Wenn Ärzte Fehler machen Falsch behandelt

Köln · Jahrelang hat Martha F. aus Hürth Spritzen gegen Hexenschuss bekommen. Dann kam raus: Sie litt unter einer ganz anderen Krankheit. Jetzt klagt sie gegen ihren früheren Arzt. Doch Gerichtsverfahren wegen Behandlungsfehlern dauern oft lang und sind kostenintensiv.

 Martha F. ist draußen auf eine Gehhilfe angewiesen. Jahrelang wurde sie von einem Orthopäden falsch behandelt.

Martha F. ist draußen auf eine Gehhilfe angewiesen. Jahrelang wurde sie von einem Orthopäden falsch behandelt.

Foto: Anne Orthen (ort)

Es gab Zeiten, da saß Martha F. mehrmals in der Woche im Wartezimmer ihres Orthopäden in Hürth bei Köln. Ihre Rückenschmerzen ließen die Frau oft verzweifeln. Die Behandlung lief dann immer gleich ab, wie sie sagt. Der Arzt spritzte ihr das Schmerzmittel Diclofenac und notierte „Hexenschuss“. „Manchmal hab ich bis zu drei Spritzen bekommen, dazu Schmerztabletten“, sagt die 80-Jährige. Dann sei es kurz gut gewesen, bis die Schmerzen wieder da waren.

Früher war die Rentnerin oft mit ihrem Rad unterwegs oder mit dem Bus. Doch die Schmerzen zwangen sie nach und nach immer mehr zum Stillhalten. „Hexenschuss. So oft? Das kann doch eigentlich nicht sein“, habe sie zu ihrem Arzt gesagt. Die Diagnose fühlte sich für Martha F., die ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, falsch an. „Ich erzählte ihm, dass meine Mutter unter Osteoporose litt, und fragte ihn, ob es nicht sein könnte, dass ich das auch habe“, sagt sie. „Sie haben, was Sie immer haben“, habe der Arzt gesagt, „Hexenschuss.“

Osteoporose ist eine Alterserkrankung der Knochen, die auch als Knochenschwund bezeichnet wird. Frauen leiden häufiger unter ihr als Männer, die Krankheit lässt die Knochen dünn und porös werden, sie werden anfällig für Brüche. Dass Martha F. tatsächlich Osteoporose hat, erfuhr sie im Sommer vor zwei Jahren in einer Klinik in Wiesbaden. Vorher hatten ihre Schmerzen sie regelrecht lahm gelegt. „Es war ein halbes Jahr lang unerträglich“, sagt sie. „Ich lag nur auf dem Sofa, meine Beine angewinkelt auf einem Stoffwürfel.“ Drei Nachbarinnen kümmerten sich um Martha F. „Sie haben für mich eingekauft, gekocht und geputzt. Alle zwei Wochen kam meine Tochter, um meine Wäsche zu waschen. 100 Kilometer hin, 100 Kilometer zurück.“ Sie hat drei Töchter, keine lebt in der Nähe. Zum Arzt konnte sie nur mit dem Taxi, eine Nachbarin fuhr sie zur Physiotherapeutin, die eigentlich nur fünf Minuten von Martha F.s Wohnung entfernt ist.

Martha F. ist wohl eine von 3337 Patientinnen und Patienten, die laut einer Studie des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung im Jahr 2017 durch den Behandlungsfehler eines Arztes zu Schaden gekommen sind. Die Zahlen für vergangenes Jahr werden am Donnerstag bekannt gegeben. Die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher liegen, da viele Patienten ihrer Befürchtung, Opfer geworden zu sein, gar nicht erst nachgehen – aus Scham, Angst oder Unwissenheit. Dr. Hansjörg Haack (60) ist Fachanwalt für Medizinrecht in Düsseldorf und betreut nach eigenen Angaben zwischen 300 und 400 Mandanten pro Jahr, Anfragen habe er dreimal so viele. Bei rund 90 Prozent seiner Fälle traten Probleme im Zusammenhang mit Krankenhausaufenthalten auf. Dabei führt seiner Erfahrung nach selten Inkompetenz der Ärzte zu Behandlungsfehlern, sondern vielmehr die Überlastung des Klinikpersonals. „Krankenhäuser stehen heute unter einem enormen wirtschaftlichen Druck und haben oft massive Personalprobleme. Da kommt es dann zu Diagnosefehlern oder mangelnder Aufklärung eines Kranken beispielsweise vor einer Operation“, sagt Haack. Auch Kommunikationsprobleme zwischen Arzt und Patient, weil einer von beiden schlecht oder wenig Deutsch spricht, seien in Krankenhäusern an der Tagesordnung und führten schnell zu Missverständnissen. Haack weiß auch um die emotionale Belastung, unter der Patienten nach einem Behandlungsfehler leiden. „Zu mir kommen Menschen, die mit großen Hoffnungen zum Arzt oder ins Krankenhaus gegangen sind, und bei denen hinterher alles noch schlimmer ist als vorher“, sagt Haack. Da sei die Enttäuschung groß, nicht selten ziehe das Erlebte auch psychische Leiden nach sich.

Wenn ein Patient sich dazu durchringt, einen Behandlungsfehler an offizieller Stelle zu beanstanden, hat er einen langen Weg vor sich. Die Verfahren ziehen sich oft über mehrere Jahre und sind mit hohen Kosten verbunden. Gutachten, Anwalts- und Prozesskosten summieren sich schnell auf 6000 bis 7000 Euro. Sofern eine Rechtsschutzversicherung besteht, übernimmt die die Ausgaben. Andernfalls muss der Patient selbst in Vorleistung gehen und hoffen, dass der Streitwert des Prozesses am Ende die Kosten deckt.

In einem Hefter hat Martha F. sämtliche Taxiquittungen und Rechnungen für zusätzliche Medikamente gesammelt, etwa Kalzium- und Vitamin-D-Tabletten, rund 870 Euro sind es. Für Martha F. ist das viel Geld, die Rente der ehemaligen Sekretärin ist nicht hoch. Einige Monate nach dem Klinikaufenthalt in Wiesbaden wurde Martha F. zwölf Tage in einer orthopädischen Spezialklinik in Bad Schwalbach behandelt, danach war sie seit langem einigermaßen schmerzfrei, „zumindest zwei bis drei Wochen“, sagt sie.

Als sie ihrem Hürther Orthopäden 2017 von der Wiesbadener Klinik mit hochspezialisiertem Wirbelsäulenzentrum erzählte, die sie gerne besuchen würde, habe dieser nur gesagt: „Ist ja schön.“ Martha F. hat mit ihrem Rechtsanwalt inzwischen Klage wegen eines Diagnosefehlers gegen ihren Orthopäden eingereicht. „Viele würden sicher sagen: Dagegen kommt man doch sowieso nicht an, aber ich will, dass er zur Rechenschaft gezogen wird“, sagt sie. Derzeit leidet sie wieder unter Schmerzen. Sie glaubt, dass der Verlauf der Osteoporose deutlich hätte verzögert werden können, wenn die Krankheit rechtzeitig erkannt worden wäre und sie die passenden Medikamente und eine gute Behandlung bekommen hätte.

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