Ausgrenzung Stilles Ausbremsen im Job

Bekommen Beschäftigte ständig unnötige Aufgaben oder werden ignoriert, kann das viele Gründe haben – „Quiet Firing“ etwa, eine stille Entlassung. Manchmal ist aber auch einfach die Führungskraft unfähig.

 Wer das Gefühl hat, von der Führungskraft mit Absicht ignoriert zu werden, sollte das Gespräch suchen.

Wer das Gefühl hat, von der Führungskraft mit Absicht ignoriert zu werden, sollte das Gespräch suchen.

Foto: dpa-tmn/Alexander Heinl

Erst ist es nur ein komisches Gefühl, doch irgendwann häufen sich die Fragen: Warum habe ich keine Einladung zum Meeting bekommen? Warum werde ich am neuen Projekt nicht beteiligt? Und warum reagiert mein Vorgesetzter nicht mehr auf meine Mails oder sagt ständig Treffen ab? „Wenn Sie den Eindruck haben, ausgeschlossen zu werden, nichts richtig machen zu können oder gar kein positives Feedback mehr zu erhalten, dann sind dies Warnsignale, die Sie ernst nehmen sollten“, sagt Karriereberaterin Ragnhild Struss aus Hamburg.

Jedes dieser Merkmale alleine muss noch nichts bedeuten. „Doch all diese Verhaltensweisen zusammen lassen ein System erkennen, das stutzig machen sollte“, sagt die Arbeitspsychologin. Vielleicht möchte der Chef Sie auf diese Art und Weise loswerden. Stichwort: „Quiet Firing“ – die schleichende Kündigung. Darunter versteht man das Verhalten von Arbeitgebern, Mitarbeiter nicht offiziell zu entlassen, sondern sie quasi aufs berufliche Abstellgleis zu schicken. Das Ziel: Sie so zu frustrieren, dass sie irgendwann von sich aus das Unternehmen verlassen.

Das kann unterschiedliche Ursachen haben: Womöglich liegen keine berechtigten Gründe für eine Kündigung vor, der Arbeitgeber möchte sich aber die Abfindung sparen. Vielleicht sind Mitarbeiter aus Sicht des Unternehmens einfach unbequem geworden oder passen nicht mehr ins Team. „Dass es sich Führungskräfte einfach machen und sich auf diese Weise von Angestellten trennen wollen, diese Gefahr besteht durchaus“, sagt Struss. Einen Trend sieht sie allerdings nicht.

Dem Wirtschaftspsychologen Andreas Hemsing zufolge gehen Unternehmen, die einen Beschäftigten wirklich loswerden wollen, eher den aktiven Weg. „Sonst würde ich es ja dem Zufall überlassen, ob derjenige auch wirklich ausreichend Leidensdruck entwickelt, um selbst zu kündigen.“

Dass Mitarbeiter tatsächlich entsprechend behandelt werden, glaubt Hemsing durchaus. „Es ist aber keine bewusste Taktik, sondern eher eine Erklärung für schwaches Führungsverhalten.“ Etwa, wenn Chefs nicht in der Lage dazu sind, Menschen zu steuern, zu organisieren, Aufgaben sauber zu verteilen oder nach vorne zu denken und Ideen zu entwickeln. Auch Ragnhild Struss sieht die Gründe in einer „Unfähigkeit zur Konfliktbewältigung und einem mangelnden Kommunikationsvermögen aufseiten der Führungsebene“. Anstatt Angestellte zur Kündigung zu nötigen, sollten sie lernen, Probleme anzusprechen und diese gemeinsam konstruktiv zu lösen.

„Quiet Firing“ ist der Arbeitspsychologin zufolge nicht nur auf menschlicher Ebene „eine Katastrophe“. Es ist auch nicht wirtschaftlich: „Nicht nur, dass die Personalkosten unnötig verschwendet werden, indem Mitarbeiter beschäftigt werden, die gar keine echten Aufgaben mehr übernehmen, zusätzlich wird vorhandenes Potenzial nicht genutzt“, erläutert sie. Die „still gefeuerten“ Beschäftigten könnten zum Beispiel an anderer Stelle im Unternehmen durchaus sinnvolle Tätigkeiten übernehmen und wertvolle Leistungen erbringen.

Was aber bleibt Beschäftigten, wenn sie sich – aus welchen Gründen auch immer – ins berufliche Abseits geschoben fühlen? Als Erstes sollten sie das Gespräch mit dem Vorgesetzten suchen. Es gilt, die eigene Wahrnehmung zu schildern, um sie mit der des Gegenübers abzugleichen. „Im besten Fall lassen sich so Missverständnisse aus der Welt schaffen und es stellt sich heraus, dass die eigene Sorge unbegründet war“, sagt Struss.

Gleichzeitig sollten sich Beschäftigte ehrlich fragen, ob sie selbst ihrer Verantwortung für ihre Aufgaben vollends nachkommen. Andreas Hemsing rät, aktiv zu überlegen, was man zur Verbesserung der eigenen Arbeit tun könnte und der Führungskraft die Ideen im Gespräch darzulegen. Ragnhild Struss empfiehlt, konkrete Lösungsvorschläge anzubieten, wie eine andere Form der Zusammenarbeit aussehen könnte, etwa zu E-Mails oder gemeinsamen Besprechungsterminen. Oder auch von sich aus die Bereitschaft äußern, in ein anderes Team zu wechseln.

Reagiert der Vorgesetzte jedoch auf wiederholte Bitten nach einem klärenden Gespräch nicht, sollte die nächst höhere Führungsebene einzuschalten. Und wer dann nach allen Gesprächen weiter das Gefühl hat, dass es für die Arbeit im Unternehmen keine vertrauensvolle Grundlage mehr gibt, sollte unter Umständen einen Jobwechsel in Betracht ziehen. „Wenn mein Vorgesetzter sich mir gegenüber wenig wertschätzend, kooperativ und konstruktiv verhält, würde ich immer fragen: Will ich hier überhaupt noch arbeiten? Gibt es noch positive Entwicklungsmöglichkeiten für mich?“, sagt Struss.

Es wird jedoch auch Menschen geben, die trotz aller Probleme lieber in ihrem alten Job bleiben und dort nur noch Dienst nach Vorschrift machen wollen. „Es ist eine ganz persönliche und klare Lebensentscheidung von Menschen, die sagen: ‚Die Arbeit dient mir nur dazu, mein Einkommen zu sichern. Ansonsten hat mein Leben andere Schwerpunkte‘“, sagt Hemsing. Ein Phänomen, das in der Arbeitswelt heute schon verbreitet ist und für das es ebenfalls einen englischen Begriff gibt: „Quiet Quitting“ – die stille Kündigung.

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