Komplimente und Glückwünsche Schlange an "Emmelys" Kasse

Berlin (RP). Seit das Bundesarbeitsgericht entschied, dass man eine Kassiererin nicht wegen einer Bagatelle entlassen darf, ist Barbara E., kurz Emmely, ein Star. An ihrer Kasse bilden sich Schlangen, die Menschen gratulieren ihr zu ihrem Sieg.

"Emmely" klagte sich zurück hinter die Kasse. Jetzt macht sie erstmal Urlaub.

"Emmely" klagte sich zurück hinter die Kasse. Jetzt macht sie erstmal Urlaub.

Foto: ddp, ddp

Vorsichtig balanciert das kleine Mädchen sein Eis in die Straßenbahn M 4, von Alexanderplatz kommend Richtung Falkenberg. "Setz Dich hierhin, Emmely", sagt ihre Mutter. Vor gut zwei Jahren, als die Kleine geboren wurde, bekam der Name "Emmely" einen besonderen Klang. Er wurde zum Symbol. Zunächst hier in Hohenschönhausen, im tiefen Osten der Hauptstadt, bald auch im ganzen Land. Unter dem Pseudonym "Emmely" begann die wegen einer 1,30-Euro-Verfehlung gefeuerte kleine Kassiererin gegen den großen Konzern zu klagen. Sie ging bis zum Bundesarbeitsgericht. Und gewann. Jetzt ist ihr wiedergewonnener Arbeitsplatz zur Attraktion geworden.

Das Linden-Center in Hohenschönhausen ist eine dreigeschossige Geschäftspassage vom Feinsten. Alles hell, alles sauber, alles blitzblank, viel Glas, viel Spiegel. Fast so, als könnte man sie genau so im eleganten Düsseldorf finden, im vornehmen Hamburg oder im mondänen München. Aber eines ist anders in den Linden-Center-Geschäften. Der Preis an den Waren. Denn nebenan verläuft nicht die Kö, nicht die Alster, nicht die Isar. Nebenan sind die Haltestellen "Malchower Weg" und "Ahrenshooper Straße". Hier, am Prerower Platz, haben sich die Plattenbau-Architekten ausgetobt, so weit das Auge reicht. Hier werden die 59-Quadratmeter-Mietwohnungen mit zwei Zimmern, Küche, Diele, Bad für 274 Euro kalt im Monat angeboten. Besonders hervorzuheben: der Boden mit "PVC-Laminatoptik".

Die Menschen in Hohenschönhausen wohnen selbstverständlich gerne auf "PVC-Laminatoptik", die Villen mit dem Tropenholz-Edelparkett sind weit weg. Aber in jenen Januartagen des Jahres 2008 plötzlich ganz nah. Als Vergleich. Steinreiche Manager mit Edelparkett-Villen setzen durch falsche Entscheidungen ganze Firmen vor die Wand, produzieren Milliardenschäden — und erstreiten sich als Belohnung sogar noch Millionen-Abfindungen. Aber Barbara E., die kleine Kaiser's-Kassiererin in Hohenschönhausen, wird fristlos gefeuert. Weil sie angeblich zwei Leergutbons im Wert von 48 und 82 Cent, die seit zehn Tagen ohne Besitzer im Laden herumgelegen haben, an sich genommen und bei einer Kollegin bei einem privaten Einkauf eingelöst hat.

Barbara E. will das nicht akzeptieren. Sie klagt. Später werden Juristen ihre Prozessstrategie als widersprüchlich charakterisieren. Weil sie Kinder und Kollegen mit in den Kreis derer hineinzieht, die die Leergutbons in ihr Portemonnaie gelegt haben könnten. Doch im Kern geht es weiter um Laminatoptik gegen Edelparkett. Auch wenn der Manager für Milliarden-Schäden belohnt wird, muss der Mitarbeiter vor Ort über jeden Zweifel erhaben bleiben. Der Konzern argumentiert, dass sich auch viele kleine, selbst winzige Verfehlungen zu riesigen Schäden summieren und deshalb das Vertrauensverhältnis zu solchen Mitarbeitern zerstört sei. Das Arbeitsgericht sieht das genau so. Das Landesarbeitsgericht ein Jahr später auch. Doch "Emmely", längst zum Begriff in den Medien geworden, längst Symbol für den Kampf Klein gegen Groß, gibt nicht auf, klagt weiter. Mitte Juni dann die Sensation: "Emmely" siegt. Drei Jahrzehnte verfehlungsfreie Arbeit als Kassiererin zählten auch, sagt das Bundesarbeitsgericht.

Und so sitzt Frau E. wieder an der Kaiser's Kasse. Nicht in ihrer ehemaligen Filiale, sondern im Souterrain des Linden-Centers. In der Näher ihrer Wohnung. Wenn sie morgens die Rolltreppe heruntergefahren ist, kommt sie auf dem Weg zum Arbeitsplatz am Kaufhof vorbei, dann am Nanu-Nana, an Kamps, an Subway, an Rossmann. Am Ende, zwischen Plantiflor und Aldi, geht's in das weit einladende, große und hell beleuchtete Kaiser's. Es ist eine gut bestückte und gut besuchte Filiale. Fünf moderne Kassenbänder stehen bereit, meistens haben drei bis vier Kassiererinnen gut zu tun. Seit einer Woche ist das anders. Wenn "Emmely" Dienst hat. Dann ist sie der Star.

Zwei Kunden stehen an Kasse eins, drei an Kasse zwei, einer an Kasse vier. Nur vor Kasse drei will die Schlange nicht enden. "Kommen Sie doch zu mir herüber", ruft die Frau an Kasse vier. Doch niemand reagiert. Alle wollen an Kasse drei bezahlen. Einkaufen bei "Emmely", das ist die neue Attraktion. Zwei ältere Männer freuen sich schon Minuten, bevor sie dran sind, auf den kleinen Wortwechsel. "Ick fand dit so jut von sie", sagt der eine. Der andere nickt begeistert. Als "Emmely" sie mit einem freundlichen "Guten Tag" begrüßt" und schnell ihren Aufschnitt, ihre Milch und ihren Saft über den Scanner zieht, recken beide Männer der Kassiererin zwei hoch erhobene Daumen entgegen. Strahlend wie Oskar. Frau E. lacht freundlich. "Danke!", sagt sie leise. Sie sagt es oft in diesen Tagen.

Denn die Komplimente und Glückwünsche reißen nicht ab. Sogar aus ihrer alten Filiale kommen Stammkunden herüber, um ihr zu gratulieren. Die Stimmung in der Belegschaft ist gemischt. "Insgeheim", sagt eine, fänden das alle toll, dass sie das durchgestanden habe. Als 52-Jährige! Also in einem Alter, in dem Kaufhäuser gerne Vorwände suchten, um die Älteren gegen Jüngere austauschen zu können. Besonders dann, wenn die auch noch an gewerkschaftlichen Aktionen gegen das eigene Haus teilnehmen. Wie "Emmely". Andererseits gibt es ein Naserümpfen, weil "Emmely" Kolleginnen angekreidet haben soll. Es sei "unerhört", dass die Personalleitung diese Behauptungen aus den Vorinstanzen immer noch verbreite, obwohl diese Urteile doch aufgehoben seien, kritisiert "Emmelys" Anwalt Benedikt Hopmann.

Barbara E. weiß selbst genau, was auf dem Spiel steht. Und ist die Freundlichkeit in Person. Auch zu den Kolleginnen. "Sie können sich doch auch nebenan anstellen", ruft sie höflich einer Kundin zu, die sich ebenfalls in die Schlange vor Kasse drei einreihen will. Die Bitte wirkt. Mit einem augenzwinkernden Kopfnicken zieht die Frau ab. Ob sie sich denn schon eingelebt habe, will ein anderer Kunde jetzt von ihr wissen. "Ja klar", heißt die Antwort, und ein Lächeln geht in Richtung der anderen Kassen. Dabei wird der fröhliche Eindruck durch den wippenden Pferdeschwanz unterstrichen. Frau E., deren ganzer Name auf einem Schild neben dem adretten Kaiser's Halstuch zu lesen steht, hat ihre langen blonden Haare hinten mit einem dunklen Band zusammengebunden. Das weiße Hemd passt zu der schwarzen Hose mit den dezenten grauen Streifen. Sie könnte mit dieser Kleidung nicht nur zur Arbeit sondern auch zu einem Fest gehen. "Es ist angenehm, wieder zu arbeiten", hat sie an ihrem ersten Tag den Reportern in den Block diktiert. An diesem Gefühl hat sich nach einer Woche nicht das Geringste geändert.

"Sammeln Sie Herzen?", fragt sie einen weiteren Kunden. "Herz habe ich selbst", sagt der lachend. Und eine nicht minder fröhliche "Emmely" erwidert: "Genau so muss das auch sein." Den nächsten fragt sie beim Kassieren nach vier Cent, damit sie ihm weniger Kleingeld zurückgeben muss. Als der Kunde verneint, lächelt sie wieder. "Kein Problem, das kriegen wir schon hin!" Es klingt nach mehr als Wechselgeld. Es klingt nach einem optimistischen Leben. "Einen schönen Tag!", ruft sie hinterher. Ein schöner Tag? Jedenfalls war es ein schöner Einkauf bei "Emmely".

(RP)
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