Boreout im Beruf Wenn Arbeit nur noch langweilt

Berlin · Das Burnout-Syndrom ist altbekannt. Viele Menschen sind im Job überlastet. Aber auch Unterforderung und Langeweile können Stress verursachen - und krank machen. In vielen Firmen fehlen Ansprechpartner.

Boreout im Beruf: Wenn Arbeit nur noch langweilt
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Torsten Gottschall hatte eigentlich immer gut zu tun in seinem Job. In der Behindertenarbeit einer städtischen Verwaltung in Schleswig-Holstein gab es für ihn selten Leerlauf. Bis seine Vorgesetzte ihn 2005 ins Controlling zwangsversetzte. "Die wollte mich loswerden", erzählt Gottschall. Der Sozialwissenschaftler versteht nur wenig von Zahlen. "Plötzlich hatte ich keine Aufgabe mehr, und es wurde immer weniger und weniger."

Die Schweizer Unternehmensberater Philippe Rothlin und Peter Werder prägten 2007 mit dem Buch "Diagnose Boreout" ein Symptom, das als Krankheitsbild erst langsam erforscht wird. "Seitdem haben wir ein unglaubliches Feedback bekommen", sagt Rothlin. Im Gegensatz zum Burn out beschreiben die Buchautoren Beschäftigte, die aus Langeweile (boredom) oder Unterforderung im Job krank werden. Die Arbeitnehmer können dabei ähnliche Symptome wie beim Burn out-Syndrom zeigen.

"Das Bewusstsein ist wichtig, dass Leute unter der Situation leiden", erläutert Rothlin. Dabei gehe es keineswegs um Faulheit. Rothlin nennt das die "Mär des süßen Nichtstuns". "Es gibt Leute, die sind faul und schaden damit dem Unternehmen und den Kollegen. Die gehören entlassen. Wer Boreout hat, wird aber in die Situation hineinmanövriert. Das liegt in der Verantwortung des Vorgesetzten."

Boreout entsteht durch zu wenige oder falsche Aufgaben, häufig in Verwaltungs- oder Dienstleistungsjobs, in denen Aufgaben wegrationalisiert oder durch Software erledigt werden. Nach der Zusammenlegung von Unternehmen entfallen Aufgaben, in Auftragsflauten brechen Kunden weg. Anderswo werden Teams zu groß strukturiert, manche Stellen nur aus Statusgründen besetzt. Nach Meinung von Rothlin trifft es vor allem Beamte, die Finanzindustrie, Bürojobs:
"Maurer können nicht so tun, als ob sie arbeiten würden."

Laut dem Stressreport 2012 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Baua) fühlen sich 13 Prozent der abhängig Beschäftigten fachlich und 5 Prozent mengenmäßig im Job unterfordert.
Auch Torsten Gottschall hätte gerne mehr gemacht. "Der Stress war, dass mir nichts mehr zugemutet wurde", sagt er. Gottschall hat einmal Sozialwesen studiert, eine Ausbildung zum Psychotherapeuten gemacht, eine Alteneinrichtung geleitet. Er hat früher immer gern gearbeitet.
"Ich galt als Leistungsträger, und plötzlich war ich eine Null."

Jahrelang sitzt er an seinem Schreibtisch, zählt die Minuten bis zum Feierabend und leidet. Das Surfen im Netz ist verboten, Bücher lesen zu auffällig. Schließlich schult er sich selbst in Excel und Word, spielt mit EDV-Programmen. Jede einfache Schreibarbeit zieht er in die Länge. "Damit es so aussieht, als ob ich etwas tue", sagt er. Paradoxerweise täuschen Boreout-Betroffene häufig vor, beschäftigt zu sein, starren auf den Bildschirm, berichten Kollegen von einem Berg an Aufgaben. Sie machen mitunter Überstunden, um ihr Nichtstun zu kaschieren. Wer nur Löcher in die Luft starrt, riskiert seinen Arbeitsplatz. Gerade diese Vertuschungsstrategien erzeugen aber laut Experten Stress und können die Gesundheit belasten.

"Ich kann nicht über Langeweile sprechen in einer Zeit, wo Leistung das Maß aller Dinge ist und jeder um seinen Job kämpft", sagt die österreichische Arbeitssoziologin Elisabeth Prammer. Sie hat Boreout-Biografien unter die Lupe genommen. Das Problem sei weit verbreitet, werde aber tabuisiert. "Wir wurden in einem Leistungsdogma sozialisiert." Ihrer Meinung nach passt das Syndrom Boreout in unsere Zeit ebenso wie Überforderung. Torsten Gottschall berichtet von Gefühlen der Wertlosigkeit, von Antriebslosigkeit, Depression. "Ich hab mich tödlich gelangweilt", sagt er. Irgendwann stand seine Beziehung auf der Kippe, zweieinhalb Jahre begibt er sich wegen der Unterforderung in psychotherapeutische Behandlung. "Lange Fehlbeanspruchung kann krank machen", bestätigt Baua-Expertin Andrea Lohmann-Haislah. Unterforderung könne ebenso wie Überlastung zu Depressionen, chronischen Rückenschmerzen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen.

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Foto: Jens Schierenbeck, gms

Fachlich unterfordert seien laut Lohmann-Haislah vermehrt Beschäftigte im Gastgewerbe oder in Verkehrsbetrieben, wie Zimmermädchen und Busfahrer. Auch Tätigkeiten mit monotonen Arbeitsvorgängen, wie sie zum Beispiel teils Warenprüfer in der Qualitätskontrolle haben, unterfordern schnell. Selbstständige leiden seltener an Boreout. Die Folge ist meist Resignation. Nach einer Umfrage des Beratungsunternehmens Gallup über die emotionale Bindung zum Arbeitgeber leisten 67 Prozent der Arbeitnehmer Dienst nach Vorschrift. Gut jeder sechste Beschäftigte hat nach eigener Aussage bereits innerlich gekündigt.

In vielen Unternehmen fehle ein Ansprechpartner für das Thema, sagt Prammer. Firmen müssten alte Strukturen aufbrechen, Arbeitszeiten flexibler gestalten und Heimarbeit erlauben. Experten raten Betroffenen vor allem zum frühen Dialog mit dem Arbeitgeber. "Das Wichtigste ist die Eigenverantwortung. Man muss selber etwas tun", rät Buchautor Rothlin. Beschäftigte sollten vom Vorgesetzten aktiv spannendere Aufgaben einfordern. "Und vielleicht auch einmal ungefragt neue Dinge erarbeiten, und sich nicht der Langeweile ergeben", sagt Rothlin.

Die Wünsche formulieren Arbeitnehmer dabei am besten positiv, rät Lohmann-Haislah. "Es geht darum, wie die Nachricht verpackt ist", erklärt auch Rothlin. In großen Unternehmen lohne sich der Blick in andere Abteilungen. Vielleicht bieten sich dort neue Aufgaben an. Und als letztes Mittel bleibt die Kündigung. Torsten Gottschall besiegte die Langeweile im Jahr 2011. Er kündigte. Nun arbeitet er Vollzeit in seiner eigenen psychotherapeutischen Praxis und leitet ein regionales Netzwerk gegen Mobbing. Der 54-Jährige ist dabei schwer beschäftigt. "Ich bin mehr ausgelastet, als mir lieb ist", sagt er und lacht.

(dpa)
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