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Experten-Rat Alzheimer muss kein Schreckgespenst sein

Von der Diagnose Demenz und ihrer Unterform Alzheimer fühlen sich viele überfordert. Sie erscheint zu undurchsichtig. Drei Experten geben Antworten.

 Nuklearmedizinische Diagnostik: das Gehirn eines Gesunden (l.) und dasjenige eines Alzheimer-Patienten.

Nuklearmedizinische Diagnostik: das Gehirn eines Gesunden (l.) und dasjenige eines Alzheimer-Patienten.

Foto: dpa

Groß war der Andrang, groß die Hoffnung auf Information. Mehr als 130 Gäste kamen ins Konferenzzentrum der Rheinischen Post, um der "Expertenzeit - Gut leben"-Veranstaltung zu einem ausgewählten Gesundheitsthema zu lauschen. Diesmal ging es um Demenz und ihre verschiedenen Formen. Alfons Schnitzler (Uniklinik Düsseldorf), Tillmann Supprian (LVR-Kliniken Düsseldorf) und Winfried Neukäter (EVK Wesel) stellten sich den Fragen von RP-Redakteur Wolfram Goertz. Die wichtigsten Botschaften des Abends:

Vergessen ist nicht gleich Demenz

Vergessen ist eine peinliche Angelegenheit. Plötzlich ist der Name des Kollegen weg oder der Grund, aus dem man in den Keller gegangen ist. Situationen wie diese kennen Jung und Alt, und es gehört zum normalen Alterungsprozess, dass sich diese Momente irgendwann häufen. "Aber wenn ein Mensch genau die gleiche Frage nach ein paar Minuten wieder stellt, dann ist das ein deutliches Anzeichen dafür, dass es sich um eine Demenz handelt", sagt Supprian. Demenz, das ist laut medizinischem Lehrbuch der Oberbegriff für Krankheiten, die zu nachlassender Gehirnleistung führt. "Wir wissen aber inzwischen, dass es noch mehr Symptome gibt. So verändern sich auch die Persönlichkeit des Patienten und seine allgemeine Stimmungslage", sagt Neukäter. Was dabei genau passiert, hängt vom Patienten ab und von der Form der Demenz.

Manchmal ist Demenz heilbar

"Gerade weil es so viele Unterformen gibt, ist es wichtig zu kontrollieren, ob eine Demenz heilbar ist oder nicht", sagt Schnitzler. "Ein Vitamin-B12-Mangel kann beispielsweise eine Demenz auslösen und ist leicht durch entsprechende Präparate zu beheben." Anders ist das bei den beiden häufigsten Formen: An vaskulärer Demenz leiden etwa 15 Prozent der Demenzpatienten in Deutschland. Sie entsteht durch eine chronische Mangelversorgung des Gehirns mit Blut. An Morbus Alzheimer leiden sogar zwei Drittel der Patienten. Es wird durch ein vorzeitiges Absterben der Nervenzellen ausgelöst.

Etwa 20 Prozent der Patienten leiden an Mischformen aus den genannten Varianten. Das ist auch der Grund, warum sich eindeutige Risikofaktoren für die Krankheit benennen lassen. "Unbehandelter Bluthochdruck, Rauchen, Übergewicht, Bewegungsmangel, Diabetes und ein zu hoher Cholesterinspiegel steigern deutlich die Wahrscheinlichkeit für eine vaskuläre Demenz", sagt Schnitzler. Jung gehalten wird das Gehirn dagegen von Sport, insbesondere vom Tanzen, und durch die Beschäftigung mit Musik, etwa durch Singen im Chor oder das Spielen eines Instruments.

Es ist unklar, wie Alzheimer entsteht

Obwohl rund um Morbus Alzheimer viel Forschung betrieben wird, gibt die Krankheit noch immer viele Rätsel auf. "Was wir wissen, ist, dass sich Alzheimer durch einen Abbau von Nervengewebe im Gehirn äußert", sagt Neukäter. "Bei bildgebenden Verfahren ist beispielsweise eine Verschmächtigung der Gehirnrinde zu sehen." Ausgelöst wird der Zellentod durch sogenannte Plaque. Das sind Eiweißablagerungen, die den Stoffwechsel der Nervenzellen stören. "Aber wir müssen zugeben, dass wir letztlich nicht wissen, warum diese Plaque überhaupt entstehen", sagt Schnitzler. Bekannt ist, dass die Genetik eine Rolle spielt. "Wenn also in einer Familie mehrere Fälle von Alzheimer aufgetreten sind, ist die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass auch die nächsten Generationen betroffen sind", sagt Supprian.

Oft gehen Betroffene nicht zum Arzt

Besonders wichtig für die Behandlung von Alzheimer ist, dass die frühzeitige Diagnose erfolgt. "Die Patienten selbst haben aber keine Krankheitseinsicht", sagt Neukäter. Oftmals wirken sie auf Beobachter auf den ersten Blick sogar gesund. "Zu Hause erleben die Angehörigen aber, dass der Patient das Datum nicht weiß, Socken nicht anziehen kann oder sein Zimmer nicht findet", sagt Schnitzler. In solch einem Fall ist die erste Anlaufstelle der Hausarzt, der dann eine Überweisung zum Neurologen veranlasst. Die eigentliche Diagnose wird letztlich mit einer ganzen Batterie von Tests gestellt. "Dazu gehören neuropsychologische Tests, Blutuntersuchungen, bildgebende Verfahren wie MRT und psychologische Untersuchungen", sagt Neukäter. Vor allem die psychologischen Untersuchungen haben laut Tillmann Supprian eine große Relevanz, weil schwere Depressionen ähnliche Symptome wie Alzheimer auslösen können.

Die Therapie steht auf vier Säulen

Heilbar ist Alzheimer nicht. Aber es gibt verschiedene Wege, um die Krankheit zumindest für eine Weile in Schach zu halten. "Ich spreche hier von einem Vier-Säulen-Model", sagt Neukäter, "das beinhaltet Medikamente, um das Fortschreiten zu verlangsamen, und solche, die die Symptome lindern, etwa nächtliche Unruhe oder Angstzustände." Punkt drei ist laut dem Experten Hilfe bei der Alltagsorientierung etwa durch Ergo- oder Physiotherapie. Die vierte Säule ist die Unterstützung der Angehörigen, damit sie selbst gesund bleiben. "Das ist wichtig, weil viele Pflegende selbst schon über 65 Jahre alt sind."

Auch Alzheimer kann mild verlaufen

Alzheimer ist ein Schreckgespenst - aber den typischen Verlauf gibt es eigentlich nicht. Supprian: "Man spricht oft von Patienten, die Angstzustände entwickeln, Unruhe, vielleicht auch aggressiv werden, aber ich muss tröstend sagen, man findet auch häufig den umgedrehten Fall. Also den friedlichen, freundlichen Patienten, der leicht zu pflegen ist." Wichtig ist auch, schon frühzeitig Aufgaben abzugeben, allen voran Bürokratisches wie etwa die Steuer. "Außerdem sollten eine Patientenverfügung und eine Vorsorgevollmacht an die Angehörigen ausgestellt werden, damit sie im Ernstfall medizinische Entscheidungen treffen können", sagt Supprian.

Wertschätzung hilft am meisten

Mit einem Alzheimer-Patienten richtig umzugehen, ist nicht unbedingt leicht. Aber die Experten geben Rat: "Es nützt nichts, wenn wir den Patienten ständig mit seinen Fehlern konfrontieren und somit frustrieren. Stattdessen gibt es in der Psychotherapie den Ansatz der Wertschätzung", sagt Supprian. Wird eine Geschichte dreimal erzählt, dann solle man das locker nehmen und nicht kommentieren. Ignoriert der Patient aber eine rote Ampel, sei das für den Experten durchaus Anlass, etwas zu sagen. Der Tipp von Neukäter: "Lieber die Alltagsfähigkeiten stärken, die der Patient noch hat, als ihn mit Gehirnjogging unter Druck zu setzen." Laut Schnitzler erreiche man Patienten gut über Emotionen, selbst wenn die dazugehörige Erinnerung verblasst ist. "Die Biografie spielt eine wichtige Rolle und kann Gespräche erleichtern."

(ham)
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