Verzwicktes Arbeitsrecht Nicht jeder Job-Unfall ist versichert

Berlin/Köln (RPO). Berufstätige leben mitunter gefährlich. Arbeitsunfälle passieren in Deutschland laut Statistik jede Minute. Doch nicht immer wird ein Unfall auch als Arbeitsunfall anerkannt. Die Entscheidung darüber hängt an vielen, für Laien unerwarteten Details. Häufig wird darüber vor Gericht gestritten.

 Nicht jeder Unfall, der auf der Arbeitsstelle passiert, gilt als Arbeitsunfall.

Nicht jeder Unfall, der auf der Arbeitsstelle passiert, gilt als Arbeitsunfall.

Foto: AP, AP

Allein im Jahr 2007 verunglückten nach Angaben der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) in Berlin annähernd 960.000 Menschen bei der Arbeit. Dazu kamen annähernd 170.000 Wegeunfälle. Ein Jahr zuvor registrierte die Dachorganisation annähernd 950.000 Arbeitsunfälle und mehr als 191.000 Wegeunfälle.

Aber nicht immer können die Betroffenen überhaupt auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung hoffen. So ist etwa der Gang auf die Toilette über den Arbeitgeber versichert - nicht aber, was sich hinter der Klo-Tür abspielt, erklärt Eberhard Ziegler von der DGUV. Selbst auf dem stillen Örtchen sind schon Unfälle geschehen. Und die Privatsphäre ist nur über die Krankenkasse versichert.

Anerkennung als Arbeitsunfall hat Vorteile

Grundsätzlich gilt: "Der Unfall muss infolge einer versicherten Tätigkeit geschehen sein", erläutert Ziegler. Für den Betroffenen hat die dann folgende Anerkennung als Arbeitsunfall deutliche Vorteile: "Er bekommt alle Leistungen aus einer Hand von der Erstversorgung bis zur Rehabilitation. Und unter Umständen hat er auch noch Anspruch auf eine Rente."

Wird die Anerkennung als Arbeitsunfall verweigert, sollte der Betroffene in jedem Fall dagegen klagen, empfiehlt der Jurist Norbert Bauschert aus Köln. Seine langjährige Erfahrung als Fachanwalt für Sozial- und Familienrecht hat ihm gezeigt, dass ausgerechnet die Berufsgenossenschaften als Träger der Unfallversicherung die "härtesten Gegner vor Gericht" seien. Viele Prozesse gingen zuungunsten der Kläger aus.

"Am Ende zählen die Details, ob ein Unfall als Arbeitsunfall anerkannt wird oder nicht", sagt Ziegler. Das Landessozialgericht Bayern zum Beispiel wies die Klage einer Frau auf eine Anerkennung als Arbeitsunfall ab, deren Kollegin ihr versehentlich auf der Betriebstoilette eine Tür ins Gesicht geschlagen hatte (Az.: L 3 U 323/01).

Anders sieht Ziegler den - hypothetischen - Fall eines Arbeiters, der auf der Baustelle mitsamt Klo-Häuschen von einem Bagger umgefahren wird. Dieser würde nach Einschätzung des Experten einen Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung haben. Die Unterscheidung von Beruf und Privatsphäre regelt auch die Sachlage bei der Mittagspause: Der Gang zur Kantine etwa ist generell über den Arbeitgeber versichert, die Nahrungsaufnahme selbst als private Sache aber nicht.

Dienstreisen sind eine Grauzone

Ziegler kennt allerdings einen Fall, bei dem die Richter auf Arbeitsunfall in der Betriebskantine entschieden: Der Angestellte hatte sich beim Essen mit dem Chef über ein bevorstehendes Kundentreffen unterhalten und sich dabei an einem Schaschlikspieß verschluckt - woraufhin er starb. Die Richter sprachen den Hinterbliebenen auch eine Rente zu, und zwar mit dem Argument: "Der Mann sei durch die berufliche Unterhaltung abgelenkt gewesen, in privatem Rahmen hätte er mehr auf sein Essen geachtet", erläutert Ziegler.

Eine Grauzone sind Dienstreisen: Auch hier schließt der gesetzliche Versicherungsschutz jede private Handlung aus, erläutert Ziegler - zum Beispiel das Bad im Hotel-Swimmingpool. Und Unfälle beim Betriebssport werden nur als Arbeitsunfall anerkannt, wenn es sich nicht um Wettkampfsport mit Pokalspielen oder etwa um die privat nach Feierabend organisierte Jogginggruppe von Kollegen handelt. Und auch, wer auf der Fahrt zur Arbeit noch einen größeren Umweg macht - zur Tankstelle beispielsweise - hat bei einem Unfall das Nachsehen.

Nur scheinbar eindeutig ist die Lage bei einem Überfall auf dem Betriebsgelände: "Wird bei uns jemand bei einem Raubüberfall im Betrieb oder auf dem Arbeitsweg dorthin verletzt, erkennen wir das als Arbeitsunfall an", sagt Kurt Kropp von der Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution in Bonn. Aber auch hier dürfen keine privaten Gründe für den Überfall im Spiel sein. Und weil der gesetzliche Versicherungsschutz häufig und unerwartet Grenzen hat, empfiehlt Anwalt Bauschert, zur Sicherheit noch eine private Unfallversicherung abzuschließen.

Regeln für die Betriebsfeier

Die Teilnahme an einer Betriebsfeier ist grundsätzlich versichert. "Doch was, wenn am Ende nur noch ein paar Mitarbeiter in trauter Runde zusammensitzen?", gibt Eberhard Ziegler von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung zu bedenken. So entschied das Hessische Landessozialgericht jüngst über den Fall eines Angestellten, der zu später Stunde bei einer betrieblichen Feier schwer alkoholisiert die Treppe heruntergestürzt war (Az.: L 3 U 71/06) - und zwar gegen den Mann.

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