Beistand leisten Wenn Kollegen in großer Sorge sind

Der Krieg in der Ukraine ist auch am Arbeitsplatz ein Thema. In vielen Betrieben gibt es zudem ganz direkt betroffene Mitarbeiter. Für sie müssen Führungskräfte und Teammitglieder ein offenes Ohr haben.

 Bei Friedenskundgebungen bringen die Menschen ihre Solidarität mit der Ukraine zum Ausdruck. Gegenüber einem vom Krieg betroffenen Arbeitskollegen ist besonderes Mitgefühl gefragt.

Bei Friedenskundgebungen bringen die Menschen ihre Solidarität mit der Ukraine zum Ausdruck. Gegenüber einem vom Krieg betroffenen Arbeitskollegen ist besonderes Mitgefühl gefragt.

Foto: dpa/Michael Reichel

Der Krieg in der Ukraine wird in Deutschland mit großer Sorge verfolgt und auch unter Kollegen wird am Arbeitsplatz über die aktuelle Situation gesprochen. In einigen Unternehmen gibt es zudem Mitarbeiter mit besonderen Beziehungen zu dem Land: Sie haben ukrainische Wurzeln, sorgen sich um Familie und Freunde, die dort noch leben oder sich gerade auf der Flucht befinden, und sind überhaupt in Gedanken bei ihren Landsleuten. Ihr Job mag für ein paar Stunden Ablenkung schaffen. Aber wen große Sorgen drücken, der kann sich trotzdem nur schwer auf andere Dinge konzentrieren. Das dürfen Arbeitgeber nicht außer Acht lassen.

Der Chef oder die Führungskraft sollte auf den Betroffenen zugehen, das schwierige Thema ansprechen und Hilfe anbieten. „Wichtig ist, dabei empathisch vorzugehen, damit der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin nicht das Gefühl bekommt, kontrolliert zu werden und dass die Führungskraft nur Angst um die Arbeitsleistung hat“, sagt Laura von Gilsa, Professorin für Angewandte Psychologie mit Schwerpunkt Arbeits- und Organisationspsychologie an der Hochschule Fresenius. Umgekehrt sollte sich der Betroffene nicht gezwungen fühlen, ein Gespräch mit der Führungskraft zu führen, sondern es als Angebot ansehen, das er auch ablehnen darf. „Wenn jemand seine privaten Probleme mit dem Arbeitgeber oder seinem Vorgesetzten nicht teilen möchte, ist das vollkommen in Ordnung“, sagt von Gilsa. Sollte sich der Mitarbeiter zurzeit im Homeoffice befinden, empfiehlt die Psychologin – wenn möglich – den Videoanruf statt eines Telefonats. Per E-Mail sollte nur die Einladung zum Gespräch erfolgen.

Mit dem Mitarbeiter sollte auch besprochen werden, inwieweit der Kollegenkreis informiert werden darf. „Die individuellen Wünsche des Betroffenen müssen respektiert werden. Aus psychologischer Sicht ergibt es Sinn, das Team zu informieren, um Verständnis für die Situation der Person zu erhalten und so auch die Kollegen zu Unterstützern zu machen“, sagt Laura von Gilsa. Diese Unterstützung kann die Übernahme von Tätigkeiten sein, um den betroffenen Kollegen zu entlasten, aber auch, selbst das Gespräch mit ihm zu suchen, um ihm vor allem ein offenes Ohr zu schenken.

Sollte der Mitarbeiter das Bedürfnis signalisieren, sich öffnen zu wollen, aber Hemmungen gegenüber dem Vorgesetzten haben, rät die Psychologin, externe Hilfe anzubieten und als Arbeitgeber zu organisieren, indem ein Psychologe oder ein Seelsorger hinzugezogen wird. Manchmal gibt es in der Personalabteilung auch jemanden, der extra für den Beistand von Mitarbeitern geschult ist. „Große Unternehmen haben in der Regel mehr Ressourcen, zum Beispiel in Form eines Employee Assistance Programms, kurz EAP. Es gibt aber vermehrt auch psychologische Onlineangebote für mentale Gesundheit, die für kleinere Firmen leichter finanzierbar und umsetzbar sind“, erklärt von Gilsa.

 Laura von Gilsa ist Professorin für Angewandte Psychologie an der Hochschule Fresenius in Frankfurt/Main.

Laura von Gilsa ist Professorin für Angewandte Psychologie an der Hochschule Fresenius in Frankfurt/Main.

Foto: HS Fresenius

Auch eine unbürokratische Freistellung von der Arbeit kann in Betracht gezogen, sollte aber nicht einfach angeordnet, sondern mit dem betroffenen Mitarbeiter abgestimmt werden. Arbeitsrechtlich gibt es dafür keine Hinderungsgründe. „Ein Arbeitgeber kann über den gesetzlichen Anspruch hinaus so viel bezahlten Urlaub gewähren, wie er möchte“, sagt Thorsten Schmitter, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Düsseldorf und Kaarst. Bloß wenn die Urlaubstage die Zahl der Arbeitstage im Jahr überschreiten, könnte der Sozialversicherungsträger hellhörig werden.

Bei allem Mitgefühl steckt der Arbeitgeber trotzdem in der Zwickmühle, denn ihm fehlt eine Arbeitskraft, die ihn in dieser Zeit trotzdem Geld kostet. „Wenn der Mitarbeiter zum Beispiel um unbezahlte Freistellung von der Arbeit bittet, muss dieser bedenken, dass er sich dann um Sozialversicherung und Krankenkassenbeiträge selber kümmern muss“, erklärt Schmitter. Ein Kompromissvorschlag könnte die Reduzierung von Arbeitszeit und Gehalt für einen bestimmten Zeitraum sein, der wiederum die Zeit des „bezahlten Sonderurlaubs“ ausgleicht. „Mittel und Wege lassen sich eigentlich immer finden“, so der Arbeitsrechtler.

Der skizzierte Umgang aus menschlicher wie arbeitsrechtlicher Sicht trifft im Grunde auf jeden Schicksalsschlag zu, der einen Mitarbeiter ereilt. Psychologin Laura von Gilsa nennt vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs aber noch einen weiteren Aspekt, der zu bedenken ist, nämlich wenn enge Geschäftsbeziehungen, etwa zu einem Zulieferer aus der Ukraine, bestehen oder sich ein Mitarbeiter im Krisengebiet befindet. „Dann sollte das Thema auf jeden Fall im ganzen Team besprochen werden. Idealerweise wird dafür ausreichend Zeit eingeräumt, um sich diesem schwierigen, emotionalen Thema ohne Zeitdruck widmen zu können – am besten auch mit externer Begleitung durch eine geschulte Person.“

Die Expertin weist zudem darauf hin, dass auch für die Führungskraft die Situation sehr belastend ist. Auch sie sollte sich nicht scheuen, Rat bei der Personalabteilung oder externe Hilfe zu holen.

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