Wenn der "innere Stadtplan" verblasst Demenz ist mehr als Vergessen

München/Leipzig · Viele Menschen werden im Alter vergesslich. Das ist bis zu einem gewissen Grad normal. Aber wo hört Vergesslichkeit auf, wo fängt eine Demenzerkrankung an? Für Betroffene und Angehörige gibt es Hinweies auf die Antwort.

Demenz: Acht Tipps für Angehörige
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Foto: Shutterstock/Ocskay Bence

Viele Angehörige kennen das: Opa verlegt den Schlüssel, vergisst Absprachen, kann sich nicht mehr an den Vortag erinnern. Die Ausfälle treten erst sporadisch auf, werden dann immer häufiger, und irgendwann ist da die Angst: Wird Großvater dement? Das ist nie leicht zu sagen. "Angehörige tun sich schwer damit, eine Demenz zu erkennen", sagt Katharina Bürger vom Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD) am Klinikum der Universität München. "Vergesslichkeit und Demenz sind gerade im Übergangsbereich relativ schwierig zu trennen."

Wichtig ist zunächst: Demenz ist der allgemeine Begriff, aber sie hat verschiedene Ursachen. Alzheimer ist mit 60 bis 70 Prozent aller Fälle die häufigste, erklärt Bürger. Eine andere Form ist die Pick-Krankheit oder frontotemporale Demenz, bei der der Betroffene vor allem Sprach- und Verhaltensstörungen zeigt: "Er ist zum Beispiel enthemmt, benimmt sich unangemessen, hat ein anderes Sexualverhalten."

Bestimme Erinnerungen werden zuerst ausgelöscht

Eine Alzheimer-Demenz falle zuerst durch Beeinträchtigungen der Gedächtnisleistungen auf, erläutert Prof. Matthias Schroeter vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig. "Die Betroffenen vergessen, was sie vor kurzem erlebt haben." Oder neue Gesprächsinhalte würden nicht im Gehirn eingespeichert, während alte Erinnerungen etwa aus der Kindheit abgerufen werden können.

Für eine Demenz müsse aber eine Beeinträchtigung des Alltags hinzukommen, erläutert Bürger. "Das ist deutlich mehr als Vergesslichkeit." Bisher bewältigte Aufgaben könnten Betroffene nicht mehr erledigen. "Dinge, die vorher kein Problem waren, werden schwierig", erklärt Prof. Emrah Düzel, Direktor des Instituts für kognitive Neurologie und Demenzforschung am Universitätsklinikum Magdeburg. Diese Veränderungen entstünden aber sehr schleichend, zumal Menschen mit einem guten Gedächtnis die Defizite durch die Krankheit anfangs noch gut kompensieren könnten.

Orientierungslosigkeit ist häufig ein Zeichen für Demenz

"Wenn ältere Menschen bekannte Wege nicht mehr finden, ist das ein eindeutiges Zeichen", sagt Bürger. Bei Orientierungsstörungen stecke ein größeres Problem dahinter. "Ein Patient sagte einmal: "Mein innerer Stadtplan verblasst". Er wusste nicht mehr, wie er wohin kommt." Die Schwierigkeiten beim Erinnern seien die ersten Anzeichen, dann komme meist die Orientierungslosigkeit, bestätigt Emrah Düzel.
Wortfindungsstörungen treten meist erst im späteren Verlauf einer Alzheimer-Demenz auf.

Zu einem Arzt gehen sollten Betroffene dann, wenn sie den Eindruck haben, dass ihr Zustand über ein oder zwei Jahre schlechter geworden sei, rät Bürger. Die langsame Verschlechterung sei ein entscheidendes Merkmal. "Wenn eine leichte Vergesslichkeit gleichbleibt, ist das kein großes Alarmsignal." Ob Veränderungen normal für das Alter sind, lasse sich nur mit neuropsychologischen Tests herausfinden. "Oft kommen die Patienten selbst zu uns und bitten um eine Untersuchung, weil sie sich Sorgen machen." Für die Gesamteinschätzung sei es aber wichtig, dass der Arzt auch mit den Angehörigen spricht.

Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Kontrollfunktion sind betroffen

Bei einer Demenz seien drei Bereiche beeinträchtigt, erklärt Schroeter: Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Kontrollfunktionen "Schneidet der Betroffene in zwei Domänen schlechter ab als der Altersdurchschnitt und hat er zusätzlich Beeinträchtigungen im Alltag, dann geht man von einer Demenz aus."

Wenn Informationen nicht mehr behalten werden, werde das sogenannte episodische Gedächtnis schwächer, erklärt Schroeter.Schreitet die Demenz fort, sei auch das semantische Gedächtnis betroffen: "Betroffene können dann zum Beispiel nicht mehr sagen, wer die Bundeskanzlerin ist." Und das prozessuale Gedächtnis wird beeinträchtigt: "Der Erkrankte weiß etwa nicht mehr, wie er Fahrrad fährt."

Aufmerksamkeitsdefizite sind ein Hinweis

Aufmerksamkeitsdefizite zeigten sich, wenn "alles langsamer getaktet ist", wie Schroeter sagt. "Der Betroffene kann sich nicht mehr lange konzentrieren und schläft zum Beispiel nach einer Stunde am Esstisch ein." Es falle schließlich auch schwer, sich auf mehrere Reize gleichzeitig zu konzentrieren - etwa beim Autofahren auf Verkehr und Beifahrer. Die Kontrollfunktionen bauten auf Gedächtnis und Aufmerksamkeit auf. Sie seien für Planungen und Entscheidungen wichtig, um flexibel auf eine neue Situation reagieren zu können und eine Lösung zu finden.

"Bei einem Viertel der Patienten können wir nach den Tests Entwarnung geben", sagt Bürger. "Es ist ganz normal, dass im Alter das Gedächtnis etwas schlechter wird." Der Mensch werde zwar insgesamt klüger, aber langsamer. "Sie müssen sich keine Gedanken machen, wenn sie sich Vokabeln nicht mehr so gut merken können wie mit 20 oder 30." Ein bisschen Vergesslichkeit sei im Alter normal."Aber es gibt auch Fälle, in denen wir sagen möchten: Wären Sie mal besser früher gekommen!"

(dpa)
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