Motivation Am Arbeitsplatz unterfordert

Nicht jeder Arbeitnehmer hat eine Stelle, die der eigenen Qualifikation entspricht. Das kann Folgen für Karriere und Psyche haben. Es muss aber auch nicht immer etwas Negatives für einen bedeuten.

 Unterforderung im Job kann auch zu Überforderung führen – etwa damit, die Zeit herumzukriegen.

Unterforderung im Job kann auch zu Überforderung führen – etwa damit, die Zeit herumzukriegen.

Foto: dpa-tmn/Christin Klose

Häufig sind Beschäftigte besser ausgebildet als es ihre Position verlangen würde. Sie gelten dann objektiv als überqualifiziert, „wenn der individuelle Berufsabschluss höher ist als das Anforderungsniveau der Tätigkeit“. So definiert es Basha Vicari vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Also zum Beispiel, wenn jemand mit Berufsabschluss eine Helfertätigkeit ausübt oder jemand mit akademischen Abschluss, als Helfer oder Fachkraft arbeitet.

Aber ist das überhaupt problematisch? Überqualifikation könne für diejenigen ein Nachteil sein, die unfreiwillig in eine solche Situation geraten, sagt Vicari. Etwa, weil man in einer Region seine Arbeit verloren hat, in der es für die eigenen Fähigkeiten kaum noch Nachfrage gibt und „irgendeinen“ Job annehmen muss, um nicht arbeitslos zu werden. Unbefriedigend sei es für Arbeitnehmer, sobald sie das Gefühl hätten, sie können ihr Potenzial nicht ausschöpfen.

Dem Psychotherapeuten Enno Maaß zufolge könne die Situation dann zum Problem werden, wenn die Erwartungen, die eine Person an einen Job hat, nicht mit der Realität übereinstimmen. „Eine Unterforderung kann dazu führen, dass man überfordert ist“, sagt er. Überfordert, sich zu motivieren, die Zeit herumzukriegen, sich selbst zu organisieren und seine Arbeit zu erledigen. Je nach Alter und Lebenssituation könne es dann sinnvoll sein, den Job zu wechseln. Andererseits, so der stellvertretende Bundesvorsitzende der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung, müsse sich niemand den Druck machen, einen perfekten Job zu finden oder sich über eine Arbeitszeit von 50 Stunden die Woche definieren.

Es sei besser, das Konzept des gesamten Lebens zu betrachten. „Das hat viele Facetten und kann Zufriedenheit bringen, auch ohne einen passenden Job.“ Dann sei es möglich, dass man sich zwar geistig im Beruf unterfordert fühlt, das aber nicht als schlimm empfindet, weil der Rest gut passt.

Wer sich bewusst für einen Job entscheidet, der nicht zu 100 Prozent der Ausbildung entspricht, der aber bei guter Bezahlung das eigene Sicherheitsbedürfnis befriedigt, kann laut Enno Maaß dabei sogar glücklicher sein – weil etwa dann mehr Zeit für die Familie oder Privates bleiben. Denkbar ist auch, dass der Job mit flachen Hierarchien einhergeht und Arbeitnehmende die Möglichkeit haben, sich zu beteiligen. „Dann entstehen unabhängig von der Jobbeschreibung Gestaltungsmöglichkeiten, die die Arbeitszufriedenheit steigern können“, sagt Maaß.

Wer auf dem Papier überqualifiziert ist, denkt womöglich, in Bewerbungen gar nicht überzeugen zu können, wenn er oder sie die Anforderungen weit übertrifft. Schließlich könnte ein potenzieller Arbeitgeber befürchten, dass das Arbeitsverhältnis nicht lange währt, wenn sich die Person bald nach einer „adäquaten“ Stelle umschaut.

Laut IAB-Expertin Basha Vicari überwiegt fachliche Qualifikation in der Gunst der Arbeitgeber der formalen. Deshalb rät sie bei Bewerbungsgesprächen, diese Fähigkeiten in den Vordergrund zu stellen und Aufstiegschancen zu verhandeln. „Eine unterwertige Beschäftigung kann nach einer beruflichen Umorientierung eine gute Einstiegschance sein, gerade in kleineren Betrieben, um sich dann beispielsweise berufsbegleitend weiterzubilden.“

Enno Maaß schlägt Bewerbern vor, plausibel darzulegen, warum sie genau diesen Job haben wollen und motiviert sind. Etwa, weil es noch private Projekte gibt und die Art des Jobs gut in die Lebensplanung passt. Oder weil man bereits festgestellt hat, dass der eigentlich erlernte Beruf eben nicht der Traumjob ist.

Finanziell muss eine unterqualifizierte Beschäftigung nicht unbedingt einen Nachteil bedeuten. Ein fiktives Beispiel: Wer als gelernter Bäcker nun in der Autoindustrie am Fließband arbeitet, übt zwar formal eine Hilfstätigkeit aus, verdient aber trotzdem mehr als zu den Zeiten als Bäcker. Und hat vielleicht sogar noch bessere Arbeitszeiten.

Dazu kommt: Verglichen mit den Personen, auf deren Anforderungslevel sie arbeiten, haben Überqualifizierte durchschnittlich höhere Löhne, sagt Vicari. „Wenn ich Fähigkeiten aus meiner eigentlichen Qualifikation, etwa der Ausbildung, auf die neue Stelle übertragen kann, wird das entsprechend entlohnt.“

Auf der anderen Seite gilt der Arbeitsmarktexpertin zufolge aber: „Wer lange überqualifiziert beschäftigt ist, sendet an potenzielle Arbeitgeber ein negatives Signal.“ Das könne über Jahre wie eine Art Stigma wirken, irgendwann wird es schwierig, zurück in eine adäquate Beschäftigung zu finden. Genau das führe auf Dauer zu einer geringeren Lebenszufriedenheit.

Maaß rät in so einem Fall dazu, für sich selbst herauszufinden, woher die eigene Unzufriedenheit rührt. Was steckt hinter der gefühlten Unterforderung? Behandelt einen etwa der oder die Vorgesetzte nicht optimal?

Darüber hinaus sollte man sich fragen: Welche Stellschrauben gibt es, die verändert werden könnten, ohne den Job zu verlassen? „Vielleicht lassen sich Aufgaben tauschen oder man kann in einem anderen Arbeitsbereich eingesetzt werden“, sagt Maaß. „Suchen Sie das Gespräch mit Ihren Vorgesetzten und erarbeiten Sie gemeinsam eine Lösung.“

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