Vorbeugung gegen Covid-19 Warum eine Impfpflicht beim Coronavirus sinnlos wäre

Düsseldorf · Ein Impfstoff gegen Sars-CoV-2 ist noch nicht auf dem Markt, da melden sich bereits Impfgegner und Verschwörungstheoretiker. Viele Menschen würden sich indes freiwillig impfen lassen.

Eine Impfung gegen das Coronavirus ist noch in weiter Ferne. Trotzdem formieren sich bereits die Impfgegner.

Eine Impfung gegen das Coronavirus ist noch in weiter Ferne. Trotzdem formieren sich bereits die Impfgegner.

Foto: dpa/Martin Schutt

Es war nur eine Frage der Zeit, bis das in einigen Ohren böse klingende Wort wieder in die Schlagzeilen kommen würde. Bei einer anderen Viruserkrankung, den Masern, wurde sie durchgesetzt, und zwar in einem nicht schönen, aber unvermeidbaren Verfahren. Bei der Influenza-Grippe stand sie kaum zur Debatte, weil die Wirkungssicherheit nie optimal, sondern immer ein wenig unberechenbar ist. Doch bei Corona poppt das Wort wieder auf, und manche sind in Aufregung: Impfpflicht.

Nun wird wieder protestiert, Plakate werden bemalt, Kreuzzüge aufgestellt, Megafone auf Maximallautstärke gestellt.

Alles ausschließlich Propaganda aus dem Lager der Ahnungslosen, Uninformierten, Genervten, Verbohrten? Zu großen Teilen ja. Denn eine Impfpflicht gegen Sars-CoV-2 ist weder im Gespräch, noch ist sie sinnvoll. Kanzleramtsminister Braun, selbst Mediziner, hatte es dieser Tage ähnlich wie andere Politiker erklärt: Wenn es eine Impfung gäbe, wäre sie freiwillig.

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Wie konnte es zu der Fehlannahme kommen? Auslöser war eine Änderung im Infektionsschutzgesetz. Künftig – das ist beschlossen – kann ein Arzt den „Serostatus einer Person in Bezug auf die Immunität gegen eine bestimmte übertragbare Krankheit dokumentieren“. Dabei müssen bestimmte Angaben gemacht werden – etwa zur erwartbaren Dauer der Immunität oder zur Testmethode, mit der sie festgestellt wurde. Es geht also um den Eintrag in den Impfpass, den ein Arzt vornehmen kann, aber nicht muss.

In einem Entwurf zu Paragraf 28 jedoch wird es interessanter: Werden behördliche Schutzmaßnahmen verhängt, können Personen davon ausgenommen werden, die eine „Impf- oder Immunitätsdokumentation“ vorlegen. Von einer Pflicht zur Impfung ist da nicht die Rede, wohl aber von der möglichen Verpflichtung, dass jemand eine Bescheinigung vorlegt, wenn er von Schutzmaßnahmen befreit werden möchte. Das kann man eigentlich nicht missverstehen.

Niemand weiß, wie lange eine Immunität überhaupt anhält

Solch ein Nachweis von Immunität könnte fraglos als hilfreich gewertet werden, weil solcherart freigesprochene Menschen problemlos Umgang etwa mit Risikopatienten haben könnten. Oder leichter reisen dürften. Oder bei der Ermittlung einer Infektionskette als Urheber oder Teilnehmer ausschieden. Gedanken an ein derartiges Papier sollte man sich vorerst aus dem Kopf schlagen. Die Forschung hat erst seit einigen Wochen mit Sars-CoV-2 zu tun. Kein Mensch kann wissen, ob eine durchgemachte Infektion überhaupt eine lang andauernde Immunität bewirkt. Ebenso wenig wissen die Gelehrten zweifelsfrei, ob nicht ein Kranker sogar ein zweites Mal infiziert werden kann.

Der Mensch neigt zur Bauernschläue, und deren ungute Variante ist der Ruf nach einer verbotenen Corona-Party – getreu dem Motto: schnell infiziert, kurz gelitten, lange immun, schnell wieder bewegungsfrei. Solche Szenarien verkennen die Unkalkulierbarkeit und Brandgefährlichkeit des Virus, das zwar viele Menschen kaum belästigt, doch nicht wenige dagegen schwer bis tödlich trifft.

Nun liegt der Gedanke, dass man die Menschen zu ihrem Glück bisweilen zwingen muss, auch beim Coronavirus auf der Hand, nach dem Motto: Gäbe es einen Impfstoff, dann sollten ihn alle angeboten bekommen. Wer ihn dann ablehnt und auf seine körperliche Unversehrtheit pocht, bei dem könnte zum Wohle aller nachgeholfen werden dürfen. Denn jemand, der geimpft ist, erkrankt nicht nur selbst nicht, er steckt auch keinen anderen an.

Tatsächlich wäre eine Impfpflicht rechtlich kein Problem. Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages kamen 2016 zum Schluss, dass zwar „eine Impfpflicht für bedrohte Teile der Bevölkerung einen Eingriff in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ bedeute, im Seuchenfall „verfassungsrechtlich jedoch gerechtfertigt erscheinen“ könne. Diese abstrakte Lesart wurde im Fall von Masern konkretisiert, weil immer wieder tödliche Fälle bei Kindern eintraten, die hätten verhindert werden können. Hier galt bei der Entscheidungsfindung auch das Prinzip der Gefahrenabwehr zum Wohle anderer. Jetzt heißt es laut Gesetz: „Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen oder anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist.“

Bei Masern hilft das Gesetz bereits: Die Zahlen sinken.

 In früheren Zeiten waren Masern-Impflücken kein Problem, weil die Durchimpfung der Bevölkerung so groß war, dass Einzelfälle tatsächlich Einzelfälle blieben. Diese Lücken sind aber größer geworden, gefährlich groß, ebenso die Unbelehrbarkeit mancher Eltern, die sich Einblicke in virologische Abläufe zutrauen und Impfschäden kolportieren, die sich im Ausnahmefallbereich abspielen (vergleichbar den raren Schicksalen von Autofahrern, die sich beim Auffahrunfall im Sicherheitsgurt stranguliert haben).

Die Sicherheit einer Impfung ist das oberste Gesetz

Von einer Impfpflicht gegen das Coronavirus kann auch deshalb keine Rede sein, weil es noch gar keinen Impfstoff gibt. Erst wenn man ihn ausgiebig getestet hat, wird man seine Sicherheit angeben können; ebenso seine Wirkdauer und Potenz. Aus gutem Grund verordnet der Gesetzgeber ja auch keinen Zwang zur Grippeschutzimpfung. Sie ist von Saison zu Saison mal stärker, mal schwächer; in manchen Jahrgängen rettet sie sehr viele Menschenleben, in anderen etwas weniger. Dass sie rettet, ist aber unstrittig. Leider produzieren Menschen, die gegen Influenza geimpft wurden und trotzdem erkrankten, das Gerücht, die Impfung habe sie infiziert. So entstehen Fake News zu Impfschäden, die nur durch beharrliche Aufklärung zu beseitigen sind.

Beim Coronavirus könnte eine ähnliche Unsicherheit eintreten: Eine Impfung könnte viele schützen, aber möglicherweise nicht alle. Man müsste auch, je nach Zielgruppe, zwischen (inaktivierten) Tot- und (abgeschwächten) Lebendimpfstoffen unterscheiden; dass also immungeschwächte Menschen anders zu impfen wären als Kinder. Aus dieser Gemengelage heraus ist der Gedanke der Freiwilligkeit, den auch Bundesminister Spahn verficht, richtig: „Mein Eindruck ist, dass sich die allermeisten Bürgerinnen und Bürger sofort freiwillig impfen lassen würden, sobald es eine Impfung gegen das Coronavirus gibt. Wo Freiwilligkeit zum Ziel führt, braucht es keine gesetzliche Pflicht.“ Eine solche Impfung stünde auf einem sicheren Boden, den Mediziner „hohe Compliance“ nennen, also die Bereitschaft, eine therapeutische oder prophylaktische Maßnahme mitzutragen.

Je mehr Menschen sich freiwillig impfen ließen, desto besser stünde es auch um die Überlebenschancen von Impfgegnern.

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