einerseits die weitgehende Entleerung des Virus-Reservoirs in langlebigen Immunzellen und zum anderen die Übertragung der HIV-Resistenz des Spender-Immunsystems auf den Empfänger. So hat das HI-Virus keine Chance, sich erneut zu vermehren.“ Jetzt müsse man weiter erforschen, wie das auch außerhalb von den engen Düsseldorfer Rahmenbedingungen möglich sei.

Nun hängt ein schweres Wort im Raum: Heilung. Man kennt das aus der Krebstherapie, dass ein Patient angeblich über den Berg ist, zum Teil viele Jahre – und dann trotzdem das gefürchtete Rezidiv bekommt. Auch Virologe Jörg Timm war lange skeptisch, jetzt sagt er: „Gewissheit ist immer schwierig. Es sieht aber jetzt tatsächlich aus wie eine Heilung. Ein wichtiges Zeichen ist, dass in dem Patienten die Immunantworten gegen HIV wieder verschwunden sind. Das war überaus erfreulich, da das eigentlich nur passiert, wenn das Virus nicht mehr im Körper ist.“

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