Als Freiberufler tätig Vorsicht vor der Scheinselbstständigkeit
Berlin/Gütersloh · Tatsächlich selbstständig oder doch abhängig beschäftigt? Eine Frage, vor der viele Freiberufler stehen. Aber was ist eigentlich das Problem?
Ob als IT-Berater, Texterin oder Speditionsfahrer: Wer sein eigener Chef ist, kann entscheiden, wann und wie er arbeitet. Aber was, wenn der Staat plötzlich meint, man sei nur scheinselbstständig? Stellt sich nämlich heraus, dass anstatt einer selbstständigen Tätigkeit eigentlich eine abhängige Beschäftigung vorliegt – etwa während einer routinemäßigen Betriebsprüfung –, können hohe Nachzahlungen fällig werden. Was man als Freiberufler daher wissen sollte:
Was ist Scheinselbstständigkeit?
„Scheinselbstständige sind solche Personen, die annehmen, eine selbstständige Tätigkeit auszuüben – tatsächlich arbeiten sie aber wie fest angestellte Arbeitnehmer“, sagt Una Großmann von der Deutschen Rentenversicherung Bund. Es geht also in der Regel darum, dass jemand als Selbstständiger auftritt, obwohl er oder sie im Sinne der Sozialversicherung als abhängig beschäftigt anzusehen sei, erklärt die Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern auf ihrer Website. Das liegt vor, wenn man seinen Auftraggebern gegenüber in der Regel weisungsgebunden und in deren organisatorische Abläufe eingebunden ist. Es gibt darüber hinaus weitere Aspekte, die typischerweise auf Scheinselbstständigkeit hinweisen. Etwa: festgelegte Arbeitszeiten, das Arbeiten beim Auftraggeber vor Ort ist zwingend vorgeschrieben, der Name taucht im Dienstplan auf oder Auftragnehmer müssen sich Tätigkeiten für andere Auftraggeber bewilligen lassen.
Warum ist Scheinselbstständigkeit ein Problem?
Abhängig Beschäftigte sind sozialversicherungspflichtig und müssen in die Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung einzahlen. Aber auch Unternehmen sind verpflichtet, für ihre Mitarbeiter Sozialversicherungsabgaben zu leisten. Zudem fällt Lohnsteuer an.
Bei einer Scheinselbstständigkeit führen Auftraggeber und Auftragnehmer solche Abgaben nicht ab, denn der freie Mitarbeiter hat ja zumindest auf dem Papier den Selbstständigen-Status. Das ist gesetzeswidrig. Zudem begehen die Beteiligten, weil sie keine Lohnsteuer gezahlt haben, unter Umständen Steuerhinterziehung. Dann drohen laut Abgabenordnung (AO) eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren, in besonders schweren Fällen auch bis zu zehn Jahren.
Welche Folgen hat eine aufgedeckte Scheinselbstständigkeit?
Für Auftragnehmer bedeutet die aufgedeckte Scheinselbstständigkeit, dass es sich bei der ausgeübten Tätigkeit um keine Selbstständigkeit handelt. Nachträglich erhalten sie ab Beginn der Tätigkeit den Status des abhängig Beschäftigten. Zudem ist die ausgewiesene Umsatzsteuer auf den Rechnungen unwirksam. Abgezogene Vorsteuerbeträge müssen berichtigt und zurückgezahlt werden. Hinzu kommt: Der Arbeitgeber kann bei Betroffenen die Arbeitnehmeranteile der nachzuzahlenden Sozialversicherungsbeiträge für die vergangenen drei Monate vom Gehalt abziehen.
Arbeitgeber müssen bei aufgedeckter Scheinselbstständigkeit Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge für die betroffenen Arbeitnehmer nachzahlen – und zwar bis zu vier Jahre rückwirkend. Hinzu können Säumniszuschläge kommen.
Was ist ein Statusfeststellungsverfahren?
„Auftragnehmer oder auch Auftraggeber können von sich aus aktiv ein Statusfeststellungsverfahren beantragen, um auf Nummer sicher zu gehen, dass keine Scheinselbstständigkeit vorliegt“, sagt Großmann. Möglich ist das bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund. So sollen sich Auftragnehmer Rechtssicherheit darüber verschaffen können, ob sie selbstständig tätig oder abhängig beschäftigt sind.
Ein Verfahren bezieht sich dabei immer auf ein Vertragsverhältnis, informiert die IHK für München und Oberbayern. Wer mehrere Auftraggeber hat, muss im Zweifel jedes Vertragsverhältnis einzeln einordnen lassen.
Wie können Freiberufler verhindern, dass sie als Scheinselbstständige gelten?
Hier kommt es immer auf den Einzelfall an. „Ein Aspekt ist, in eigenen Arbeitsräumen zu arbeiten und dabei eigenes Equipment zu nutzen – und nur dann und wann, aber nicht regelmäßig, beim Auftraggeber arbeiten“, sagt Kathrin Schulze Zumkley, Fachanwältin für Arbeitsrecht. Auch sollten sich Auftragnehmer zum Beispiel nicht auf feste Arbeitszeiten festlegen lassen oder Weiterbildungsangebote des Auftraggebers wahrnehmen.
Ist es immer ein Problem, wenn man nur einen Auftraggeber hat?
„Die Anzahl der Auftraggeber allein ist nicht ausschlaggebend“, sagt Una Großmann. Bestehen mehrere Auftragsverhältnisse, ist jedes Auftragsverhältnis getrennt statusrechtlich zu bewerten. Ist ein Freiberufler tatsächlich selbstständig tätig und dies nur für einen Auftraggeber, gilt er als „Selbstständiger mit nur einem Auftraggeber“. Zu beachten ist in dem Fall: „Selbstständige mit einem Auftraggeber sind verpflichtet, in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen“, so Großmann.
Welche Sonderfälle gibt es?
Neben Berufsbildern und Tätigkeiten, die typischerweise anfällig für Scheinselbstständigkeit sind, beschäftigen sich Gerichte auch immer wieder mit anderen Fällen. Im Juni 2022 urteilte etwa das Bundessozialgericht, dass Gesellschafter-Geschäftsführer einer Anwaltskanzlei als abhängig beschäftigt gelten können (Az. B 12 R 4/20R). „In zahlreichen Urteilen unter anderem zu Honorarärzten, Pflegekräften, Buchführungshelfern
oder Fahrkartenkontrolleurinnen entschied das Bundessozialgericht aufgrund des Umfangs der betrieblichen Eingliederung ähnlich“, berichtet Großmann.
Mit dem sogenannten Herrenberg-Urteil zu einer Musikschullehrerin an einer städtischen Musikschule hob das Bundessozialgericht bis dahin geltende spezielle Kriterien für Lehrer und Dozenten auf. Auch für sie gilt: Bei einer betrieblichen Eingliederung sind sie sozialversicherungspflichtig (Az. B 12 R 3/20 R).