Corona-Forschung Infizierte sind später nicht zwingend immun

Lübeck · In der Corona-Forschung wankt derzeit eine zentrale Vermutung, an die Hoffnungen geknüpft wurden: dass jeder Infizierte dauer­haft immun gegen eine Neuansteckung ist und auch niemand anderen mehr anstecken kann.

 Eine Maschine nimmt im Diagnostiklabor für eine Covid-19-Studie der Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) abgetrenntes Plasma einer Blutprobe aus der Studie zur Analyse auf Covid-19 spezifische Antikörper auf.

Eine Maschine nimmt im Diagnostiklabor für eine Covid-19-Studie der Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) abgetrenntes Plasma einer Blutprobe aus der Studie zur Analyse auf Covid-19 spezifische Antikörper auf.

Foto: dpa/Matthias Balk

Mehrere Studien (aus Lübeck, China und Zürich) zeigen derzeit, dass die sogenannten Antikörper manchmal gar nicht mehr im Blut nachweisbar sind, obwohl jemand – durch einen vorherigen PCR-Test in der Akutphase zweifelsfrei nachgewiesen – infiziert war. Ein „Immunitätspass“ würde gar nichts aussagen. Wie kann das sein?

Man muss sich die Arbeit der Immunabwehr wie ein polizeiliches Wirken vorstellen. Minder schwere Fälle klärt die Besatzung des Streifenwagens. Ist die Sache heikler, kommt die Kripo. Dann eventuell das SEK. Oder das Landeskriminalamt. Im schlimmsten Fall schaltet sich der Generalbundesanwalt ein.

So ähnlich ist das beim Coronavirus. Viele Patienten erkranken ja gar nicht oder nur gering, obwohl sie nachweislich infiziert sind. Bei ihnen ist offenbar die erste Immunantwort schon so effizient gewesen, dass weitere Behörden nicht anrücken mussten. Das hat mit der Struktur des Immunsystems zu tun. Es kann körperfremde Erreger, die auch Antigene genannt werden, identifizieren und stellt zu ihrer Abwehr spezifische Antikörper her. Sie werden Immunglobuline genannt; sie unterscheiden sich in ihrem Aufbau und in ihrer Funktion, weshalb sie in Klassen eingeteilt werden. Die IgA-Antikörper sind spezialisiert auf Keime auf den Schleimhäuten etwa in Nase und Rachen; sie können Coronaviren effektiv abfangen, vor allem, wenn sie den Körper in nur geringer Viruslast erreichen. Erst einige Wochen später bildet der Körper in großer Menge die IgG-Antikörper. Die Menge der Antikörper werden in der sogenannten Titer-Messung bestimmt.

Hat also IgA bereits heilend gewirkt, sieht der Körper möglicherweise von der Bildung von IgG-Antikörper ab. Wenn man dann im Nachhinein nach ihnen sucht, dann findet man nichts. Ein negativer Antikörper-Test ist also aussageschwach, weil er nicht zwingend nachweist, dass jemand infiziert war oder nicht.

Möglicherweise aber sind Infizierte ohne nachweisbare IgG-Antikörper trotzdem immun und stellen auch kein Ansteckungsrisiko mehr dar. Genaueres klären derzeit weitere Studien. Jedenfalls zeigt sich erneut, dass bei einem so wenig bekannten Erreger wie Sars-CoV-2 verfrühte Hoffnungen schnell betrogen werden können.

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