Berufsbildungsbericht Viele Schulabgänger zu schlecht für die Lehre

Düsseldorf (RP). Fast jedem zweiten Lehrstellen-Bewerber fehlt die für die Ausbildung notwendige Reife, heißt es im Berufsbildungsbericht. Unternehmer aus der Region bestätigen: Die Suche nach Lehrlingen wird immer schwieriger ­ und der Inhalt der Ausbildung immer banaler.

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Foto: ddp

Manchmal, wenn er ein paar Minuten Zeit übrig hat, nimmt Friedrich Wendel seine beiden Azubis beiseite und übt mit ihnen: Welche Hauptstädte gibt es in Europa? An welchem Tag fiel die Berliner Mauer? "In Geschichte und Erdkunde fehlt oft die Allgemeinbildung", sagt der Metzgermeister aus Düsseldorf. "Da muss ich nunmal den Lehrer spielen."

Wendel ist 56 Jahre alt und bildet seit 30 Jahren aus. Dass der Anteil der Jugendlichen, die zwischen Schule und Eintritt in die Berufsausbildung zunächst einen ergänzenden Grundbildungskurs besuchen, laut Meldungen im neusten Berufsausbildungsbericht bei 47,3 Prozent liegen soll, wundert ihn nicht. 2005 lag dieser Anteil demnach sogar bei 55 Prozent.

Nachdem diese Zahlen am Mittwoch von der Nachrichtenagentur dpa veröffentlicht wurden, erläuterte das Bildungsministerium die Zahlen: Aus dem Berufsbildungsbericht könne nicht der Schluss gezogen werden, dass fast jeder zweite Schulabgänger eines Jahrgangs "nicht ausbildungsreif" sei. "Die genannte Referenzgröße von 47,3 Prozent umfasst nämlich nicht nur Schulabgänger aus dem Jahr 2008, sondern auch Abgänger aus früheren Jahren", hieß es in einer Stellungnahme des Ministeriums. Soll heißen: Ein Teil der Schulabgänger taucht mehrfach in der Erhebung auf.

Über die immer schlechteren Grundkenntnisse der Schulabgänger ändert aber auch diese Korrektur nichts. "Das Problem schiebt die Politik schon seit Jahren vor sich her", erzählt Metzgermeister Wendel. "Von den Jugendlichen, die sich bei mir bewerben, kommen 80 Prozent für eine Lehre nicht in Frage."

335 Millionen Euro für berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen

Nicht nur Grundkenntnisse in verschiedenen Fachgebieten, auch Verantwortungsbewusstsein, Pünktlichkeit und Engagement würden den meisten fehlen. "Heutzutage sind viele Jugendliche nach der Schule noch nicht reif für die Anforderungen des Arbeitslebens." Um sie darauf vorzubereiten, gibt allein die Bundesagentur für Arbeit in NRW Jahr für Jahr Millionen aus. 335 Millionen Euro investierte die BA im vergangenen Jahr in berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen, in "berufseinstiegsbegleitende" Kurse, zum Beispiel zu Konfliktbewältigung oder Pünktlichkeit, in außerbetriebliche Ausbildungsplätze und in Boni für Betriebe, die für schwer vermittelbare Bewerber zusätzliche Lehrstellen schaffen.

Sinnvolle Programme mit begrenzter Wirkung, wie Arbeitgeber finden. "Im Grunde genommen wird durch solche Maßnahmen nur nachjustiert", sagt Axel Fuhrmann, Geschäftsführer der Handwerkskammer Düsseldorf. Dass Bewerber orientierungslos ins Berufsleben gehen oder Grundkenntnisse aus dem Schulunterricht erst wieder aktivieren müssen ­— seiner Meinung nach nur bei jedem fünften Lehrling der Fall —­ müsse bereits in der Schule, aber auch zu Hause in Angriff genommen werden.

Metzger Wendel bezeichnet die Fördermaßnahmen sogar als "nicht sinnvoll". Er hat schlechte Erfahrungen mit Lehrlingen gemacht, die vor der Ausbildung einen ergänzenden Grundbildungskurs oder eine andere Aufbaumaßnahme durchlaufen haben. "Da haben die Jugendlichen nur an zwei bis drei Tagen für einige Stunden Unterricht und sind völlig unterfordert", sagt er. "So lernen sie ein lockeres Leben kennen und denken, dass das immer so läuft." Mit fünf harten Arbeitstagen am Stück kämen sie dann nicht mehr zurecht.

Wichtige Rolle der Eltern

"Ich achte bei der Auswahl der Lehrlinge vor allem darauf, dass sie von den Eltern Unterstützung erhalten." Denn diese seien es, die ihre Kinder zu Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit am Arbeitsplatz anhalten. Er könne zwar den Schullehrer spielen, aber nicht nacherziehen. "Wir hören von vielen Betrieben, dass sie ihre Lehrlinge nachträglich weiterbilden", sagt Peter Toholt von der Geschäftststelle des Fleischerverbands NRW. "Manche stellen sogar Unternehmensberater ein, die den Azubis Nachhilfe und Trainings beispielsweise im Umgang mit Kunden geben."

In Mönchengladbach hat die Bäckerinnung gar über Jahre hinweg Bäckermeister als Mathelehrer eingesetzt, die den Auszubildenden einmal die Woche "Stützunterricht" gaben. Dass dafür jetzt kein Kollege mehr Zeit hat, bedauert Obermeisterin Gertie Riethmacher zutiefst. "Vergangene Woche habe ich im Unterricht neun Azubis gefragt: Wenn 750 Gramm 3,30 Euro kosten, wie viel kosten dann 250 Gramm? Alle neun saßen ratlos vor mir."

Auch der Düsseldorfer Dachdeckermeister Eduard Fuchs sagt: "Wenn ich ein dreiviertel Jahr brauche, um jemandem beizubringen, wie man den Flächeninhalt eines Kreises berechnet, dann geht das nicht." Er lässt Bewerber deshalb immer öfter zur Probe arbeiten. René Fabrizio Bischoff zum Beispiel beginnt bei Fuchs demnächst ein zweiwöchiges Praktikum. Der 16-jährige Duisburger hat im vergangenen Jahr die Hauptschule beendet, seitdem 120 Bewerbungen geschrieben. Er sagt: "Wenn es hier klappt, würde es bei mir endlich vorangehen."

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