Tradition Spezialisten in der Nische

Eine Lehre als Bürstenmacherin oder Instrumentenbauer: Kann das Zukunft haben? Einige Ausbildungen sind mittlerweile äußerst selten. Warum sie dennoch keine verschwendete Liebesmühe sein müssen.

 Orgelbauer werden auch in Zukunft noch gebraucht. Wer sich für eine Ausbildung in einem eher seltenen Beruf entscheidet, ist später als Fachkraft vielleicht sogar international sehr gefragt.

Orgelbauer werden auch in Zukunft noch gebraucht. Wer sich für eine Ausbildung in einem eher seltenen Beruf entscheidet, ist später als Fachkraft vielleicht sogar international sehr gefragt.

Foto: dpa-tmn/Sebastian Gollnow

Glasbläser, Drechsler oder Bogenmacher: Besonders im Handwerk gibt es in manchen Berufen nur noch sehr wenige Auszubildende. Es handelt sich bei den genannten Beispielen allerdings nicht um aussterbende, sondern nur um seltene Berufe, stellt Monika Hackel vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn klar. Viel häufiger kommt es vor, dass Berufe, die technisch überholt sind, in neuen Berufen aufgehen. Die Tätigkeiten von Schriftsetzern und Flexografen etwa, die zum Drucker-Handwerk gehören, sind in den Ausbildungsberuf Mediengestalter Digital und Print aufgegangen.

Altes handwerkliches Wissen wird mit neuen Medien und Formaten verbunden und geht nicht einfach verloren. Der Name der Berufe bleibt der Expertin zufolge aber oft erhalten – während sich die Berufe und dazugehörigen Ausbildungen stetig weiterentwickeln. Hier sind etwa der Steinmetz oder Schreiner zu nennen. Dass ein Ausbildungsberuf komplett aufgelöst wird, komme nur sehr selten vor, sagt Hackel.

Während die meisten bereits vom Berufsfeld Mediengestaltung gehört haben, gibt es aber auch viele kleinere, seltene Berufe, deren Namen man oft nicht einmal kennt. „Seltene Handwerke begegnen uns im Alltag eher wenig, sind aber aus unserem Leben nicht wegzudenken, zum Beispiel Bürsten- und Pinselmacher oder die Musikinstrumentenbauer“, erklärt Volker Born, Berufsbildungsexperte beim Zentralverein des deutschen Handwerks (ZDH) in Berlin. Eigeninitiative und Recherche sind also wichtig, um auch von unbekannteren Berufen zu erfahren.

Auch das eigene Umfeld kann entscheidend sein, wie das Beispiel des Ziseleurs Franco Adamo zeigt. Nachdem er keinen Ausbildungsplatz als technischer Zeichner gefunden hatte, ermutigte sein Vater ihn, es als Ziseleur zu versuchen. Ähnlich wie Steinmetze arbeiten Ziseleure mit Meißel oder Feile: sie gießen Bronze und bearbeiten Oberflächen, um Embleme und Skulpturen herzustellen.

Bei Judith Macherey dagegen war ein freiwilliges kulturelles Jahr (FKJ) in der Denkmalpflege entscheidend. So kam die Abiturientin zu Klais, einer Werkstatt für Orgelbau in Bonn. Ihr Faible für Kunst und Architektur kann sie bei der Arbeit an der Orgel ausleben. Derzeit arbeitet sie an ihrer Abschlussprüfung zur Orgelbauerin. Dass aus diesem seltenen Beruf ein aussterbender wird, glaubt sie nicht. Auch Franco Adamo, der inzwischen seit 40 Jahren als Ziseleur arbeitet, hat keine Angst, dass sein Beruf vom technologischen Fortschritt bedroht wird. „Kein 3D-Drucker kann so ein gegossenes Relief herstellen und einer Figur eigenes Leben einhauchen“, sagt er.

Für Judith Macherey sind Orgelteile aus dem 3D-Drucker nur ein Gedankenspiel: „Jede Orgel ist ein Einzelstück und wird für den jeweiligen Raum und seine Akustik passend angefertigt. Das ginge gar nicht in Massenproduktion. Ich glaube, ein Klangkörper, der nur von einer Maschine hergestellt wurde, kann gar nicht schön sein“, sagt sie.

Oft braucht es besonderen Wagemut, sich für einen seltenen Beruf zu entscheiden. Häufig ist ein Ortswechsel nötig, da es in der Regel nur noch wenige Betriebe in diesen Spezialgebieten gibt, und um den Beruf in Zukunft weiter auszuüben, muss gegebenenfalls den Weg in die Selbstständigkeit gewagt werden. Wer mit Leidenschaft dabei ist, kann die eigene Nischenposition aber auch als Alleinstellungsmerkmal hochhalten und sogar international gefragt sein. „Eine Orgel bleibt dort stehen, wo sie ist, da muss man schon selbst zu ihr kommen, um sie zu reparieren“, sagt Macherey.

Selbst dann, wenn sich herausstellt, dass man den Ausbildungsberuf nicht das ganze Leben lang ausüben kann, sei es gut, eine abgeschlossene Ausbildung zu haben, betont Monika Hackel. „Mit einer abgeschlossenen Ausbildung ist das Risiko von dauerhafter Arbeitslosigkeit im Durchschnitt viermal geringer als ohne Abschluss.“ Schließlich sammelt man in der Ausbildung Berufserfahrung und erwirbt auch viele berufsübergreifend wichtige Kompetenzen. Darauf können Weiterqualifizierungen aufbauen.

Es gilt: Besser etwas Seltenes gelernt als gar nichts gelernt. „Mit einer Ausbildung als Metallbildner der Fachrichtung Ziseliertechnik hat man ein Fundament und könnte zum Beispiel Architektur oder Design studieren“, weiß Adamo.

Daneben spielen in seltenen Berufen auch Kultur und Tradition eine Rolle. „Manche Erfahrungen und Kulturtechniken lassen sich nicht oder nur unzureichend in Büchern verschriftlichen. Um erhalten zu bleiben, können sie daher nur in der tatsächlichen Anwendung von Generation zu Generation adäquat weitergegeben werden“, sagt Volker Born.

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